„Die Lage ist wirklich schwierig.“ Doch er sagt auch: Um sich gegen künftige Krisen zu wappnen, muss die Milchwirtschaft selbst in die Gänge kommen. <BR /><BR /><b>Herr Professor Fischer, der Sennereiverband hat Alarm geschlagen, viele Milchbauern würden wegen der gestiegenen Kosten um ihre Existenz fürchten. Ist die Situation wirklich so prekär?</b><BR />Christian Fischer: Schauen wir zunächst auf die Situation an den internationalen Milchmärkten: Dort ist die Lage kritisch, aber nicht katastrophal, mittlerweile wird aber rund 5 Prozent weniger Milch produziert als im Vorjahr. Das liegt allerdings nicht nur am Ukraine-Krieg, sondern die Kosten für Futter- und Düngemittel sind als Konsequenz der Covid-Pandemie schon länger gestiegen. In Neuseeland, dem weltweit wichtigsten Exportland für Milchprodukte, hat daher die weltgrößte Milchgenossenschaft den Auszahlungspreis für die Bauern um 30 Prozent erhöht, um ihnen finanziell zu helfen. <BR /><BR /><BR /><b>Und in Südtirol?</b><BR />Fischer: In Südtirol waren die Produktionskosten immer schon höher, aber auch die Verkaufs- und Auszahlungspreise (<i>im Schnitt rund 50 Cent je Kilogramm Milch, Anm.d.Red.</i>). Nachdem die Produktionskosten nun weiter gestiegen sind, sie aber kaum an die Verbraucher weitergegeben werden können, müssen sie zwangsläufig von den Genossenschaften und den Bauern geschultert werden. Das ist schon eine schwierige Lage im Moment. <BR /><BR /><BR /><b>Die Preise für Futtermittel sind seit dem letzten Jahr um etwa ein Drittel gestiegen, jene für Treibstoff um 50 Prozent, bei Düngemitteln spricht man von einem Plus von 130 Prozent, dazu kommen noch die steigenden Preise für Energie. Welches sind beim Milchbauern die größten Posten bei den Betriebskosten? </b><BR />Fischer: In Allgemeinen sind es die Futtermittel. Im internationalen Durchschnitt machen sie 70 bis 80 Prozent der Produktionskosten aus. Im Berggebiet ist dieser Kostenanteil allerdings normalerweise geringer, weil ein Teil des Futters aus der Eigenproduktion kommt, weil ja Heu und Gras zur Verfügung steht. Aber zurzeit steigen auch alle anderen Kosten: für Strom, für Diesel und insbesondere jene für Düngemittel, auch wenn diese im Berggebiet weniger hoch sind, weil weniger Stickstoffdünger zugekauft wird. <BR /><BR /><BR /><b>Die Landwirtschaft klagt darüber, dass der Handel die Preissteigerungen nur in einem geringen Ausmaß an die Kunden weitergibt und sie somit darauf sitzen bleiben. Das ist zwar schlecht für die Bauern, aber gut für die Konsumenten (und den Konsum), die ihrerseits mit einer steigenden Inflation zurecht kommen müssen. Wie lässt sich dieses Dilemma auflösen?</b><BR />Fischer: Tatsächlich sind die Konsumenten auch stark von der Ukraine-Krise betroffen. Treibstoff- und Heizpreise sowie Stromkosten sind stark gestiegen, ebenso die Preise für Getreideprodukte, Pflanzenöl aber auch für Kaffee. Weitere Kostenerhöhungen für Konsumenten würden gesellschaftlich insbesondere bei niedrigen Einkommensgruppen zu Problemen führen. Das ist wirklich ein Dilemma. Damit bleibt nur der Steuerzahler übrig, um Konsumenten sowie Produzenten zu unterstützen – und um somit mögliche Insolvenzen von landwirtschaftlichen Betrieben zu vermeiden.<BR /><BR /><BR /><b>Das heißt, es braucht finanzielle Hilfe von der öffentlichen Hand? </b><BR />Fischer: Genau, da ist die Politik gefragt. Auf europäischer Ebene hat Agrarkommissar Janusz Wojciechowski vorgeschlagen, den Krisenreservefonds der Gemeinsamen Agrarpolitik von 500 Millionen Euro zu nutzen, um den Landwirten zu helfen. Ob er ausreichen wird, ist eine andere Frage. Aber auch Rom und die Landesregierung hätten noch Möglichkeiten, weitere Förderungen zu beschließen. <BR /><BR /><BR /><b>Finanzielle Beiträge können aber nur kurzfristig helfen. Was wäre längerfristig zu tun, um die Milchwirtschaft krisenfest zu machen?</b><BR />Fischer: Es gäbe schon Möglichkeiten, die Berglandwirtschaft wettbewerbsfähiger zu machen. Aber dafür es bräuchte echten Modernisierungswillen von allen Beteiligten – und da bin ich mir nicht sicher, ob der vorhanden ist. Die Landwirtschaft kann aber auch nicht immer nur in der Vergangenheit verhaftet bleiben. Gerade in der Milcherzeugung im Berggebiet könnte man über Erzeugergemeinschaften und eine stärkere Produktdifferenzierung einiges erreichen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="753659_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Woran denken Sie konkret? </b><BR />Fischer: Man könnte zum Beispiel daran denken, dass sich die Bauern zu Erzeugergenossenschaften zusammenschließen, um die Kosten zu senken – dass also nicht wie heute nur die Vermarktung gemeinschaftlich funktioniert, sondern auch die Produktion. Zudem könnte man zum Beispiel Spezialmilch produzieren, um sie als höherwertigeres Produkt zu vermarkten. Das Potenzial wäre laut unseren Untersuchungen vorhanden. <BR /><BR /><BR /><b>Es gibt ja schon die Heumilch ...</b><BR />Fischer: Die hat auch recht gut funktioniert, die Idee ist aber von Österreich übernommen worden. Ich könnte mir vorstellen, eine Kategorie höher zu gehen als die Heumilch und eine sehr hochwertige Spezialmilch auf den Markt zu bringen, um so die Wertschöpfung zu steigern. Aber das würde bedeuten, dass man eine noch höhere Qualität anliefern und auch schauen müsste, dass die Produzenten tatsächlich dazu imstande sind. Denn einen höheren Preis muss man rechtfertigen: Die Standards in den Betrieben müssen steigen, es braucht noch bessere Kontrollen und die Bauern müssen ihre Produktion modernisieren. <BR /><BR /><BR /><b>Was meinen Sie konkret mit Spezialmilch?</b><BR />Fischer: Erfolgreiche Differenzierung fußt auf schwer kopierbaren Alleinstellungsmerkmalen – und in Südtirol haben wir zum Beispiel spezielle Kuhrassen, das kann man nutzen. Eine Idee könnte daher rassenreine Milch sein, etwa Grauvieh-Milch. Wissenschaftliche Befunde zeigen, dass es rassenspezifische Milchunterschiede gibt, es wäre allerdings noch mehr Forschung nötig. Diese Spezialmilch müsste sich dann natürlich für bestimmte Zwecke besonders eignen, etwa zum Aufschäumen für Milchgetränke oder für Kinder. <BR /><BR /><BR /><b>Und dafür würde es einen Markt geben?</b><BR />Fischer: Der Kaffee ist heute doch so vielen Leuten wichtig, die achten genau darauf, aus welchem Land und von welchem Produzenten und welcher Lage die Bohnen kommen. Es gibt einen richtigen Markt für Spezialitätenkaffee. Und die Milch, die man dann in den Cappuccino gibt, ist irgendeine Milch? Das passt nicht. <BR /><BR /><BR /><b>Sie würden also ein extrem hochwertiges Nischenprodukt anpeilen? </b><BR />Fischer: Genau. Ähnlich wie beim Wein, wo es Alltagsweine, gute Weine und Spitzenweine gibt. Ein erfolgreiches Beispiel für erfolgreiche Produktdifferenzierung hat man in den letzten Jahren auch bei Schokolade gesehen: Da reicht die Preisspanne zwischen dem Discount- und dem Luxusprodukt mittlerweile von 0,49 Euro bis 15 Euro pro 100 Gramm. Bei der Milch ist gerade das Potenzial der Spitzenprodukte noch nicht ausgeschöpft, da tut sich noch ganz wenig auf dem Markt. <BR /><BR /><BR /><b>Und wenn es schon Konsumenten gibt, die bereit sind für Hafer-, Mandel- und Soja-„Milch“ vergleichsweise viel Geld auszugeben, dann sollte es auch für Grauvieh-Milch Kunden geben ...</b><BR />Fischer: Natürlich braucht es das entsprechende Marketing, um das Produkt zu erklären. Und es würde sich auch um eher kleine Mengen handeln, vielleicht 10 Prozent der gesamten Trinkmilchproduktion. Südtirol hat sowieso keine Riesenmengen an Milch. Damit könnte man Mailand zwar ein Jahr lang mit Mich und Milchprodukten versorgen, aber für München würde sie schon nicht mehr reichen. Wenn man also eine sehr hochwertige Cappuccino-Milch hätte, müsste man nicht mal in jede 100ste Bar in Italien damit reinkommen, denn dafür würde die Menge nicht ausreichen. Hohe Preise kann man langfristig auch nur mit begrenzten Mengen, das heißt verknapptem Angebot bei hoher Nachfrage, halten. <BR /><BR /><BR /><b>Und so könnte man aus dieser kleinen Menge viel Wertschöpfung herausholen...</b><BR />Fischer: Ja, aber das muss man richtig gut machen – und das geht beim Erzeuger los. Aber das haben wir Landwirtschaftsvertretern schon vorgeschlagen ...<BR /><BR /><BR /><b>Wie war das Echo?</b><BR />Fischer: Sagen wir so: Der Modernisierungswille ist nicht so ausgeprägt. <BR /><BR /><BR /><b>Lieber aufgeben als modernisieren? In Südtirol schließen doch auch jedes Jahr einige Stalltüren für immer... </b><BR />Fischer: Stimmt, die Berglandwirtschaft in Südtirol ist seit langem bedroht. Alleine im Jahr 2020 haben 6 Prozent der Milchlieferanten – das sind 275 Betriebe – ihre Tätigkeit eingestellt. Das entspricht dem europäischen Trend. Jedes Jahr werden in Europa 400.000 landwirtschaftliche Betriebe aufgelassen. Das sind alles Kleinbetriebe. Dafür entstehen neue größere Betriebe. Das ist der Strukturwandel. Zudem, wie unsere eigenen Studien zeigen, geht in Europa der Zu- und Nebenerwerb zurück. Andere Studien zeigen, um diesen Strukturwandel aufzuhalten, wären jährlich 300.000 Euro pro landwirtschaftlichen Arbeitsplatz vom Steuerzahler aufzubringen. <BR /><BR /><BR /><b>Dabei kann die Landwirtschaft ohnehin ohne Subventionen kaum überleben...</b><BR />Fischer: Das ist das Problem der Landwirtschaft im allgemeinen: Dass sie ein Sektor ist, der eigentlich schon seit der Gründung der Europäischen Union stark von Subventionen abhängt. Immerhin fließt ein Drittel des gesamten europäischen Haushalts in die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung – und trotz allem verlieren wir seit langem Betriebe. <BR /><BR /><BR /><b> Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler hat schon angekündigt, dass Italien auf die EU-Mittel für die Landwirtschaft etwas drauflegen wird und es auch Beiträge vom Land geben wird, um die aktuelle Krisensituation zu überwinden. Wie schnell müssen diese Mittel jetzt fließen?</b><BR />Fischer: Wir können nicht abschätzen, wie lange diese Situation sich noch ziehen wird. Aber wenn sich die Märkte auch in den nächsten Monaten nicht beruhigen und die Kosten weiter steigen, dann muss schnell gehandelt werden. Wie wir jetzt zum Beispiel beim Benzin gesehen haben, hat die Politik sehr wohl Möglichkeiten, wenn nötig schnell zu reagieren.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />