<BR /><BR /><b>Die Eckpfeiler der Steuerreform stehen. Die Details müssen aber erst über Verordnungen definiert werden. Kann man jetzt schon eine Bewertung abgeben: Wie gut bzw. „historisch“, wie es hieß, ist diese Reform wirklich?</b><BR />Peter Hilpold: Man kann der Regierung nicht den guten Willen absprechen, eine grundlegende Steuerreform anzugehen. Mit Maurizio Leo war ein führender Steuerrechtsexperte mit der Ausarbeitung der Leitlinien der Reform betraut worden. Das vorliegende Ermächtigungsgesetz überragt sicherlich die Reformbemühungen der letzten beiden Jahrzehnte bei weitem. Sie reicht aber nicht an jene des Jahres 1971, also an das Ermächtigungsgesetz 825/1971, heran, die tatsächlich eine fundamentale Modernisierung des italienischen Steuersystems in Gang setzte – allerdings mit vielen Irrungen und verfehlten Annahmen, die nachträglich immer wieder korrigiert werden mussten. Die extreme Formalisierung des italienischen Steuerrechts ist im Grunde auf das Jahr 1971 zurückzuführen.<BR /><BR /><b>Was sind die Pluspunkte der Reform? </b><BR />Walter Steinmair: Hinsichtlich der Pluspunkte würde ich gerade das Vorhaben anführen, dem Steuerpflichtigen konsensuale Lösungen anzubieten, Vergleichsmöglichkeiten angesichts von umständlichen Streitverfahren und einer Steuereinhebung, die in der überwiegenden Zahl der Fälle ergebnislos bleibt. Der Grundgedanke ist folgender: Sollen die Finanzbehörden die Einhaltung der vielfach unklaren und widersprüchlichen Steuernormen auf Punkt und Beistrich einfordern oder sollte mehr Pragmatismus obwalten, auch wenn dies einem strikt legalistischen Verständnis widerspricht?<BR /><BR /><embed id="dtext86-60793757_quote" /><BR /><BR /><b>Und die Schwachpunkte?</b><BR />Steinmair: Der zentrale Schwachpunkt liegt sicherlich in der vielfach fehlenden Präzision des Reformvorhabens. Vieles klingt nach Ankündigung. Ob und inwieweit diese Versprechen Umsetzung finden, muss offen bleiben.<BR /><BR /><b>Ziel wäre es ja, die Steuerlast zu senken. Kann man schon sagen, ob das spürbar gelingen wird? Und wenn ja, für wen? Wird auch der Mittelstand profitieren oder eher die unteren Einkommensschichten?</b><BR />Hilpold: Zu behaupten, die Steuerlast könne gegenwärtig generell gesenkt werden, ist ein leeres Versprechen. Dazu ist die Staatsverschuldung zu hoch und der Druck sowohl von Seiten der EU als auch der Finanzmärkte zu groß. Es kann versucht werden, die Steuerlastverteilung zu ändern, „gerechter“ zu gestalten. Doch was ist gerecht? Die Meinungen dazu gehen weit auseinander. Idealerweise sollte eine Steuerreform, die aufkommensneutral sein muss, zumindest Wachstumsimpulse setzen. Diesbezügliche Ansätze sind in diesem Reformpaket durchaus zu erkennen. <BR /><BR /><b>Wo zum Beispiel? </b><BR />Hilpold: Beispielsweise im Bereich der Gesellschaftsbesteuerung, die eine Senkung erfahren soll, wenn die Beschäftigtenzahl ausgeweitet wird.<BR /><BR /><embed id="dtext86-60793841_quote" /><BR /><BR /><b><BR />Zurück zur gerechten Verteilung der Steuerlast...</b><BR />Hilpold: Vom Ideal einer „gerechten“ Einkommensteuer, die alle Steuerpflichtigen in gleichem Maße und mit höherem Einkommen progressiv betrifft, haben wir uns lange schon entfernt. Das Einkommensteuersystem ist durchwirkt von Sonderregeln für einzelne Kategorien. Über weite Bereiche ist die Einkommensteuer bereits proportional bzw. pauschaliert worden.<BR />Steinmair: Für die untersten Einkommenskategorien sind tatsächlich verschiedene Begünstigungen vorgesehen. Wenn die Frage gestellt wird, ob der Mittelstand davon profitiert, dann muss vorab die Frage geklärt werden, was man unter Mittelstand verstehen soll. Nur ein Beispiel: Das – zugegebenermaßen sehr komplexe – System der Steuerabsetzbeträge soll umfassend reformiert und im Ergebnis in seinem Anwendungsbereich reduziert werden. Nach Maßgabe der bislang diskutierten Grenzwerte würden viele, die sich dem Mittelstand zugehörig fühlen, durch den Rost fallen. Dies würde aber den Kernbereich der italienischen Gesellschaft treffen und es ist jetzt schon abzusehen, dass der Widerstand gegen eine solche Reform groß sein wird. Der Mittelstand erwirtschaftet den Großteil des Steueraufkommens. Ein Entgegenkommen in diesem Bereich wäre leistungsfördernd, kostet aber sehr viel. Positiv zu beurteilen ist das Vorhaben, Begünstigungen für junge Menschen bis zu 30 Jahren einzuführen, und zwar über Steuererleichterungen, sowie die wirksamere Eingliederung der jungen Menschen in den Arbeitsmarkt zu fördern. Hier liegen in Italien gegenwärtig enormen Ressourcen brach – Ressourcen, die gerade eine rapide alternde Gesellschaft wie die italienische unbedingt nutzen muss.<BR /><BR /><embed id="dtext86-60793846_quote" /><BR /><BR /><b><BR />Ein Haken an der Steuerreform dürfte für das hoch verschuldete Italien voraussichtlich auch die Finanzierung sein. Nun will die Regierung eine Übergewinnsteuer für Banken einführen. Was halten Sie davon? </b><BR />Hilpold:Eine solche Steuer hat eine stark populistische Konnotation, gerade wenn man sich die Krisenanfälligkeit des italienischen Bankensektors vor Augen führt. Zudem finanzieren die italienischen Banken einen erheblichen Teil des italienischen Staatsdefizits. <BR /><BR /><b>Weil sie die meisten Staatspapiere halten....</b><BR />Hilpold: Sowohl der italienische Staat als auch die italienische Volkswirtschaft sind auf ein solides, funktionierendes Bankensystem angewiesen. Hinzu kommt dann noch die überfallsartige Initiative. Eine solche Initiative trägt Unsicherheit in den italienischen Markt. Wie wir gesehen haben, reagieren die internationalen Finanzmärkte äußerst sensibel auf solche Maßnahmen. Mit einem solchen Ad-hoc-Eingriff ist die Gefahr verbunden, dass sich die Regierung einen wahren Bärendienst erwiesen hat, auch wenn die Abschöpfung kurzfristig Stimmen bringen mag.<BR /><BR /><b>Zuerst eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne, dann für Banken. Das Mitleid der meisten Steuerzahler mit diesen Branchen wird sich zwar in Grenzen halten, doch die Frage stellt sich schon: Wer kommt als Nächstes?</b><BR />Steinmair: Genau so sehe ich es auch. Unsicherheit ist Gift für den Markt. Wenn der Wirtschafts- und Finanzplatz Italien gestärkt werden soll, dann brauchen wir mehr Berechenbarkeit und Planbarkeit. Leider ist die italienische Steuerpolitik immer wieder eine Spielwiese für populistische Initiativen. Man wird eine Grundsatzentscheidung treffen müssen: Stellen wir auf kurzfristige Erfolge bei politischen Umfragen ab, oder betreiben wir eine langfristige Stabilitätspolitik?<BR /><BR /><embed id="dtext86-60793848_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Ein wichtiger Passus der Reform betrifft Südtirol. Die entsprechende Bestimmung sieht vor, dass der Staat verpflichtet ist, nach einem Einvernehmen mit Südtirol zu suchen, wenn die Umsetzung der Steuerreform zu Mindereinnahmen für Südtirol führt. Ein ausreichender Schutz?</b><BR />Hilpold: Ich denke, wir sollten uns weniger darüber Sorgen machen, wie viel wir an Steuern einheben können, als darüber, wie wir besteuern und was mit diesen Mitteln geschieht. <BR /><BR /><b>Wie meinen Sie das?</b><BR />Hilpold: Haben wir die Möglichkeit, eigenständig Wachstumsimpulse zu setzen? Sind wir imstande, über die Einnahmen- und die Ausgabenpolitik des Landes einen starken Mittelstand zu erhalten, Bezieher niedriger Einkommen am Wohlstand partizipieren zu lassen und insbesondere auch einer weiteren Verarmung im Lande entgegenzuwirken?<BR />Steinmair: Ich bin auch der Auffassung, dass wir neue, integrative Ansätze brauchen. Die Spaltung der Gesellschaft ist auch in Südtirol schon viel zu weit gegangen. Wir bräuchten eine echte Sozialpartnerschaft gerade auch in Steuerfragen, einen „Runden Tisch“, an dem Grundsatzfragen der Steuerpolitik besprochen werden. Die aktuellen Kontroversen rund um die „Super-GIS“ zeigen, dass auch der Steuerföderalismus kein Allheilmittel darstellt, wenn einzelne Kategorien gegeneinander ausgespielt werden. Im Rahmen der aktuellen italienischen Steuerreformdiskussion wurde angekündigt, Impulse für den Zuzug von hochqualifizierten oder wohlhabenden Ausländern zu setzen bzw. Landsleute über besondere Förderungen zurückzuholen, das heißt, sich aktiv den Herausforderungen des internationalen Steuerwettbewerbs zu stellen. Weshalb werden wir als Grenzregion, die zu Recht auf<BR />ihre Autonomie so stolz ist, nicht gegenüber Rom aktiv, um diesbezüglich spezielle Sonderregeln für Südtirol zu erwirken – wie sie für süditalienische Regionen gelten?