Was sich Unternehmer und Arbeitnehmer davon erwarten können, erklärt Peter Hilpold, Steuerexperte und Professor an der Universität Innsbruck. <BR /><BR /><b>Herr Professor Hilpold, wie schätzen Sie Melonis Ankündigungen ein?</b><BR />Peter Hilpold: In steuerpolitischer Hinsicht war die Regierungserklärung von Frau Meloni erstaunlich moderat. Die von ihr in diesem Bereich vorgetragenen Programmpunkte sind in vielem noch vage gehalten, aber sie lassen doch eine Stoßrichtung erkennen, die nur graduelle Änderungen andeutet. In zentralen Bereichen scheint Giorgia Meloni die Politik der Vorgängerregierung fortführen zu wollen.<BR /><BR /><b>Schauen wir uns die Aussagen im Detail an: Meloni hat unter anderem angekündigt, den sogenannten Steuerkeil reduzieren zu wollen, damit den Bürgern mehr netto vom brutto bleibt – eine Maßnahme, die die Sozialpartner schon lange fordern. Konkret war von einer 5-prozentigen Senkung die Rede. Würde das für die Arbeitnehmer eine spürbare Entlastung bringen?</b><BR />Hilpold: Bereits die Regierung Draghi hatte solche Maßnahmen angekündigt. Meloni möchte diese Überlegungen fortführen. Zweifelsohne: Eine 5-prozentige Senkung des Steuerkeils wäre eine spürbare Maßnahme, aber ich glaube, man muss hier sehr viel Augenmerk auf die Ankündigung legen, dass solche Reformen „schrittweise“ erfolgen sollen. Wohl nach Maßgabe der Finanzierbarkeit und diese ist gegenwärtig schwer erkennbar.<BR /><BR /><b>Im Wahlkampf versprach Meloni: Je mehr Mitglieder eine Familie hat, desto weniger Steuern soll sie zahlen. Umsetzen will sie das, wie sie in der Regierungserklärung sagte, über eine Irpef-Reform mit einer schrittweisen Einführung des sogenannten Familienquotienten. Dabei wird das Gesamteinkommen einer Familie herangezogen und ins Verhältnis zur Anzahl der Familienmitglieder gesetzt. Was halten Sie davon?</b><BR />Hilpold: Die Familienpolitik scheint für Frau Meloni tatsächlich ein zentrales Anliegen zu sein, wobei sich hier möglicherweise sozialpolitische und ideologische Motive vermengen. An und für sich wäre dies sicherlich eine Maßnahme, die zu begrüßen wäre. Die italienische Verfassung schützt explizit die Familie. Steuerpolitisch wurde hier in der Vergangenheit aber sehr wenig getan, anders als etwa in Deutschland oder in Österreich. Der italienische Verfassungsgerichtshof hat die Regierung schon mehrfach angemahnt, hier tätig zu werden, hat sich aber selber nicht für zuständig erachtet, familienpolitisch unsensible Steuergesetze aufzuheben.<BR /><BR /><b>Natürlich durfte das Thema Flat Tax in der Regierungserklärung nicht fehlen: Sie soll für kleine Betriebe ausgeweitet werden – von einem Umsatz von bisher 65.000 Euro auf 100.000 Euro ...</b><BR />Hilpold: Auch das ist eine Forderung, die schon seit langem auf dem Tisch liegt und gerade auch von Zentrumspolitikern befürwortet wird. Die Schwelle von 65.000 Euro ist tatsächlich niedrig angesetzt. Eine solche Initiative, die nach ersten Berechnungen nicht einmal zu größeren Einnahmeausfällen führen würde, wäre auch wachstumspolitisch zu befürworten.<BR /><BR /><b>Gleichzeitig will Meloni eine generelle Flat Tax einführen, aber nur für den Teil des Einkommens, der den Höchstwert der vorangegangenen 3 Jahre überschreitet. Sie sprach von einer „sinnvollen Maßnahme mit begrenzten Auswirkungen auf den Staatshaushalt“. Ist das so? </b><BR />Hilpold: In der vorgeschlagenen Form ist die Flat-Tax-Regelung in der Vergangenheit auch von Zentrumspolitikern befürwortet worden und sie wäre – zumindest politisch – in mehrfacher Hinsicht attraktiv: Zum einen könnten damit Wachstumsanreize gesetzt werden, denn nur wer mehr Einkommen erzielt als im Dreijahres-Zeitraum davor, kommt in den Genuss dieser Steuererleichterung. Zum anderen kann ein Anreiz für mehr Steuerehrlichkeit geboten werden, denn die Erklärung zusätzlicher Einkommen zieht keine größere zusätzliche Steuerbelastung nach sich. Und schließlich könnte eine solche Maßnahme koalitionsintern als Zugeständnis an die gegenwärtig etwas unzufriedene Lega verkauft werden: Damit könnte ein Steckenpferd gerade dieser Gruppierung, zumindest formal, umgesetzt werden. Ob eine solche Maßnahme aber tatsächlich zu größeren Steuerentlastungen führen würde, steht auf einem anderen Blatt, gerade angesichts des sich abzeichnenden Wirtschaftseinbruchs. Hier dürfte wohl mehr Schein als Substanz gegeben sein.<BR /><BR /><b>Was Unternehmer freuen dürfte: Meloni untermauerte ihre Wirtschaftsfreundlichkeit und betonte, dass man Unternehmen unterstützen und fördern müsse, und nicht schikaniert gehörten. Wer die italienische Bürokratie kennt, wird sich denken: Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube...</b><BR />Hilpold: Vielleicht kann man in dieser Ankündigung aber auch tatsächlich Größeres erkennen, insbesondere wenn man sie in Verbindung bringt mit dem Thema der Steuerkontrollen und der Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Diesbezüglich findet sich in der Regierungserklärung die Ankündigung, dass schwerpunktmäßig Großunternehmen kontrolliert und besonders schwerwiegende Steuerhinterziehung verfolgt werden sollen. Gerade bei Kleingewerbetreibenden bedeuten Steuerkontrollen oft eine extreme Belastung. Es wurde auch in der Steuerrechtslehre die Position vertreten, dass exzessive Härte in diesem Bereich viele Steuerpflichtige in den Ruin treiben würde, mit großen sozialen Kosten für die Allgemeinheit. Die Frage ist, ob hier ein pragmatischer Ansatz gefunden werden kann, der die Steuermoral nicht untergräbt, insbesondere aber für Steuerpflichtige, die am Existenzminimum arbeiten, eine gewisse Entlastung mit sich bringt. Auch dies im Grunde ein Programmpunkt, der schon lange, auch von sehr gemäßigter Seite, vertreten wird.<BR /><BR /><b>Die Frage, die sich wohl viele stellen: Wie will Meloni diese Maßnahmen finanzieren?</b><BR />Hilpold: Das ist sicherlich die Kernfrage. Einen gewissen steuerpolitischen Gestaltungsspielraum gibt es immer. Man muss sich aber immer vor Augen halten, dass solche Reformen auch mit Umverteilungswirkungen verbunden sind. Sollten die Reformen mit zusätzlicher Verschuldung verbunden sein – die aber EU-rechtlich kaum möglich erscheint – , so wäre das auch eine Umverteilung zwischen den Generationen. Und in der gegenwärtigen Situation wäre das nicht einmal ein „Nullsummen-Spiel“ – zwischen unterschiedlichen Steuerpflichtigen oder zwischen den Generationen. Denn Italien muss vorsichtig sein, was die Abkehr vom „Pfad der Tugend“ anbelangt, der insbesondere zuletzt von der Regierung Draghi eingeschlagen worden ist. Die Finanzmärkte würden jedes Abenteuer bestrafen, zum Schaden von ganz Italien. Und damit wäre für Verteilung oder Umverteilung noch weniger vorhanden.<BR /><BR /><b>Für Südtirol besonders interessant ist natürlich Melonis Zusage, sich mit der Wiederherstellung der Autonomiestandards befassen zu wollen, die zur Streitbeilegung vor den Vereinten Nationen im Jahr 1992 geführt haben. Wie bewerten Sie diese Aussage?</b><BR />Hilpold: Eine in dieser Form wohl unerwartete Überraschung für Südtirol. Auf dieser Grundlage könnten die Einschränkungen der Autonomie wieder rückgängig gemacht werden. Wenn gleichzeitig alle Zugeständnisse, die Südtirol seit 1992 gewährt worden sind, beibehalten werden können, dann wäre das natürlich wunderbar. All dies soll im Wege von „Verhandlungen“ geschehen, das heißt, dass wohl nicht alles wieder auf den Stand von 1992 gebracht werden soll. Die größten Auswirkungen hätte wohl ein weiterer Ausbau der Finanzautonomie und die Revision des „Mailänder Abkommens“ aus 2009, mit dem Südtirol große finanzielle Zugeständnisse machen musste. Es wird sich also erst weisen müssen, ob hier wirklich substanzielle Zugeständnisse gemacht werden, die potentiell allen Südtirolerinnen und Südtirolern zugutekommen.<BR /><BR /><b>Ihr abschließendes Urteil?</b><BR />Hilpold: Insgesamt ist die Erklärung von Giorgia Meloni eher ausgewogen ausgefallen. Für Südtirol wurden neue Handlungsspielräume eröffnet. Offen ist, ob sie diese Haltung auch in der Regierungskoalition auf Dauer durchsetzen kann. Der fehlende Applaus bei den Ankündigungen betreffend Südtirol ist nicht unbedingt ein positives Vorzeichen. Darüber hinaus werden die nationalen Handlungsspielräume ohnehin immer enger: JPMorgan-Chef Jamie Dimon hat beispielsweise erklärt, er mache sich weniger Sorgen wegen einer Rezession – die habe es auch in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Es seien vielmehr die außergewöhnlichen geopolitischen Anspannungen, die besorgniserregend seien. Und auf diese hat Italien – trotz aller Bekenntnisse zu NATO und zur Ukraine – nur begrenzte Einflussmöglichkeiten.<BR /><BR />