<b>von Ioannis Ioannou</b><BR /><BR />Unternehmen haben Nachhaltigkeitsinitiativen lange damit gerechtfertigt, ihre Reputation zu verbessern, externe und interne Standards einzuhalten oder zusätzliche Gewinne zu erzielen. Doch diese Initiativen sind selten transformativ, weil Märkte ökologische Grenzen und soziale Ziele ignorieren, Firmen belohnen, die Ressourcen verschleudern, und oft diejenigen bestrafen, die regenerative Modelle verfolgen. <BR /><BR />Egal wie überzeugend der Business Case ist – Unternehmensstrategien für Nachhaltigkeit entkommen nicht ihrer strukturellen Fehlanpassung an die Logik unseres aktuellen Wirtschaftssystems.<h3> Das strukturelle Dilemma des Wirtschaftssystems</h3>Das Problem geht tiefer, als viele vermuten. Ohne die narrative Infrastruktur, die notwendig ist, um die wirtschaftliche Logik neu zu gestalten, reichen all die ausgefeilten Nachhaltigkeitsstandards und -metriken – also die technische Infrastruktur – nicht aus. Unsere Bemühungen bleiben Geisel des Quartalsberichts, und Unternehmen, die eigentlich Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit sein sollten, werden stattdessen zur abschreckenden Mahnung.<BR /><BR />Betrachten wir ein hypothetisches Produktionsunternehmen, das Produkte für vollständige Kreislauffähigkeit entwirft: Jeder Materialinput behält durch ständige Wiederverwendung unbegrenzt seinen Wert. Das würde die Materialkosten des Unternehmens drastisch senken und es vor volatilen Rohstoffpreisen schützen. Aber die heutigen Märkte – gewöhnt an Geschäftsmodelle mit linearer Ressourcennutzung – sehen nur die hohen anfänglichen Investitionen.<BR /><BR />Da Investoren kurzfristige Renditen gegenüber langfristiger Wertschöpfung bevorzugen und Kreditagenturen Schwierigkeiten haben, die Vorteile von Resilienz in Ratings einzupreisen, bleibt der kreislauffähige Hersteller unterfinanziert, während seine ressourcenintensiven Konkurrenten Zugang zu günstigeren Kapitalmitteln haben. Unternehmen dafür zu belohnen, dass sie Kosten externalisieren, ist wirtschaftlicher Unsinn, der als finanzielle Vorsicht getarnt ist.<h3> „Aligned Capitalism“ – ein neues Wirtschaftsmodell</h3>Deshalb müssen wir einen Wandel zu dem einleiten, was ich „aligned capitalism“ (ausgerichteter Kapitalismus) nenne. In einem solchen System würden ökologische Auswirkungen in die Marktpreise eingehen, Regulierungsbehörden würden Ökosystem-Restauration belohnen, und Investoren würden im Bereich Resilienz konkurrieren. Finanzberichte würden Natur- und Sozialkapital erfassen, und Kreditratings würden Gleichberechtigung und Umweltvorsorge berücksichtigen.<BR /><BR />Mit anderen Worten: Nachhaltigkeit würde vom Kostenfaktor zur Gewinnquelle werden. In einem solchen System würde unser hypothetischer kreislauffähiger Hersteller gedeihen. Die Ressourceneffizienz und Unabhängigkeit von Lieferketten solcher Unternehmen würden enorme Vorteile bringen. Da Materialien knapper und teurer werden und der Handel zunehmend zerbrechlich ist, könnten diese Unternehmen Wettbewerbsgräben schaffen, die im Laufe der Zeit stärker werden.<BR /><BR />Natürlich müssen alle Akteure der politischen Ökonomie – von Vorstandsmitgliedern über Regulierungsbehörden, Gewerkschaften, lokale Gemeinschaften bis zu zivilgesellschaftlichen Organisationen – ihren Teil zum Wandel beitragen. Doch kluge Unternehmensführer werden nicht auf andere warten. Sie können zeigen, wie gutes Wirtschaften aussieht, wenn Systeme mit Umwelt- und Sozialrealitäten im Einklang stehen. Die jüngste Gegenreaktion gegen Umwelt-, Sozial- und Governance-Verpflichtungen (ESG) macht dies umso wichtiger.<h3>Die Kraft der narrativen Infrastruktur</h3>Der erste und wichtigste Schritt ist der Aufbau der fehlenden narrativen Infrastruktur. Unternehmensleiter müssen strategisches, evidenzbasiertes Storytelling betreiben, das unternehmerische Handlungen mit größeren Realitäten verbindet, und Vertrauen innerhalb und außerhalb der Vorstandsetagen durch Dialoge mit Stakeholdern schaffen, die über politische Zyklen hinaus Bestand haben. Sie sollten auch in Forschung investieren, die die überlegenen Ergebnisse ausgerichteter Praktiken belegt.<BR /><BR />Einige Unternehmen machen es bereits richtig. Die brasilianische Kosmetikgruppe Natura hat durch Partnerschaften mit indigenen Gemeinschaften sowohl Geschäftsergebnisse als auch soziale Wirkungen verbessert. Interface, der globale Bodenbelaghersteller, hat mit seinem Mission-Zero-Versprechen andere Unternehmen inspiriert und den CO2-Fußabdruck seiner Teppiche um 74 Prozent reduziert. <BR /><BR />Schneider Electric, ein Energie- und Digitalautomatisierungsunternehmen, hat Nachhaltigkeit zu einem zentralen Teil seiner Geschäftsstrategie gemacht und tief in den Betrieb integriert. Die Erzählungen dieser Unternehmen halfen, eine wirtschaftliche Logik zu schaffen, die ihre Nachhaltigkeitspraktiken belohnt und damit den Boden für regulatorische und Marktveränderungen bereitete.<BR /><BR />Doch unternehmerisches Verhalten ist nur ein Puzzlestück. Um koordiniertes Handeln zu fördern, müssen Unternehmen Governance-Strukturen einführen, die für Interessenvertretung und nicht nur für Compliance ausgelegt sind, und sich für regulatorische Reformen einsetzen, die Umwelt- und Sozialkriterien in Finanzberichterstattung und Entscheidungsfindung fest verankern. Regulierungsbehörden müssen ihrerseits umfassende ökologische und soziale Offenlegungspflichten in Finanzberichten vorschreiben und ehrgeizige Zeitpläne für die Systemanpassung setzen.<h3>Die Rolle von Investoren und Bildung</h3>Auch Investoren spielen eine zentrale Rolle, vor allem weil Regulierung ebenso sehr auf Marktdruck folgt wie ihn anführt. Investoren müssen Resilienz-Kriterien in ihre Mandate integrieren, neue Bewertungsmethoden entwickeln und im Wettbewerb um langfristige Wertschöpfung konkurrieren statt um kurzfristige Quartalsgewinne. Die klügsten Vermögensverwalter bauen diese Fähigkeiten bereits auf, da sie erkennen, dass die Gewinner von morgen Unternehmen sein werden, die innerhalb ökologischer und sozialer Grenzen gedeihen.<BR /><BR />Schließlich sollten Business Schools ökologische und soziale Kompetenz lehren sowie wie man zukünftige wirtschaftliche Realitäten gestaltet, als festen Bestandteil ihres Kerncurriculums. Die MBA-Studierenden von heute erben eine Wirtschaft im Wandel – ob geordnet oder chaotisch – und brauchen die Werkzeuge, um diese Transformation zu führen statt nur Ressourcen innerhalb bestehender Zwänge zu managen.<h3> Ausblick: Nachhaltigkeit als Gewinner im neuen Kapitalismus</h3>Im ausgerichteten Kapitalismus können heutige Randmodelle profitabel werden. Produkt-als-Service-Unternehmen könnten stetige Renditen erwirtschaften. Mit Umweltvorteilen, die Kostenvorteile bringen, könnten CO2-negative Hersteller schnell skalieren. Firmen, die sich auf Mitarbeiterentwicklung und kommunale Gesundheitsversorgung konzentrieren, könnten direkte Zahlungen für positive soziale Ergebnisse erhalten.<BR /><BR />Um ein System zu schaffen, in dem Nachhaltigkeit der natürliche Gewinner ist, müssen Unternehmensführer zuerst erkennen, dass der aktuelle wirtschaftliche Rahmen fundamental nicht mit ökologischen und sozialen Realitäten übereinstimmt – Märkte belohnen selten transformative ESG-Initiativen, und daran wird sich wahrscheinlich nichts ändern.<BR /><BR /> Eine bessere Form des Kapitalismus, in der die regenerativsten und nachhaltigsten Strategien auch die profitabelsten sind, ist möglich. Doch dafür müssen Führungskräfte koordiniertes Handeln von Investoren, Regulierern und allen Stakeholdern vorantreiben. Wenn der Staub sich legt, werden diejenigen, die den Mut hatten, zuerst zu handeln, die neuen Marktführer sein.<BR /><BR /><b>Über den Autor</b><BR />Ioannis Ioannou ist Associate Professor für Strategie und Unternehmertum an der London Business School.