<b>Von Miriam Roschatt</b><BR /><BR />Der Arbeitsplatz sollte ein Ort der Zusammenarbeit, des Respekts und der Wertschätzung sein, doch für manche Menschen ist er genau das Gegenteil. Statt Motivation und Teamgeist erleben sie Ausgrenzung, Abwertung oder gezielte Angriffe – auch in Südtirol. Mobbing am Arbeitsplatz ist ein ernst zu nehmendes Problem, das oft im Verborgenen bleibt – aus Angst, aus Scham oder weil Betroffene selbst nicht genau einordnen können, was mit ihnen geschieht. Dabei ist Hilfe möglich – und dringend notwendig. <h3> „Zahl dürfte höher liegen“</h3>Im Jahr 2023 wurden dem Südtiroler Anti-Mobbing-Dienst des Landes 231 Fälle von Mobbing am Arbeitsplatz gemeldet. „Die tatsächliche Zahl dürfte jedoch weitaus höher liegen, da viele Betroffene aus Angst vor negativen Folgen oder aus Scham zögern, sich Hilfe zu holen“, erklärt die Gleichstellungsrätin Brigitte Hofer mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Bereich Mobbing am Arbeitsplatz. Hofer ist die Vorsitzende des Anti-Mobbing-Dienstes und bietet Betroffenen eine vertrauliche Anlaufstelle: „Ich höre zu und informiere über Lösungswege“, so Hofer. Dazu können Mediationen oder Vermittlungsgespräche gehören, Beratung bei der Dokumentation der Vorfälle oder auch die Begleitung zu internen Beschwerdeverfahren. „Wo notwendig, arbeite ich eng mit anderen Stellen zusammen, etwa mit Gewerkschaften, Fachanwälten oder spezialisierten Anlaufstellen“, erklärt sie. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1173516_image" /></div> Woran erkennen Betroffene nun aber, dass es sich um Mobbing handelt und nicht „nur“ um Konflikte? Ein wichtiger Unterschied liege in der Systematik, betont Hofer: „Mobbing ist kein einmaliger Streit, sondern besteht aus wiederholten, negativen Handlungen über einen längeren Zeitraum – im hier genannten Fall am Arbeitsplatz.“<h3> Verschiedene Formen von Mobbing</h3>Mobbing am Arbeitsplatz kann sich auf ganz unterschiedliche Weise äußern, weiß die Gleichstellungsrätin: „Besonders häufig beobachten wir soziale Ausgrenzung, die systematische Abwertung der Arbeitsleistung, übermäßige Kontrolle oder das Vorenthalten wichtiger Informationen.“ Typisch seien auch gezielte Gerüchte, abfällige Bemerkungen, ständige Herabwürdigungen oder das bewusste Ignorieren von Personen. Oft erfolgten diese Handlungen schleichend und würden von den Betroffenen erst spät als Mobbing erkannt, da sie wie Einzelereignisse wirken, unterstreicht Hofer.<h3> Das sind die Gründe</h3>Ein ungünstiges Betriebsklima, fehlende klare Strukturen und untätige Führungskräfte würden häufig den Nährboden für Ausgrenzung und schikanöses Verhalten am Arbeitsplatz schaffen, so Hofer weiter. Doch auch Hierarchieunterschiede, unklare Rollenverteilungen, hoher Konkurrenzdruck oder betriebliche Umbrüche wie Umstrukturierungen könnten solche Dynamiken begünstigen. „Wenn es keinen verbindlichen Verhaltenskodex gibt und Kommunikation nicht offen und transparent stattfindet, steigt das Risiko, dass Konflikte eskalieren und in Mobbing münden“, warnt die Gleichstellungsrätin eindringlich.<BR /><BR />Deshalb rät sie auch allen Betroffenen, frühzeitig aktiv zu werden. „Es ist wichtig, Vorfälle genau zu dokumentieren – wann, wo, was passiert ist und wer beteiligt war.“ Gespräche mit Vorgesetzten oder Vertrauenspersonen können ein erster Schritt sein. Wichtig sei auch, sich nicht zu isolieren, sondern aktiv Unterstützung zu suchen – sei es intern oder extern, zum Beispiel beim Anti-Mobbing-Dienst, der Gleichstellungsrätin, den Gewerkschaften oder bei einer Fachperson für Arbeitsrecht. Denn: Es gibt auch rechtliche Möglichkeiten, gegen Mobbing am Arbeitsplatz vorzugehen. Juristisch ist Mobbing nicht direkt anzeigbar, wohl aber sind es die konkreten Einzelhandlungen, die damit einhergehen: „In besonders schweren Fällen kann sogar Schadenersatz geltend gemacht werden. Entscheidend ist dabei eine sorgfältige Dokumentation der Vorfälle – idealerweise unterstützt durch eine spezialisierte Rechtsberatung“, weiß Brigitte Hofer. <BR /><BR />Um Betroffenen zusätzlich eine geschützte, psychologische Anlaufstelle zu bieten, wurde vor Kurzem sogar eine Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Das erste Treffen fand am 30. April statt, weitere Termine sind bereits in Planung. <h3> Gesundheitliche Folgen</h3>Dass sich Mobbingbetroffene Hilfe holen – sei es beim Anti-Mobbing-Dienst oder in einer Selbsthilfegruppe – sei von zentraler Bedeutung, betont Raffaele Virgadaula. Er ist Arbeitspsychologe und koordiniert für die Gewerkschaft SGB/CISL seit mehreren Jahren das Projekt „Belastungen am Arbeitsplatz“. „Die anhaltende Angst und der permanente Alarmzustand können weitreichende Folgen haben – sie reichen von psychosomatischen Erkrankungen wie gesundheitsschädlichem Stress über häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten bis hin zu suizidalen Absichten. Opfer von Mobbing werden nie wieder so sein, wie sie waren“, warnt der Arbeitspsychologe und weist auf die Bedeutung von Sozialpartnern sowie Schadenersatzverhandlern hin, die auch in betroffenen Unternehmen organisationspsychologisch intervenieren können. Denn besonders in Südtirol zeige sich, dass Mobbingfälle häufig in denselben Betrieben oder Abteilungen öffentlicher Institutionen wiederkehren. <h3> Persönlichkeit und Mobbing</h3>Welche Persönlichkeitsmerkmale oder Dynamiken begünstigen Mobbing – sowohl bei Tätern als auch bei Betroffenen? Eine Frage, die seit Jahrzehnten verschiedene wissenschaftliche Disziplinen wie Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaft und Managementforschung beschäftige, weiß Virgadaula. Ziel sei es, verlässliche Zusammenhänge zwischen individuellen Merkmalen und der Beteiligung an Mobbingprozessen zu identifizieren. Trotz intensiver Bemühungen bleibe die Datenlage jedoch uneindeutig: „Bislang konnten keine Persönlichkeitsmerkmale eindeutig nachgewiesen werden, die signifikant oder konsistent mit Mobbingverhalten oder der Erfahrung, gemobbt zu werden, in Verbindung stehen“, erklärt er. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1173519_image" /></div> Auch soziodemografische Faktoren wie Geschlecht, soziale Herkunft, berufliche Stellung würden keine belastbaren Erklärungen liefern. Fragen wie „Sind mehr Frauen betroffen?“, „Sind es häufiger Vorgesetzte oder Mitarbeitende mit bestimmten Fähigkeiten?“, lassen sich auf wissenschaftlicher Grundlage bislang nicht zufriedenstellend beantworten. Virgadaula dazu: „Die wissenschaftlichen Schwierigkeiten liegen darin, dass Opfer von Mobbing ‚andere Menschen‘ sind als vor dem Mobbing. Wir wissen inzwischen, dass die verheerenden Folgen von Mobbing als ‚Psychoterror‘ und ‚psychologischer Mord‘ bereits bestehende Vulnerabilität verstärken, das bedeutet jedoch nicht, dass diese Vulnerabilität Voraussetzung dafür ist, zu mobben bzw. gemobbt zu werden“, schließt der Psychologe und hat dabei die emotionale Verletzlichkeit, die in sozialen Gefügen oft übersehen oder unterschätzt wird, im Blick.