Daumen hoch, Daumen runter? Das sagt Unternehmerverbands-Chef Federico Giudiceandrea zu den Strategien der Politik im Kampf gegen das Virus – genau ein Jahr nach Auftreten des ersten Falles in Südtirol.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><i>Von Rainer Hilpold</i><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Vom ersten Fall zum ersten Lockdown ging alles ganz schnell. Zur Normalität haben wir bis heute nicht zurückgefunden. Welches Zeugnis stellen Sie den politischen Coronamanagern auf den verschiedenen Ebenen aus?</b><BR />Federico Giudiceandrea: In letzter Zeit ist der Südtiroler Weg ziemlich heftig kritisiert worden. Ich wäre damit etwas vorsichtiger. Unterm Strich konnten wir nämlich in vielen Bereichen der Wirtschaft mehr Tage arbeiten als in anderen Regionen. Zum Beispiel war es für den Handel durchaus wichtig, dass er den Winterschlussverkauf nicht völlig ausfallen lassen musste. Auch wir in der Industrie pausierten nur für eine vergleichsweise kurze Zeit. Dieses Coronajahr war für alle ein sehr sehr schweres Jahr, die Situation war für alle neu und immer wenn man meinte, die Situation einigermaßen in den Griff zu bekommen bzw. so etwas wie Planbarkeit zu erreichen, folgte die nächste Überraschung. Das war zuletzt aufgrund der neuen Corona-Mutationen der Fall. Ich bin froh, dass ich diese schwierigen Abwägungen zwischen Wirtschaft und Gesundheit nicht politisch verantworten muss. <BR /><BR /><BR /><b>War der Südtiroler Sonderweg also möglicherweise doch richtig?</b><BR />Giudiceandrea: Ich würde es so sagen: Abgerechnet wird am Schluss. Und ich halte es durchaus für möglich, dass Südtirols Wirtschaft im Ganzen auch wegen des Sonderweges besser aussteigen könnte als andere Regionen. Ich will damit nicht sagen, dass alles richtig war und keine Fehler gemacht wurden. Aber, wie gesagt, es gab keine Erfahrungswerte und ich finde, dass man das insgesamt ganz gut gemanagt hat.<BR /><BR /><BR /><b>Bei den Hilfszahlungen blickten viele Betriebe neidvoll in Richtung Österreich, Deutschland und Schweiz…</b><BR />Giudiceandrea: Ja, aber auch da muss man so fair sein und sagen, dass Südtirol da einfach das Pech hat, im Staate Italien zu sein. Finanziell gesehen hat Italien nun einmal deutlich weniger Spielräume als andere Länder. Auch Rom hat nicht unbedingt einen schlechten Job gemacht in dieser Coronakrise, immer im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten, die da waren. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-48031813_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Was war aus Ihrer Sicht die größte Enttäuschung im Coronamanagement bislang?</b><BR />Giudiceandrea: Alles was mit der Impfstoffbeschaffung zu tun hat. Man hat in Rekordzeit sehr gute Impfstoffe entwickelt, eine bemerkenswerte Forschungsleistung, aber die Beschaffung war und ist noch immer eine Katastrophe. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Ein hauptsächlich europäisches Problem…</b><BR />Giudiceandrea: Ja. Die EU hat da eine erschreckend schlechte Figur abgeben. Dass man nicht imstande war, die Sache mit den Impfstoffen ordentlich zu regeln, hat mich ungemein enttäuscht. Vielleicht wäre es besser gewesen, Unternehmer dazuzuholen bei den Verhandlungen mit den Impfstoffherstellern, dann wäre sehr wahrscheinlich das Ergebnis besser ausgefallen und wir wären nicht noch immer an dem Punkt, an dem wir heute sind. Dass es anders geht, haben Israel oder auch Großbritannien bewiesen, die offenbar geschickter verhandelt haben. Das muss man ganz offen sagen.<BR /><BR /><BR /><BR /><b>Aktuell ist die EU-Kommission um Wiedergutmachung bemüht...</b><BR />Giudiceandrea: Das ist auch nötig. Europa kommen diese Versäumnisse und das zu zögerliche Verhandeln ungemein teuer zu stehen. Allein Südtirol entstehen mit jedem Lockdown-Tag wirtschaftliche Schäden in Höhe von 10 Millionen Euro. Die Versorgung der Südtiroler mit Impfstoffen kostet an die 20 Millionen Euro, das heißt: 2 Lockdowntage kosten die Allgemeinheit gleich viel wie ein Impfangebot für die gesamte Bevölkerung. Daran sieht man schon, wie schwer die Probleme in der Impfstoffbeschaffung wiegen.<BR /><BR /><BR /><b>Bis wann rechnen Sie mit einer Entspannung der Lage?</b><BR />Giudiceandrea: Theoretisch ist es möglich, in einer Woche bis zu 300.000 Menschen zu impfen. Das heißt, man könnte bei ausreichend Impfstoff die Südtiroler relativ schnell durchimpfen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass wir bis zum Sommer eine wesentliche Entspannung erreicht haben werden. Interessant wird dann die Frage nach dem mittel- bis langfristigen Coronamanagement. Wie soll es im Herbst weitergehen, wer muss dann nochmal geimpft werden, wie sieht die Teststrategie aus usw.? Was die grundsätzlichen Hygiene-, Abstands- und Sicherheitsregeln angeht, kann ich mir gut vorstellen, dass sie uns noch 2 bis 3 Jahre begleiten könnten. Wir werden also lernen müssen, irgendwie mit dem Virus zu leben.