<b>In vielen Teilen Europas wird seit Längerem recht intensiv über „Overtourism“ diskutiert. Eifrig wird nach Möglichkeiten der Begrenzung gesucht – zuletzt in Sirmione am Gardasee, das über eine Tagesgebühr für Touristen nachdenkt. Wie stehen Sie zu diesem Thema?</b><BR />Bernabó Bocca: Ich halte den Begriff „Overtourism“ für konzeptionell falsch. Eine wachsende Feindseligkeit gegenüber Urlaubsgästen ist ein bedenkliches Signal. Es ist paradox, das, was unserem Land Wohlstand bringt, gleichzeitig als Problemquelle zu betrachten. Ich vergleiche es gern mit einem Puzzle, bei dem jedes Teil seinen Platz finden muss. Wenn Gemeinden über Überfüllung klagen, darf die Antwort nicht sein, den Touristenstrom pauschal zu drosseln. Vielmehr sollten wir die Besucherströme entzerren, durch eine gezielte Förderung des Tourismus außerhalb der Hochsaison und in weniger bekannten Regionen. Entscheidend ist ein kluges, ganzjähriges Management. Ebenso wichtig ist eine stärkere Regulierung des rasant wachsenden Marktes für Kurzzeitvermietungen. <BR /><BR /><BR /><b>Die Regierung ist in Sachen Kurzzeitvermietungen unter anderem mit der CIN-Pflicht bereits tätig geworden…</b><BR />Bocca: Es stimmt, das Problem wurde erkannt. Dank neuer gesetzlicher Regelungen wie der von Ihnen genannten verpflichtenden Registrierungsnummer für Beherbergungsbetriebe ist die Kontrolle nun leichter möglich. Dies wird ihre Wirkung zeigen. Dennoch müssten die Gemeinden mehr Entscheidungsspielraum erhalten.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-69871572_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Dennoch: Der Tourismus trägt eine Verantwortung gegenüber der lokalen Bevölkerung. Wie könnte er diese noch stärker wahrnehmen?</b><BR />Bocca: Der Tourismussektor ist komplex und vielfältig – es gibt keine zentrale „Steuerzentrale“. Viel hängt von den gesetzlichen und regionalen Rahmenbedingungen ab. Klar ist aber: Der Tourismus ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, schafft Arbeitsplätze und steigert die Lebensqualität in den Regionen. Doch selbst in einem Vorzeigebeispiel wie Südtirol gibt es Schattenseiten: Überlastete Verkehrsinfrastrukturen, punktuelle Überfüllung und daraus resultierende Spannungen. Solche Herausforderungen betreffen viele Gebiete Italiens. Hier ist Zusammenarbeit gefragt – zwischen Gemeinden, Hoteliers, Gastronomen und weiteren Akteuren der Branche. Gemeinsam können wir keine Wunder bewirken, aber viele Probleme lassen sich im Schulterschluss zumindest deutlich abmildern. Ständige Polemiken führen aber zu nichts. <BR /><BR /><BR /><b>Federalberghi hält seine diesjährige Jahresversammlung in Meran ab. Warum fiel die Wahl auf Südtirol?</b><BR />Bocca: Jedes Jahr vergeben wir unsere wichtigste Veranstaltung, die nationale Versammlung, anhand eingereichter Bewerbungen an wechselnde Standorte. Auch um die Vielfalt Italiens zu zeigen. Dieses Jahr fiel die Entscheidung auf Südtirol – nicht nur wegen der außergewöhnlichen landschaftlichen Schönheit, sondern auch wegen der Tatkraft und Kompetenz unserer lokalen Vertreter. Wir befinden uns hier in einer bedeutenden Tourismusregion, mit einer starken Hoteliersvereinigung, die in allen Tälern und Gemeinden präsent ist. Der persönliche Austausch über Herausforderungen und Entwicklungen in den einzelnen Regionen ist zentral für unsere Arbeit – und genau dieser Dialog findet nun in Meran statt.<BR /><BR /><BR /><b>Das diesjährige Motto lautet „Tourismus & Territorium“. Was ist damit genau gemeint?</b><BR />Bocca: Ohne Territorium gibt es keinen Tourismus. Unser Sektor lebt von der Vielfalt der Regionen und kann nur durch die jeweiligen lokalen Besonderheiten ein so breites Angebot entwickeln. Um zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen, müssen wir die spezifischen Bedürfnisse und Probleme der Regionen berücksichtigen – sei es in Bezug auf Produktivität, Entwicklung, Beschäftigung oder Attraktivität.<BR /><BR /><BR /><b>Zum Abschluss ein Blick auf den Sommer: Rechnen Sie mit einer starken Saison?</b><BR />Bocca: Aus heutiger Sicht sieht alles vielversprechend aus – aber wir Hoteliers sind bekanntlich ein wenig abergläubisch. Deshalb halte ich mich mit Prognosen lieber zurück.