Was in Südtirol die größten Baustellen sind und warum es so wichtig ist, jetzt am Ball zu bleiben, lesen Sie hier.<BR /><BR /><b>Herr Pechlaner, was ist die Funktion einer Beobachtungsstelle für nachhaltigen Tourismus?</b><BR />Harald Pechlaner: Wir sehen es als unsere Aufgabe, eine breite Datenbasis zu schaffen, aufgrund derer dann strategische Entscheidungen in Sachen nachhaltige Tourismusentwicklung getroffen werden können. Schon seit 3 Jahren sammeln wir unter der Leitung von Anna Scuttari Daten im sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Bereich und führen auch eigene Erhebungen durch. Mit diesen Daten geben wir den verschiedenen Institutionen eine Basis für weitere Entwicklungen und können auch auf Fehlentwicklungen hinweisen, etwa in Sachen Mietpreisentwicklungen oder Tourismusgesinnung.<BR /><BR /><b>Die Beobachtungsstelle in Bozen ist aber nicht die erste ihrer Art?</b><BR />Pechlaner: Nein, wir sind Teil des „Internationalen Netzwerks von Beobachtungsstellen für nachhaltigen Tourismus“ (INSTO). Weltweit gibt es etwas mehr als 30 solcher Beobachtungsstellen, viele davon im asiatischen Raum. Die Monitoringstelle in Bozen ist die erste in Italien und im Alpenraum und auch eine der wenigen in ganz Europa. Hier gibt es einen regen Austausch innerhalb des Netzwerks und auch in Südtirol selbst, etwa in Sachen methodisches Handwerkszeug, Auswertungstechniken oder die Diskussion zu den Indikatoren.<BR /><BR /><b>Warum ist gerade Asien hier Vorreiter?</b><BR />Pechlaner: Ich denke, die Asiaten haben in den vergangenen 15 bis 20 Jahren im Welttourismus massiv aufgeholt. Bis zur Pandemie haben sie touristisch eindeutig den höchsten Zuwachs verzeichnet, besonders Südostasien und China. Im Zuge dieses Aufschwungs sahen sie die Notwendigkeit, in dieses Thema verstärkt einzusteigen. In Südtirol hingegen haben wir einen historischen, traditionellen Tourismus, seit mehr als 150 Jahren. Spätestens mit der Overtourism-Diskussion haben wir gemerkt, dass es auch hierzulande an der Zeit ist, etwas zu tun.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54335154_quote" /><BR /><BR /><b>Was sind derzeit unsere größten Baustellen in Sachen nachhaltiger Tourismus?</b><BR />Pechlaner: Jeder Bereich ist und bleibt immer eine Baustelle. Südtirol hat in der Vergangenheit in Sachen Tourismusentwicklung sicher vieles richtig gemacht, das Raumordnungsgesetz hat durchaus strenge Regeln vorgegeben. Und auch im Thema Nachhaltigkeit war Südtirol in der Vergangenheit auf einem guten Weg, etwa durch die Ausweisung von Naturparks, die heute auch touristisch eine große Rolle spielen. Trotzdem gibt es weiterhin viele Baustellen, etwa bei der Mobilität, der Flächennutzung, bei der Nutzung von Energie oder Wasser. Diese Themen waren früher vielleicht nicht so wichtig wie heute. Durch den Klimawandel wurde die Frage, wie viel Wasser uns zur Verfügung steht, immer relevanter, ebenso die landschaftliche Veränderung durch Unwetter wie das Sturmtief Vaia im Jahr 2018. Der Bereich „Climate Action“ ist neuerdings ein fixer Bestandteil des Monitorings. Dieses Jahr arbeiten wir dabei an einer Einschätzung zu den verkehrsbedingten Emissionen.<BR /><BR /><b>Mit welchen weiteren Themen beschäftigt sich die Beobachtungsstelle?</b><BR />Pechlaner: Tatsächlich sammeln wir Daten in vielen Themenbereichen, etwa die Saisonalität, die Beschäftigungszahlen oder die Besucherzufriedenheit. Dabei können wir als Eurac auf viele bereits bestehende Daten zurückgreifen, etwa vom Landesstatistikinstitut Astat, dem Institut für Wirtschaftsforschung an der Handelskammer Bozen (Wifo) oder den Verbänden selbst. Im Rahmen des internationalen Netzwerks gibt es Bereiche, deren Erfassung vorgeschrieben ist, wie Wasser oder Energie, andere Bereiche haben wir selbst eingeführt, etwa Auswertungen im Bereich der Mobilität oder Landschaftsvielfalt.<BR /><BR /><b>Warum ist gerade das Thema Mobilität in Südtirol so wichtig?</b><BR />Pechlaner: Ganz klar: Ohne Mobilität gibt es keinen Tourismus. Aber man muss sich stärker darauf konzentrieren, eine nachhaltige Mobilität zu schaffen, vor allem in hochtouristischen Gebieten. Hierfür wurde sogar eine eigene Projektstelle im Land Südtirol eingerichtet. Die Südtiroler haben oft das Gefühl, dass die Gäste für die große Verkehrslast verantwortlich sind. Die Daten zeigen hier zum Beispiel, dass dem nicht zwingend so ist, sondern auch die hausgemachte Mobilität hoch ist. Dazu werden wir noch Untersuchungen machen. Auch das ist unsere Aufgabe: Aufgrund von Fakten Evidenz und gute Argumente schaffen, damit die Entscheidungsträger auch wirklich wissen, wo sie ansetzen müssen. <BR /><BR /><b>Ein weiteres Thema sind Flächenverbrauch und Zersiedelung. Welche Erkenntnisse gibt es hier?</b><BR />Pechlaner: Südtirol ist eine kleine Provinz mit sehr hohem Raumdruck. Man muss bedenken, dass von 7400 Quadratkilometern nur etwa 8 Prozent unseres Landes dauerhaft besiedelt werden. Der Rest sind Berge, die nicht ganzjährig bewohnt werden. Diese 8 Prozent nutzen wir nicht nur als Wohnraum, sondern auch als Wirtschaftsraum, für Industrie, Handwerk, Landwirtschaft und eben auch den Tourismus. Deshalb ist das Thema Flächenverbrauch ein sehr wichtiges für uns. Auch in Sachen Zersiedelung gibt es heute viel mehr Daten als früher. Anhand von Geoinformationssystemen kann man zum Beispiel sehr gut die Anzahl der Gebäude und Einwohner innerhalb einer Gemeinde erfassen, auch die Verteilung der Gebäude. So wird derzeit im Rahmen des Raumordnungsgesetzes überlegt, Kerngebiete von Gemeinden stärker zu nutzen und dafür im landwirtschaftlichen Grün keine weitere touristische Entwicklung zuzulassen.<BR /><BR /><b>Ebenfalls im Fokus stehen Kultur und Nachhaltigkeit: Was wird hier erforscht?</b><BR />Pechlaner: In diesem Bereich sind wir führend und ziehen das Netzwerk weiter. Viele fragen sich vielleicht, was das Kulturerbe mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Nun, vor allem geht es hierbei um die gesellschaftliche Akzeptanz und eine Sensibilisierung darüber, wie man mit dem eigenen Kulturgut umgeht. Vermarktet man es? Versteckt und bewahrt man es? Erste Erhebungen zu diesem Thema drehen sich beispielsweise um die Schnalser Transhumanz, also den Schafübertrieb von Süd- nach Nordtirol und retour. Wir gehen der Frage nach, wie dieses Kulturerbe nachhaltig sein kann. Es ist eine Gratwanderung zwischen Bewahren und Weiterkommen. Immerhin ist die Transhumanz ein notwendiges bäuerliches Kulturgut, ein Wirtschaftsfaktor, nicht nur eine touristische Veranstaltung.<BR /><BR /><b>Wer kann die erhobenen Daten einsehen?</b><BR />Pechlaner: Wir stellen die graphischen Auswertungen der uns zur Verfügung stehenden Daten auf der Homepage jedem zur Verfügung und fungieren gewissermaßen als Servicestelle. Die Akteure sollen dabei die Möglichkeit haben, die Informationen aus diesen Daten für deren Entscheidungen zu verwenden. Die Diskussion der Nachhaltigkeit wird in den Destinationen und auch in den Betrieben sehr ernst genommen. Grundsätzlich stellen wir ein zunehmendes Interesse fest, auf Informationen zurückzugreifen, um gute Entscheidungen treffen zu können. Und genau das ist das Ziel: ein datengesteuerter Ansatz des Destinationsmanagements, angepasst auf Südtirol, für eine eigene Nachhaltigkeitsdiskussion, die unter anderem von Land, Verbänden und Tourismusvereinen gemeinsam geführt wird.<BR /><BR /><b>Ein abschließendes Fazit: Wo steht Südtirol in Sachen nachhaltiger Tourismus im weltweiten Vergleich?</b><BR />Pechlaner: Wie gesagt: Grundsätzlich sind wir gut unterwegs. Aber die Zeiten ändern sich. Durch die Pandemie, die politischen Krisen sowie den Krieg, oder die Klima- und Energiekrise verändern sich die Gesellschaft und deren Bedürfnisse, und damit die Voraussetzungen, wie man Urlaub machen will. Genau deshalb ist es jetzt so wichtig, die Daten zu beobachten und zu schauen, wohin diese Bedürfnisse gehen, wie der Tourismus sein muss, damit nicht nur die Gäste, sondern auch die Bevölkerung zufrieden ist. Die Lebenswelt Südtirol kann und muss sich noch nachhaltiger entwickeln, vor allem in den 4 Bereichen Bevölkerungszufriedenheit, Wasser- und Abwasserwirtschaft, Mobilität und Flächennutzung. Diese sind gerade dabei, sich völlig neu zu entwickeln und stellen uns vor neue Herausforderungen. Hier muss Südtirol dranbleiben. Und wir als Beobachtungsstelle leisten unseren kleinen Beitrag dazu, als Teil des großen Gefüges. <BR />