Im Interview beleuchtet Harald Mair, Präsident des Vereines Noiland, der das Buch herausgegeben hat, die wirtschaftliche Seite der Unabhängigkeit. <BR /><b><BR />Herr Mair, im Buch „Kann Südtirol Staat?“ gehen Sie auf die einzelnen Schritte ein, die auf dem Weg zur Staatswerdung notwendig wären. Aber warum sollte Südtirol Ihrer Ansicht nach überhaupt ein eigenständiger Staat werden?</b><BR />Harald Mair: Allen Lobeshymnen zum Trotz handelt es sich bei der derzeitigen Südtirolautonomie um eine unvollständige Teilautonomie. In den letzten Jahren wurden zudem viele Zuständigkeiten entscheidend gekürzt. Derzeit scheint dieser Trend auch weiter zu gehen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht aus den Medien entnehmen kann, dass Südtirol irgendein Problem mit dem Zentralstaat hat. Italien muss die Staatsregelungen für unterschiedliche Realitäten wie Sizilien und Südtirol gleich gestalten. Ein eigenständiger Staat Südtirol könnte seine Politik und Gesetzgebung viel besser auf unsere Realität zuschneiden. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass ein eigener Staat jedem Bürger konkrete Vorteile bringen würde, zum Beispiel auch wirtschaftliche. Italien steht in vielen Bereichen europa- und weltweit nicht besonders gut da, wie viele Statistiken eindrucksvoll belegen. Man denke dabei zum Beispiel an die viele Bürokratie, die Rechtsunsicherheit und die hohen Staatsschulden. Diese negative Entwicklung hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten verfestigt und es ist weiterhin keine Trendumkehr zu erkennen. Nicht zuletzt beschreiben wir im Buch auch Modelle, wie das Zusammenleben der Sprachgruppen in einem eigenen Staat besser gestaltet werden könnte als heute, dazu orientieren wir uns auch an der Schweiz.<BR /><BR /><embed id="dtext86-61116146_quote" /><BR /><BR /><b>Neben den politischen und rechtlichen Hürden, zum Beispiel eine Verfassungsänderung, die bewältigt werden müssten, stellt sich die Frage, wie es um die Finanzen Südtirols stehen würde: Könnte sich das Land selbst finanzieren und wenn ja, wodurch?</b><BR />Mair: Für das Buch wurde auf der Grundlage der heutigen Kennwerte ein hypothetischer Staatshaushalt errechnet. Südtirol ist bereits heute in Bezug auf die Steuern Nettozahler in Italien. Zusätzlich kommen jährlich noch rund 750 Millionen Euro hinzu, mit denen Südtirol bei den Sozialabgaben Nettozahler ist, und zwar als einzige Provinz in ganz Italien. Der hypothetische Staatshaushalt, in den alle Ausgaben eines neuen Staates, zum Beispiel für Botschaften, Heer, Polizei und vieles mehr einberechnet wurden, weist einen Überschuss von mehr als 600 Millionen Euro pro Jahr auf. Angesichts dieses Überschusses hätte der künftige Staat jedenfalls noch genügend finanziellen Spielraum, um auch heute unwägbare Probleme zu bewältigen und die von Italien eingegangenen Verpflichtungen anteilsmäßig zu übernehmen. Der Staat Italien hingegen verschuldet sich jährlich mehr und mehr.<BR /><BR /><b>Welche konkreten Vorteile haben Sie errechnet? </b><BR />Mair: Zunächst könnte der neue Staat seine Gesetzgebung besser an die Bedürfnisse Südtirols anpassen. Es würden auch neue, hochwertige Arbeitsplätze entstehen, zum Beispiel wird ein neuer Staat eine eigene Zentralbank, ein eigenes Staatsmedium und höhere Gerichtsinstanzen aufbauen. Viele junge, gut ausgebildete Südtiroler zieht es heute zu attraktiven Arbeitsplätzen ins Ausland. Durch die Schaffung dieser hochwertigen Arbeitsplätze wäre ein Verbleib in Südtirol oder eine Rückkehr nach den Berufserfahrungen im Ausland hingegen attraktiver. Ein Staat Südtirol könnte auch die Renten deutlich erhöhen. Dadurch würde die heimische Wirtschaft zusätzlich angekurbelt. Wir Südtiroler haben uns zwar schon an die Bürokratie und Rechtsunsicherheit im italienischen Staat gewöhnt, aber es würde sicherlich positiv aufgenommen werden, wenn sich der neue Staat diesbezüglich an unseren nördlichen Nachbarn orientieren würde.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="935650_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wo sehen Sie – aus wirtschaftlicher Sicht – die größten Risiken eines Staates Südtirol?</b><BR />Mair: Damit ein unabhängiger Staat Südtirol wirtschaftlich erfolgreich sein kann, sind 3 Grundvoraussetzungen besonders wichtig: der freie Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit seinen 4 Grundfreiheiten (den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen, Anm.d.Red.) und eine auf Südtirol abgestimmte Wirtschaftspolitik und ein möglichst spannungsfreies Zusammenleben der verschiedenen Akteure und sozialen Gruppen des neuen Staates. Für verschiedene Risiken haben wir im Buch auch Strategien genannt, um diesen entgegenzuwirken. Allgemein muss man aber sagen, dass unsere Studien ergeben haben, dass die Chancen größer sind als die Risiken.<BR /><BR /><embed id="dtext86-61116252_quote" /><BR /><BR /><b>Ist die Schaffung einer so kleinen Einheit im globalen Wettbewerb kein Nachteil? Schließlich ist die Bekanntheit Südtirols außerhalb der sogenannten DACH-Region, also Deutschland, Österreich und der Schweiz, eher begrenzt, vielfach wird da der „Italien-Bonus“ genutzt, etwa bei der Vermarktung von Produkten. </b><BR />Mair: Die Vorteile großer Staaten werden durch den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt weitgehend aufgehoben. Grundsätzlich kann man feststellen, dass kleine Staaten in Europa deutlich besser dastehen als große Staaten, siehe Luxemburg, Island, San Marino, Liechtenstein und andere mehr. Heute ist es oft so, dass Südtirol mit Nordtirol und Alto Adige mit dem Trentino verwechselt wird. Durch einen eigenen Staat könnte Südtirol noch bekannter werden und somit als Tourismusland leichter ein eigenes Profil und eine eigene Identität entwickeln. Südtirol ist, was das Marketing und die Tourismuswerbung betrifft, bereits heute weitgehend autonom von Italien.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="935653_image" /></div> <BR /><BR /><b>Noch ist das Thema Staat Südtirol eher ein Randthema, das von einzelnen Oppositionsparteien gespielt, von den meisten aber derzeit wenig beachtet wird. Warum lohnt es sich Ihrer Meinung nach, an diesem Vorhaben ernsthaft zu arbeiten?</b><BR />Mair: Wir erhalten zu diesem Thema sehr viele positive Rückmeldungen, viele Menschen interessieren sich dafür — und zwar sprachgruppenübergreifend. Die Buchvorstellungen sind meist sehr gut besucht. Uns fällt auf, dass zum Beispiel sehr viele Menschen aus der Mehrheitspartei einen eigenen Staat Südtirol durchaus erstrebenswert finden. Von Randthema sollte man deshalb gar nicht sprechen. Es würde sich lohnen, ernsthaft am Thema zu arbeiten, und zwar weil es für jeden Südtiroler und jede Südtirolerin Vorteile bringen würde und sich das Zusammenleben der Sprachgruppen ähnlich positiv wie in der Schweiz entwickeln kann.<BR /><BR /><b>Für wie realistisch halten Sie es, dass es zu einem Staat Südtirol kommt und welche Zwischenschritte wären bis dorthin denkbar? </b><BR />Mair: Grundsätzlich sehen wir die Möglichkeit mittel- bis langfristig. Oft passieren unvorhersehbare, umwälzende Ereignisse, die plötzlich neue Möglichkeiten bieten. Wichtig wäre es, sich bereits vorzubereiten und möglichst unabhängig vom Zentralstaat zu sein. Solange die konkrete Chance auf die Ausübung der Selbstbestimmung nicht wahrgenommen werden kann, ist deshalb ein möglichst weitgehender Autonomieausbau in jedem Fall von Vorteil.<BR /><BR /><BR />