Ein Steuerwettbewerb hat auch positive Effekte, betont Wirtschaftsprofessor Kaserer. <BR /><BR /><BR /><b>Deutschlands Finanzminister Olaf Scholz sprach jüngst von einer „Steuerrevolution“ im Zusammenhang mit der Einigung der G7-Länder auf eine weltweite Mindeststeuer. Ganz schön dick aufgetragen, finden Sie nicht?</b><BR />Christoph Kaserer: Natürlich ist das keine Steuerrevolution. Eine global koordinierte Mindestbesteuerung wäre eine höchst notwendige Ergänzung des bestehenden Steuersystems. Ebenso die Absicht, Unternehmen, dabei vor allem die großen US-Tech-Riesen, dazu zu bringen, dass sie einen Teil ihrer Steuern dort zahlen, wo sie ihre Umsätze erzielen. Klar ist, die Öffentlichkeit fordert aus Gründen der Steuergerechtigkeit diese Anpassungen, das heißt, die Politik muss da tätig werden. Und diese Lösungen müssen global gefunden werden, weil ansonsten ein Flickenteppich an fragwürdigen Regelungen entsteht, wie man an den Digitalsteuern einiger europäischer Länder, darunter Frankreich, Österreich und Italien sieht. Solche nationalstaatlichen Regelungen können zu einer Doppelbesteuerung führen, die es eigentlich zu vermeiden gilt.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-49499087_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Erachten Sie den geplanten Wert von 15 Prozent für angemessen?</b><BR />Kaserer: Es hat in den letzten Jahrzehnten einen Wettlauf nach unten gegeben bei der Unternehmensbesteuerung. So hat sich in den OECD-Ländern der durchschnittliche Körperschaftssteuersatz seit Anfang der 1980er-Jahre mehr als halbiert. Übrigens liegt er auch innerhalb der EU im Schnitt bei etwas über 20 Prozent, wobei die Spannbreite von unter 10 bis über 30 Prozent reicht. Dass man jetzt hergeht und verhindern will, dass dieses Steuerdumping noch weiter verschärft wird, halte ich für sinnvoll. Jedoch finde ich, dass in der Diskussion ein wesentlicher Punkt zu kurz kommt.<BR /><BR /><b>Nämlich?</b><BR />Kaserer: Man tut vor allem in Europa so, als wäre es wünschenswert, eine möglichst breite Harmonisierung im Steuerbereich zu haben. Am liebsten wäre einigen, dass es nicht nur eine Untergrenze, sondern einen einheitlichen Steuersatz für alle Unternehmen weltweit gäbe. Das halte ich für einen gefährlichen Gedanken, weil ein Steuerwettbewerb auch wichtige positive Effekte hat. Was sonst soll uns vor überbordenden staatlichen Ausgabenprogrammen schützen? Ohne Steuerwettbewerb hätten wir sicherlich deutlich höhere Steuern mit all den negativen Folgen für wirtschaftliche Aktivitäten. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-49500042_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Nehmen wir das Beispiel Apple her. Das Unternehmen hat den größten Standort außerhalb Amerikas in Irland. Dort beträgt der Unternehmenssteuersatz 12,5 Prozent. Bezahlt hat Apple jedoch weit weniger. Wird diese Praxis durch eine globale Mindeststeuer verhindert?</b><BR />Kaserer: Der Fall Apple zeigt, dass man den Bezug zur realen Situation nicht verlieren sollte. Über spezielle steuerliche Konstruktionen ist es gelungen, sehr wenig Steuern zu bezahlen. Das wiederum hat damit zu tun, dass jedes Land seine eigenen Regeln bei der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage hat, verschiedene Abschreibungsregeln und vieles weitere mehr. Das wird auch bei einer globalen Mindeststeuer so bleiben. Auf EU-Ebene diskutieren wir seit Jahrzehnten über dieses Problem, ohne wirklich vorangekommen zu sein. Ohne einheitliche Regeln bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen wird ein einheitlicher Mindeststeuersatz nur beschränkt wirksam sein. <BR /><BR /><b>Ein zweites Element dieser Weltsteuerreform ist die Einigung darauf, dass Unternehmen ihre Gewinne dort versteuern sollen, wo sie ihre Gewinne machen. Ein guter Ansatz?</b><BR />Kaserer: Das klingt erst einmal wunderbar. Es ist aber ein Prinzip, das wir im internationalen Steuerrecht schon sehr lange haben – konkretisiert im sogenannten Betriebsstättenprinzip. Für Digitalkonzerne, wie Google, Amazon und Co., muss dieses Prinzip aber neu interpretiert werden, weil ihr Geschäft nicht mehr an einer physischen Präsenz vor Ort hängt. Dieser Gedanke steckt im Kern hinter dem Beschluss der G7. Nach den Vorstellungen der OECD soll es künftig in solchen Fällen zu einer gerechteren Verteilung der Steuerbemessungsgrundlagen zwischen jenen Ländern, in denen diese Konzerne nennenswerte Umsätze haben, kommen. Technisch gesehen, ist dies ein höchst komplexes Unterfangen, nicht zuletzt weil Doppelbesteuerungsabkommen geändert werden müssten. Und politisch ist es ebenfalls komplex, weil es am Ende dazu führen wird, dass die USA Bemessungsgrundlagen verlieren werden. <BR /><BR /><b>Wird die Biden-Regierung dafür einen Ausgleich einfordern?</b><BR />Kaserer: Das ist anzunehmen. Klar ist, unter Ex-Präsident Trump wäre eine solche Lösung undenkbar gewesen. Gut möglich, dass der nächste US-Präsident dies ähnlich sieht, und so die Weltsteuerreform wieder auf Eis gelegt wird.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-49500044_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>In Europa rechnet man mit steuerlichen Mehreinnahmen in Höhe von 3 bis 4 Milliarden Euro jährlich. Halten Sie das für realistisch?</b><BR />Kaserer: Ich denke, dass man über Zahlen erst seriös reden kann, wenn mehr über die Ausgestaltung des Systems bekannt ist. Trotzdem scheint niemand im Moment davon auszugehen, dass es wirklich nennenswerte Aufkommenseffekte geben wird. Ich denke, es geht hier eher um eine Frage von Gerechtigkeit und politischer Akzeptanz.<BR /><BR /><b>Welche Auswirkungen hätten die Mindeststeuer und die Versteuerung von Erlösen im Markt, indem sie erwirtschaftet werden, für die betroffenen Konzerne: Werden sie an Wettbewerbsfähigkeit verlieren?</b><BR />Kaserer: Mit Sicherheit nicht. Ich erwarte mir kaum Auswirkungen der neuen Steuerregeln auf die Profitabilität und die Stärke dieser Betriebe. Sieht man von Einzelfällen ab, wird es durch diese Regeln allenfalls zu einer geringfügigen Anhebung der Unternehmenssteuerbelastung kommen. Und etwas höhere Steuern zu zahlen als Gegenleistung für ein transparenteres und rechtssicheres System ist auch aus Sicht der Unternehmen sinnvoll. Einen Flickenteppich, wie wir ihn im Moment mit der Digitalsteuer in Europa haben, kann niemand wollen.<BR /><BR /><BR /><BR />