Das sagt der Steuerexperte und Universitätsprofessor Peter Hilpold.<BR /><b><BR />Herr Professor Hilpold, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni spricht von einer „Wende für Italien“, „einer epochalen, strukturellen und organischen Reform“. Ist diese Steuerreform das wirklich? </b><BR />Peter Hilpold: Bislang wollte sich noch jede Regierung in der Steuerpolitik ein Denkmal setzen. Ich würde die Tragweite dieser Steuerreform im mittleren Bereich ansetzen. „Epochal“ ist sie nicht. Sie erreicht sicherlich nicht die Dimension jener des Jahres 1971. Aber sie enthält doch einige wichtige Weichenstellungen, die Ausdruck einer Neuorientierung sind.<BR /><BR /><b>Was sind aus Ihrer Sicht die besten Neuerungen der Reform? </b><BR />Hilpold: Die Orientierung hin zur Flat Tax ist bestimmt wegweisend. Die Progressivität der Einkommensteuer wird immer weiter abgeflacht und das ist eine Tendenz, die europaweit festzustellen ist. Man hat erkannt, dass eine hohe Progressivität in erster Linie die Arbeitnehmer trifft und leistungsfeindlich ist. Interessant ist sicherlich auch die Tendenz, die Höhe der Steuerlast immer mehr im Vergleichswege festzustellen, nun sogar im Voraus, über einen für 2 Jahre geltenden Vorabvergleich. Dies bedeutet schon eine sehr weitreichende Abkehr von den Grundsätzen, die die Steuerreform des Jahres 1971 bestimmt haben und die im Grunde den Schritt vom „alten“ Steuerrecht in das „moderne“ Steuersystem bedeuteten. 1971 glaubte man noch, die Steuerpflicht mathematisch genau bestimmen zu können. Nun hat, auch angesichts einer enormen Steuerhinterziehung, Pragmatismus Einzug gehalten. Einige weitere Maßnahmen sollen das italienische Steuersystem vereinfachen. Da liegt aber noch ein weiter Weg vor uns.<BR /><BR /><b>Geplant ist, schrittweise zu einer Flat Tax für alle (Arbeitnehmer, Pensionisten und Selbständige) zu kommen. Weiß man schon, wie hoch sie sein wird?</b><BR />Hilpold: Das ist, wie vieles an diesem Reformvorhaben, noch offen. Die Grenzen werden von den budgetären Möglichkeiten gezogen. Und diese sind gegenwärtig sehr sehr eng.<BR /><BR /><b>Als Übergangslösung zur Flat Tax werden die Irpef-Klassen reduziert. Wer profitiert? </b><BR />Hilpold: Geplant ist, die „Einstiegsklasse“ mit dem Steuersatz von 23 Prozent bis auf ein Einkommen von 28.000 Euro auszudehnen. Davon profitieren die unteren und mittleren Einkommensklassen sehr stark. Diese Reform kommt gleichzeitig aber auch Beziehern höherer Einkommen zugute. Absolut betrachtet in gleichem Maße, prozentuell natürlich weniger.<BR /><BR /><b>Ein Kritikpunkt an der Flat Tax ist, dass laut Verfassung die Einkommensteuer progressiv gestaltet sein muss. Wie will man dieses Problem lösen?</b><BR />Hilpold: Artikel 53 Absatz 2 der Verfassung ist eine sehr „weiche“ Bestimmung, deren Tragweite sehr umstritten ist. Sie wird in der Substanz schon lange nicht mehr beachtet. Man wird einen Weg finden, um formal dieser Vorgabe Genüge zu tun. Sie ist allerdings auch Ausdruck einer Philosophie aus dem vorigen Jahrhundert, die heute vielfach kritisch gesehen wird. <BR /><BR /><b>Aktuell gibt es über 600 verschiedene Steuerabzugs- und -abschreibungsmöglichkeiten. Was ist in diesem Punkt geplant? </b><BR />Hilpold: Das ist ein sehr heikles Thema. Die Regierung hat erkannt, dass Einschränkungen der Absetzmöglichkeiten die Steuerbemessungsgrundlage erheblich erweitern könnten. Im Grund ist dies eine der wenigen Möglichkeiten, überhaupt Gestaltungsspielräume für eine Steuersenkung zu finden. Allerdings sind die Handlungsmöglichkeiten in diesem Bereich eher theoretischer als praktischer Natur. Denn wir dürfen nicht vergessen: Gerade über diese Absetzmöglichkeiten, die sogenannten „tax expenditures“, wird die Besteuerung sozial gestaltet, werden viele Unzulänglichkeiten im öffentlichen Sektor – beispielsweise was den Zugang zu Sanität und Ausbildung oder die unzureichende Unterstützung der Altenpflege angelangt – gemildert. Die Regierung hat deshalb schon angekündigt, gerade diese Bereiche von einer Einschränkung der Abzugsmöglichkeiten auszunehmen. Nur reduziert sich dann damit wiederum das zusätzliche Steueraufkommen sehr stark.<BR /><BR /><b>Die Reform sieht auch die Abschaffung der Wertschöpfungssteuer Irap vor, was Unternehmen freuen wird...</b><BR />Hilpold: Kein Zweifel: Die Irap war von Anfang an – und sie ist es trotz vielfacher Abmilderungen nach wie vor – eine der meistgehassten Steuern in Italien. Ihre Abschaffung bringt politische Bonuspunkte. Allerdings stellt sich die Frage, wie dann insbesondere die Regionen diesen Steuerausfall kompensieren wollen. Nicht zuletzt fällt damit eine der zentralen Säulen für die Finanzierung des Sanitätswesens weg.<BR /><BR /><b>Sie haben es bereits angesprochen: Die Regierung will auch ein besseres Verhältnis zu den Steuerzahlern etablieren – Stichwort Vorabvergleich (concordato preventivo), bei dem die Steuer für Betriebe 2 Jahre im Voraus festgelegt wird. Wie ist diese Maßnahme zu bewerten?</b><BR />Hilpold: Hierbei handelt es sich um ein sehr spannendes, innovatives Instrument. Kritisiert wird daran, dass damit die gleichzeitig eingeführten Maßnahmen zur Intensivierung der Steuerkontrollen an Bedeutung verlieren. Viel wird von der konkreten Umsetzung abhängen: Eine maßvolle Anwendung kann den Steuerpflichtigen Planungssicherheit und dem Staat eine gewisse Stabilität der Steuereinnahmen sichern. Auch hier zeigt sich aber: Von einer mechanistischen Anwendung des Leistungsfähigkeitsprinzips der Verfassung (Art. 53) entfernen wir uns immer mehr. Die Steuerpolitik wird immer pragmatischer und weniger dogmatisch. Politisch-ideologisch kann dies natürlich unterschiedlich gewertet werden.<BR /><BR /><b>Erklärtes Ziel der Regierung ist es, den Steuerdruck zu senken, das System zu vereinfachen, Investitionen und Beschäftigung zu begünstigen. Das klingt sehr gut, doch kann das auch tatsächlich erreicht werden? Und vor allem: Werden wir, wenn die Reform einmal umgesetzt ist, wirklich spürbar weniger Steuern zahlen?</b><BR />Hilpold: Bis zu einem bestimmten Punkt sind Steuerreformen immer ein Null-Summenspiel: Belastungsminderungen auf der einen Seite müssen an anderer Stelle wieder kompensiert werden. Eine rationale, vernünftige Steuerreform kann aber auch einen wirklichen Mehrwert schaffen. Insbesondere durch eine effizientere Gestaltung der Steuerverwaltung, durch verständlichere Normen, durch mehr Planungssicherheit für die Steuerpflichtigen, durch konkrete Leistungsanreize. Einiges davon findet sich sicherlich in diesem Reformvorhaben.<BR /><BR /><b>Wie immer stellt sich die Frage: Kann Italien die Kosten für diese Reform überhaupt stemmen?</b><BR />Hilpold: Wie gesagt, ist die konkrete Ausgestaltung dieser Steuerreform noch in vielen Bereichen offen. Es ist davon auszugehen, dass die Regierung versuchen wird, eine weitgehende Aufkommensneutralität zu garantieren. Wenn diese Reform angesichts einer sehr angespannten Haushaltslage einen Unterschied machen kann, dann wohl nur über die effizientere Gestaltung des Steuersystems insgesamt und kaum über eine unmittelbare Minderung der Steuerbelastung.<BR /><BR /><b>Bis wann sollte die gesamte Reform in Kraft sein?</b><BR />Hilpold: Die Regierung hat sich einen Zeitrahmen von 24 Monaten für die Umsetzung gesetzt. Dieser Rahmen ist üblich – und wurde bislang noch in Bezug auf kein Reformvorhaben eingehalten. Die vollumfängliche Umsetzung dieser Reform – beispielsweise was die Neuordnung der gesamten Steuergesetze anbelangt – ist wohl auch diesmal nicht zu erwarten. Andererseits wären diesmal die politischen Mehrheiten gegeben, konkret Entscheidendes voranzubringen, insbesondere was die allseits geteilte Forderung anbelangt, das italienische Steuersystem effizienter, transparenter, verständlicher und damit in entscheidenden Punkten zeitgemäßer zu gestalten.<h3> Hier die wichtigsten Punkte im Überblick:</h3><div class="img-embed"><embed id="876878_image" /></div> <BR /><BR />