<b>von Daniel Gros</b><BR /><BR /> Doch es gibt kaum aktuelle Belege für diese Auffassung, aus dem einfachen Grund, dass die globalen Zölle in den letzten Jahrzehnten auf sehr niedrigem Niveau lagen – in den meisten Industrieländern bewegen sich die durchschnittlichen Zollsätze im niedrigen einstelligen Bereich. Warum also herrscht ein so breiter Konsens?<h3> Die Geschichte zeigt: Zölle helfen nicht</h3>Zum einen gab es in der Zwischenkriegszeit – in den 1920er- und 1930er-Jahren – sehr hohe Zölle, doch es gibt keine Hinweise darauf, dass diese die Leistungsbilanz eines Landes verbessert hätten. <BR /><BR />Die USA hatten einen Handelsüberschuss, als Präsident Herbert Hoover das berüchtigte Smoot-Hawley-Zollgesetz von 1930 erließ. Der weltweite Handel brach daraufhin stark ein – aber die US-Handelsbilanz verbesserte sich nicht.<BR /><BR />Auch ohne aktuelle empirische Belege können Ökonomen glaubwürdige Schlussfolgerungen ziehen, weil die Bestimmungsfaktoren der Leistungsbilanz bekannt sind: die Differenz zwischen gesamtwirtschaftlichem Sparen und Investieren.<BR /><BR />In den USA liegt die nationale Sparquote bei 17 Prozent des BIP. In der Europäischen Union beträgt sie rund sieben Prozentpunkte mehr, also 24 Prozent des BIP. Da beide großen Wirtschaftsräume ähnliche Investitionsquoten haben, schlägt sich der Unterschied im Sparen nahezu direkt in der Leistungsbilanz nieder: Die USA verzeichneten 2024 ein Defizit von fast 4 Prozent des BIP, während die EU einen Überschuss von 2,7 Prozent erzielte.<h3> Trumps Fokus auf Warenhandel greift zu kurz</h3>Zwar richten sich die Zölle der Trump-Regierung – insbesondere die „reziproken“ Zölle, die am 2. April angekündigt und am 9. April wieder „pausiert“ wurden – in erster Linie auf den Warenhandel, der aber nur ein Teil der Leistungsbilanz ist. <BR /><BR />Die anderen Komponenten – Dienstleistungsbilanz und Erwerbs- bzw. Kapitaleinkommen – sind deutlich kleiner und in der Regel stabiler.<BR /><BR />Zwei Entwicklungen könnten die Leistungsbilanz eines Landes rasch verbessern: ein starker Anstieg der Ersparnisse oder ein deutlicher Rückgang der Investitionen. Trumps Zölle könnten dies erreichen, wenn sie das Vertrauen weiter untergraben – insbesondere wenn sie eine Rezession auslösen. <BR /><BR />Anhaltende Unsicherheit könnte Investitionen bremsen, und steigende Importpreise könnten die Konsumausgaben senken, bis mehr Klarheit über Preise und Verfügbarkeit von Gütern besteht.<h3>Handelsabkommen statt Eskalation?</h3>Diese Klarheit dürfte bald eintreten – vermutlich innerhalb weniger Monate. Denn die Trump-Regierung kündigt bereits Handelsabkommen an, etwa mit dem Vereinigten Königreich, das nach nur wenigen Tagen Verhandlung erzielt wurde. Gleichzeitig wurden massive Zölle auf chinesische Importe vorübergehend ausgesetzt. <BR /><BR />Angesichts von Trumps ausgeprägter Vorliebe für Deals und seiner geringen Bereitschaft, radikale Ergebnisse zu liefern, dürften vor Ablauf der dreimonatigen Aussetzung seiner „reziproken“ Zölle noch viele weitere Abkommen folgen.<h3>Ein kurzfristiger Effekt, aber kein struktureller Wandel</h3>Mit abnehmender Unsicherheit dürfte sich das bekannte Muster in den USA wieder einstellen: niedrige Ersparnisse und hohe Investitionen – zumal amerikanische Unternehmen ihre Dominanz im Bereich Künstliche Intelligenz behaupten. Selbst wenn sich die US-Leistungsbilanz kurzfristig verbessert, wird das strukturelle Defizit wahrscheinlich bestehen bleiben – ebenso wie die Überschüsse anderer großer Volkswirtschaften wie China, der EU oder Japan.<BR /><BR /><BR />Auch wenn Trumps Zölle keinen dauerhaften Einfluss auf die US-Leistungsbilanz haben werden, können sie doch bilaterale Handelsbilanzen stark verändern. Das ist bereits geschehen: Seit 2018, als Trumps erste Amtszeit mit hohen Zöllen auf China begann, ist der Anteil Chinas an den US-Importen von über 21 auf rund 14 Prozent gefallen. Gleichzeitig ist Chinas Anteil an den EU-Importen leicht gestiegen – von etwa 20 Prozent im Jahr 2018.<h3> Trumps Obsession mit bilateralen Bilanzen</h3>Diese Verringerung des US-Defizits gegenüber China könnte für Trump bereits ausreichend sein – denn er ist auf bilaterale Handelsbilanzen fixiert und nutzt sie als Grundlage für seine „reziproken“ Zollentscheidungen. <BR /><BR />Die jüngsten Handelsgespräche zwischen den USA und China führten zu einer vorläufigen Einigung, wonach beide Länder ihre Importzölle – zumindest vorübergehend – deutlich senken. Dennoch bleiben die US-Zölle auf chinesische Waren während der vereinbarten 90-tägigen „Pause“ 30 Prozent höher als zu Jahresbeginn.<BR /><BR />Infolgedessen dürften die chinesischen Exporte in die USA weiter zurückgehen – chinesische Produzenten werden US-bestimmte Waren verstärkt in andere Märkte, insbesondere in die EU, umleiten. Der Anstieg der China-Importe in diese Märkte wird jedoch keine Auswirkungen auf deren Spar- und Investitionsverhältnisse haben, da entweder Importe aus anderen Ländern sinken oder Exporte – auch nach China – steigen. Länder mit den niedrigsten US-Zöllen werden höhere bilaterale Handelsüberschüsse mit den USA erzielen, während ihre Bilanzen mit China und anderen Ländern sich verschlechtern.<h3>Neue Herausforderungen für das globale Handelssystem</h3>Es steht also eine umfassende Umverteilung bilateraler Handelsbilanzen bevor. Dieser Prozess verlangt große Anpassungsfähigkeit von der Industrie, die ihre Produktion auf neue Nachfrageverhältnisse in verschiedenen Märkten ausrichten muss. <BR /><BR />Gleichzeitig sind politische Entscheidungsträger gefordert, dem Impuls zu widerstehen, ihre Märkte vor „plötzlich“ steigenden Importen etwa aus China zu schützen. Diese Verschiebungen in den Handelsströmen zwischen Nicht-US-Märkten stellen eine breiter gestreute – und womöglich größere – Herausforderung für das globale Handelssystem dar als die direkten Folgen der US-Zölle.<BR /><BR /><i>Daniel Gros ist Direktor des Institute for European Policymaking an der Bocconi-Universität.</i>