Die Landesabteilung Arbeit geht davon aus, dass in Südtirol nächstes Jahr 6000 Arbeitskräfte fehlen und in 10 Jahren 30.000. Weshalb das so ist, was in Südtirol aktuell falsch gemacht wird und wo man stattdessen ansetzen sollte, erklärt der Personalexperte Hermann Troger. <BR /><BR /><b>Herr Troger, der Arbeitskräftemangel ist eines der drängendsten Probleme der Wirtschaft, ein Problem, das sich in den nächsten Jahren voraussichtlich noch verschärfen wird. Was kann man da tun?</b><BR />Hermann Troger: Leichter lässt sich sagen, was man nicht tun sollte. Und dazu gehört einiges, was aktuell in Südtirol passiert. <BR /><BR /><b>Nämlich?</b><BR />Troger: Zum Beispiel dass sich Unternehmen, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und die Politik gegenseitig vorwerfen, wer Schuld an der Situation ist und dann Schnellschüsse aus der Hüfte als Lösungen vorschlagen. <BR /><BR /><b>Die einen sagen, das von der Politik eingeführte Bürgereinkommen und die hohen Mieten seien die Hauptursache und außerdem würde die aufwändige öffentliche Verwaltung zu viele Arbeitskräfte binden, die anderen meinen, die Betriebe würden zu schlechte Arbeitsbedingungen bieten, und wieder andere, die Einstellung der jungen Arbeitnehmer, die weniger arbeiten wollen, sei auch dran Schuld….</b><BR />Troger: Aber diese Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter. Genauso wenig wie darüber zu jammern. Die Situation ist nun mal, wie sie ist und hat eine Hauptursache: die demografischen Entwicklung – es werden immer weniger Kinder geboren und die Menschen werden immer älter. Das ist ein globales Phänomen und das werden wir auch nicht ändern können, weder mit höheren Gehältern, noch mit niedrigeren Mieten und auch nicht mit mehr Beamten in der Arbeitsvermittlung.<BR /><BR /><b>Und nun: Muss die Wirtschaft das einfach hinnehmen? </b><BR />Troger: Wir können schon etwas tun, und zwar sowohl auf gesellschaftspolitischer Ebene, als auch auf Unternehmerebene. Ein wichtiger Ansatz wäre zum Beispiel, die Erwerbstätigkeit allgemein zu steigern, wobei das größte Potenzial hier sicher bei den Frauen liegt. Dafür müsste man einerseits die Kinderbetreuungseinrichtungen weiter ausbauen und andererseits flexiblere Arbeitsmöglichkeiten anbieten. Auch hinsichtlich ausländischer Arbeitskräfte gilt es immer noch, Vorurteile abzubauen. Weiters könnte man die gesellschaftliche Wertschätzung bestimmter Berufsbilder versuchen zu heben und die Lehrlingsausbildung fördern.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="799841_image" /></div> <BR /><BR /><b>Aber mehr Wertschätzung, etwa für Pflegepersonal, löst das demografische Problem doch auch nicht.</b><BR />Troger: Das stimmt. Aber eine höhere Wertschätzung für bestimmte Berufe könnte dazu beitragen, dass Frauen es sich eher überlegen, in die Erwerbstätigkeit zurückzukehren. Und natürlich drückt sich Wertschätzung auch in Bezahlung aus. Ähnliches gilt für Handwerksberufe, die man über höhere Einstiegsgehälter attraktiver machen könnte. Man löst damit zwar nicht das demografische Problem, aber man kann einen gewissen Skill-Mismatch aufheben. <BR /><BR /><b>Weil heute Arbeitnehmer vielfach Qualifikationen haben, die der Südtiroler Arbeitsmarkt nicht braucht?</b><BR />Troger: Genau. Wenn das Einstiegsgehalt gut und die Wertschätzung hoch ist, wird sich vielleicht ein Jugendlicher eher für eine Lehrlingsausbildung entscheiden anstatt etwas zu studieren, was am Arbeitsmarkt gar nicht gefragt ist. Ein gutes Beispiel dafür ist die Schweiz, wo Handwerker auffallend stolz auf ihren Job sind.<BR /><BR /><BR /><b>Aber in Südtirol ist man doch seit Jahren mit zahlreichen Initiativen – Stichwort: Berufsmatura – dabei, das Image der Handwerksberufe aufzubessern. Zu wenig?</b><BR />Troger: Meiner Meinung nach war es noch nicht effektiv genug. Ich höre noch oft, dass Lehrlinge bei uns weniger als 1000 Euro bezahlt bekommen und vielfach nur niedrige Tätigkeiten verrichten dürfen, weil sie ja noch nichts können würden. Aber genau diese Einstellung passt schon so überhaupt nicht zur Erwartungshaltung der jungen Mitarbeitenden, die nach Anerkennung, sinnvollen Tätigkeiten und viel Freizeit streben. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55621762_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Stichwort Gehalt: Sie würden ja grundsätzlich dafür plädieren, Berufsanfängern mehr zu zahlen und Dienstalterszulagen abzuschaffen…. </b><BR />Troger: Das wird auch früher oder später kommen. Wie gesagt: Ich sehe Gehaltserhöhungen nicht als Lösung für die momentane Misere des Arbeitskräftemangels in allen Bereichen, aber grundsätzlich sollte das Gehalt erstens stärker Ausdruck der gesellschaftlichen Wertschätzung sein und zweitens viel stärker an die effektive Leistung gebunden sein. Und wenn die Leistung des 25-Jährigen höher ist, warum soll er dann nicht mehr bekommen als der 50-Jährige? Oder anders gefragt: Soll der 50-Jährige nur deswegen besser bezahlt werden, weil er länger in der Firma oder in der Behörde ist als sein junger Kollege?<BR /><BR /><b>Man kann es ja auch so sehen, dass mit Dienstalterszulagen die Erfahrung der älteren Mitarbeiter honoriert wird. Falsch?</b><BR />Troger: Auf jeden Fall, wenn diese Erfahrung sich nicht in Ergebnissen niederschlägt. Denn die klassischen Dienstalterszulagen oder die kollektivvertraglichen Vorrückungen haben keinerlei Leistungsbezug, man bekommt sie ja auch, wenn man nur Dienst nach Vorschrift macht oder chronisch krank ist. Es bräuchte grundsätzlich viel mehr Flexibilität in der Lohngestaltung, dann gäbe es auch weniger Bestrebungen, „alte teure“ Mitarbeitende gegen „junge günstige“ auszutauschen. Ich glaube aber, dass in dem Bereich in Zukunft noch viel passieren wird – spätestens wenn sich der Generationswechsel auch an den Schalthebeln der gewerkschaftlichen Macht durchgesetzt hat. <BR /><BR /><b>Was können Unternehmen aber heute tun, um Arbeitskräfte zu finden? Manchmal hat man den Eindruck, sie müssten alle Register ziehen, um zu Leuten zu kommen. Die einen verschenken Smartphones, wenn jemand über die Probezeit hinaus bleibt, andere bieten Fitnessstudios an usw. </b><BR />Troger: Was stimmt: Arbeitnehmer müssen heute mehr hofiert werden als früher, Unternehmen müssen sich richtgehend bei ihnen bewerben – und nicht mehr umgekehrt. Das Wichtigste dabei: eine für den Kandidaten interessante Tätigkeit bei einer attraktiven Arbeitszeit. Die Incentives bilden das Tüpfelchen auf dem i. Dafür braucht es auf Seiten des Arbeitgebers Empathie, Kreativität und ja, vielleicht auch ein bisschen Demut.<BR /><BR /><b>Und man muss als Unternehmer Flexibilität bieten, die Möglichkeit zum Homeoffice, die Möglichkeit, Teilzeit in allen Varianten zu arbeiten usw.</b><BR />Troger: Auf jeden Fall. Es braucht Flexibilität in der Art der Tätigkeit, Flexibilität im Hinblick auf den Ort und natürlich auf die Zeit. Da werden die Arbeitnehmer in den nächsten Jahren immer mehr Verhandlungsmacht haben und es wird dann nur darum gehen, welches Unternehmen ihnen diese Flexibilität bietet und welches nicht. Es werden nur sehr wenige Unternehmen so attraktiv sein, dass sie es sich leisten können, in diesen Punkten den Arbeitnehmern nicht entgegenzukommen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="799844_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie sagen in Ihrem neuen Buch, in dem es um 7 wesentliche Schritte des Personalmanagements zur Bewältigung von Krisen geht, dass Unternehmen auch in vielen anderen Aspekten viel stärker als bisher auf die Wünsche der Arbeitnehmer eingehen müssen ...</b><BR />Troger: Ja. Eben aufgrund dieser verschobenen Marktmacht vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer muss das Unternehmen viel stärker auf die Erwartungen und Interessen der Mitarbeiter eingehen und diese gleichzeitig bestmöglich für sich nutzen. Das ist nicht einfach, weil diese Interessen auf Mitarbeiterseite immer unterschiedlicher, individueller und volatiler werden und die Herausforderungen auf Unternehmensseite nicht zuletzt auch dadurch immer größer. Dabei geht es nicht nur um die Art der Tätigkeit und den Lohn, sondern auch um die berufliche Weiterentwicklung der Mitarbeitenden, das Arbeitspensum und um ihr Bedürfnis nach Freizeit. Hier gilt es vor allem für die Vorgesetzten, sehr achtsam zu sein und gut zuzuhören. Das ist heute der wichtigste Faktor. Anders ausgedrückt: Man muss bessere Führungsarbeit leisten. Das Ohr bei den Mitarbeitern zu haben, gilt übrigens auch bei solchen Zusatzleistungen wie Fitnessstudios und Yoga-Räume. Ich finde es wunderbar, wenn das geboten wird, aber ich habe auch oft gesehen, dass solche Angebote zunächst gut ankommen, aber nach einer Zeit nutzt sie keiner mehr. So volatil wie unsere Welt heute ist, kann es leicht vorkommen, dass heute etwas cool ist, morgen aber nicht mehr. Deshalb fragt man am besten die Mitarbeiter, was sie sich wünschen. Wenn es nicht funktioniert, muss man eben etwas anders bieten.<BR /><BR /><b> Ohne beleidigt zu sein…</b><BR />Troger: Genau! Das passiert aber immer noch – vor allem, wenn jemand trotz aller Zugeständnisse dann doch kündigt. Dabei gehört es doch dazu, dass sich Mitarbeiter auch mal nach etwas anderem umschauen. Dazu habe ich übrigens einen kleinen Geheimtipp für Unternehmen.<BR /><BR /><b>Der wäre?</b><BR />Troger: Dass der erste Arbeitstag und das ganze Onboarding (der Einstellungs- und Aufnahmeprozess neuer Mitarbeiter, Anm.d.Red.) wichtig ist, haben mittlerweile alle Betriebe erkannt und lassen sich da viel einfallen, bis hin zum Blumenstrauß auf dem Schreibtisch der neuen Mitarbeiterin. Aber an den letzten Arbeitstag denkt keiner. Meine Empfehlung: Ermöglichen Sie dem Mitarbeiter einen richtig coolen Abgang und überraschen Sie ihn mit einem netten Abschiedsfest! Vor allem, wenn es ein Mitarbeiter ist, um den Sie bis zum Schluss gekämpft haben. Denn eine solche Aktion erwartet er sich nicht und er wird dann sicherlich nur gut über seinen alten Arbeitgeber reden – und vielleicht sogar wiederkommen. <BR /><BR /><b>Und das wiederum ist bekanntlich die beste Werbung für den Betrieb. Allerdings wird der eine oder andere Unternehmer für eine solche Aktion aber über seinen Schatten springen müssen…</b><BR />Troger: Wichtig ist, das Ziel vor Augen zu haben: Will ich, dass ich als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werde? Will ich, dass gut über den Betrieb gesprochen wird? Dann muss ich Flexibilität und Mut zeigen und etwas tun, das mein Unternehmen von anderen unterscheidet. Aber natürlich muss das auch zu den eigenen Werten und der Unternehmensphilosophie passen. In Abänderung eines bekannten Gebetsspruches würde ich sagen: Die Unternehmer brauchen die Gelassenheit, Phänomene zu akzeptieren, die sie ohnehin nicht ändern können – etwa die demografische Entwicklung –, den Mut, Dinge zu ändern, die sie ändern können, und ganz viel Weisheit, um das eine vom anderen zu unterscheiden. <BR /><BR /><b>Nochmal zurück zu dem, was Betriebe bieten können, um Mitarbeiter zu gewinnen. Da haben die kleinen Unternehmen doch schlechte Karten, oder? Sie können ja nie mithalten mit dem, was sich ein großes Unternehmen leisten kann….</b><BR />Troger: Darin sehe ich kein Problem. Es gibt immer noch viele Arbeitnehmende, die lieber in einem kleinen Betrieb arbeiten, der vielleicht nicht die Benefits bieten kann, wie ein großes Unternehmen, aber dafür familiäre Atmosphäre bietet. Gerade individuelle Arbeitszeitgestaltung lässt sich doch in einem kleinen Betrieb viel leichter umsetzen. Das sehe ich auch im Tourismus: Große 4- und 5-Sterne-Hotels brauchen mehr Struktur und Regeln als kleinere Hotels, weil sie sonst schwer führbar werden. Sie können daher nicht unzählige Ausnahmen gewähren – weder beim Gehalt, noch bei den Arbeitszeiten. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="799847_image" /></div> <BR /><BR /><b>Gerade im Tourismus hört man auch, dass es nochmal schwerer ist Mitarbeiter zu finden als in anderen Sektoren. </b><BR />Troger: Das stimmt. Kein Bereich ist im Moment so schlimm dran wie der Tourismus: Menschen, die fix auf eine Stelle zugesagt haben, erscheinen am ersten Arbeitstag nicht, ohne etwas zu sagen. Danach kommt man drauf, dass sie bei der Konkurrenz arbeiten, weil die 500 Euro mehr geboten hat – schwarz. Da müssen wir als Gesellschaft aufpassen, dass diese Machtverschiebung vom Arbeitgeber zum Arbeitnehmer, die per se durchaus positiv gesehen werden kann, nicht ins andere Extrem driftet. Aus meiner Sicht müssten Verbände und Institutionen das gemeinsam thematisieren, damit der Arbeitsmarkt nicht komplett degeneriert. <BR /><BR /><b>Jetzt werden manche sagen, in Vergangenheit waren die Hoteliers auch nicht alle sonderlich entgegenkommend den Mitarbeitern gegenüber…. </b><BR />Troger: Sicher gibt es Gründe für diese Entwicklung. Im Gastgewerbe wie auch in anderen Sektoren wurden Mitarbeitende in der Vergangenheit manchmal ausgenutzt und das wird jetzt die Retourkutsche sein. Es bringt uns aber als Gesellschaft nicht weiter, wenn wir das zulassen und jegliche Arbeitsmoral mit Füßen getreten wird. <BR /><BR /><b>Wie lange wird uns der Arbeitskräftemangel begleiten? Ein schnell vorübergehendes Problem scheint es ja nicht zu sein…</b><BR />Troger: Davon ist nicht auszugehen. Zumal in Südtirol auch noch wegen der Zweisprachigkeit höhere Erfordernisse an die Arbeitnehmer gestellt werden als anderswo. Zudem werden wir als – wohl auch in Zukunft – wohlhabende Wirtschaftsregion weiterhin als Arbeits- und Urlaubsort interessant sein und kaum Arbeitslose haben. Daher werden wir uns auch in Zukunft schwer tun, qualifiziertes Personal zu finden – schwerer sogar als andere Regionen. Deshalb warne ich auch davor, dieses vielschichtige Problem des Arbeitskräftemangels mit eindimensionalen und kurzfristigen Lösungsrezepten anzugehen, sprich das große Problem in kleine „Problemchen“ aufzuteilen und mal hier und mal da etwas zu machen. Genau ein gegenteiliger Ansatz ist notwendig: Sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch auf gesellschaftspolitischer Seite gilt es, sämtliche involvierten Akteure und möglichst viele verschiedene Parameter in die Diskussion einzubeziehen. Womit wir wieder beim vorhin angesprochenen Mut wären. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55586888_listbox" /><BR /><BR /><BR /><BR />