Ein Stück weit würde Südtirol damit seine Identität verlieren. Die beiden Experten plädieren deshalb für finanzielle Hilfen – nicht vom Steuerzahler, sondern von den Touristen.<BR /><BR /><b>Landwirtschaftsvertreter werden seit Wochen nicht müde, immer wieder auf die prekäre Lage in der Berglandwirtschaft hinzuweisen. Doch der Agrarsektor wird ja traditionell stark gefördert. Reicht das nicht? </b><BR />Matthias Gauly: Gegenwärtig werden die indirekten Leistungen der Berglandwirtschaft, wie der Erhalt der Kulturlandschaft, der Schutz vor Naturkatastrophen sowie der Erhalt der Artenvielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt, vor allem durch Förderungen der Europäischen Union und der Länder bzw. Provinzen honoriert. Diese Zuwendungen reichen in der Berglandwirtschaft aber leider bei weitem nicht aus, um – vor allem unter dem gegenwärtigen Szenario explodierender Kosten für Energie, Kraftfutter usw. – nur annähernd die Produktionskosten zu decken. Deshalb stehen aktuell sehr viele Berglandwirtschaftsbetriebe kurz vor dem wirtschaftlichen Aus, was kaum abschätzbare Folgen für das ganze Land hätte.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54108520_quote" /><BR /><BR /><b>Was würde denn passieren, wenn viele Bergbauern ihre Tätigkeit aufgeben würden?</b><BR />Gauly: Zum einen wäre der Tourismus betroffen: Denn die gepflegte Kulturlandschaft Südtirols wirkt gleichermaßen anziehend auf Einheimische wie auf Touristen – und die würde wegfallen: Nicht bewirtschaftete Flächen würden verbuschen bzw. verwalden. Das wäre für das Landschaftsbild nachteilig, aber auch aus Sicht der Biodiversität. Denn auf nachhaltig bewirtschafteten Flächen ist die Artenvielfalt größer und anders als auf jenen, die nicht bewirtschaftet werden. Zudem wollen wir nicht vergessen, dass die Landwirtschaft ja grundsätzlich vor allem zu unserer Ernährungssicherheit beiträgt. Was darüber hinaus häufig unterschätzt wird, ist der soziale Aspekt.<BR /><BR /><b>Was meinen Sie?</b><BR />Gauly: Bäuerinnen und Bauern sind weit überdurchschnittlich ehrenamtlich tätig und sind somit wichtig für die sozialen Strukturen der Gemeinden. Viele ehrenamtlich getragene Einrichtungen, wie zum Beispiel die freiwilligen Feuerwehren, sind ohne ihre Dienste kaum vorstellbar. Denn für einen Arbeitnehmer mit festen Arbeitszeiten sind solche freiwilligen Einsätze nur sehr eingeschränkt möglich. Das heißt, wenn die Berglandwirte aufgeben, dann würde das tiefgreifende Veränderungen in den Dörfern auslösen. Das kann man überall da nachvollziehen, wo es keine kleinen landwirtschaftlichen Betriebe mehr gibt. Man schaue nur nach Deutschland, wo sich viele Gemeinden binnen 20 Jahren in ihrer Sozialstruktur enorm verändert haben. Und ich glaube, das würde Südtirol einen enormen Wert nehmen. <BR /><BR /><b>Deshalb schlagen Sie vor, die eine neue Förderung einzuführen, und zwar einen „Tourismus-Euro“ oder „Grünen Euro“ – eine Art zweite Kurtaxe für die Landwirtschaft. </b><BR />Thomas Zanon: Genau. Diejenigen, die vom Erhalt der Kulturlandschaft profitieren, die Touristen, würden diejenigen, die die Kulturlandschaft erhalten, die Bauern, direkt unterstützen. Und zwar indem ein kleiner Geldbetrag für jede Nächtigung eingezogen und anschließend gezielt für den Erhalt einer nachhaltigen Berglandwirtschaft eingesetzt wird. Ähnlich wie bei der Ortstaxe, die die Beherbergungsbetriebe im Auftrag der Gemeinde pro Übernachtung erheben und die der Tourismusfinanzierung dient. <BR /><BR />Gauly: Wir reden hier also nicht über Steuergelder. Sondern wir nehmen das Geld demjenigen ab, der unser Land „nutzt“.<BR /><BR /><b>Für die Kur- oder Ortstaxe zahlen Urlauber in Europa – je nach Gemeinde – zwischen 50 Cent und 5 Euro pro Übernachtung. Wie hoch sollte denn diese neue Taxe sein?</b><BR />Gauly: Das wäre zu definieren. Ebenso wie die Kriterien, nach denen die Gelder dann an die Bauern ausbezahlt werden. <BR /><BR /><b>Und wer sollte die Einnahmen bekommen, die gesamte Landwirtschaft? </b><BR />Gauly: Nein, sie sollten zweckgebunden für Berglandwirtschaftsbetriebe verwendet werden, das muss nicht unbedingt nur die Milchwirtschaft sein, sondern kann auch an Bauern gehen, die Fleisch erzeugen, aber nicht an Betriebe im Obst- und Weinbau. Denn dieser „Tourismus-Euro“ wäre nach unserer Vorstellung gedacht für jene Bereiche der Landwirtschaft, die wegen der ökonomischen Effekte besonders gefährdet und gleichzeitig für den Erhalt der Kulturlandschaft und besondere Ökosystemleistungen extrem wichtig sind – und das ist ganz klar die Berglandwirtschaft. Aber auch da sollte das Geld nicht nach dem Gießkannenprinzip über alle ausgeschüttet werden.<BR /><BR /><b>Sondern?</b><BR />Gauly: Es sollte an bestimmte Leistungen gebunden sein. Denn es geht ja darum jene Betriebe zu unterstützen, die die größte Dienste für das Ökosystem erbringen und gleichzeitig wirtschaftlich am stärksten gefährdet sind. Wir müssen unterscheiden zwischen Betrieben in Gunstlagen, die vergleichsweise gut wirtschaften können und unter den gegenwärtigen Bedingungen weniger in ihrer Existenz gefährdet sind als die klassischen Bergbauernhöfe in Ungunstlagen. Sorgen machen uns aber genau diese Betriebe. Denn sie bewirtschaften Flächen, meist Steilhänge, die aus ökonomischer Sicht eigentlich aus der Bewirtschaftung zu nehmen wären. Aber diese Betriebe sind es, die das für uns so wichtige Landschaftsbild, die Biodiversität und das Image der Marke Südtirol – Produkte vom Berg – erhalten. Deshalb brauchen sie auch eine besondere Aufmerksamkeit.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54108524_quote" /><BR /><BR /><b>Wie viele würden da in Frage kommen?</b><BR />Gauly: Es werden vermutlich etwa 20 bis 30 Prozent der Berglandwirtschaftsbetriebe sein, die aus Sicht des Umweltschutzes wichtig und aus ökonomischer Sicht gefährdet sind.<BR /><BR />Zanon: Gefördert werden könnten mit diesem „Tourismus-Euro“ aber auch Projekte, zum Beispiel die verstärkte Nutzung lokaler Rassen, Maßnahmen für mehr Tierwohl usw. Das eingenommene Geld könnte in einen Landesfonds fließen, wo ein ehrenamtlicher Vorstand, in dem Vertreter des Bauernbundes, des Hoteliers- und Gastwirteverbandes, des Landes, des Umwelt- und Naturschutzes und von Verbraucherorganisationen sitzen, entscheiden, wofür das Geld verwendet wird. <BR /><BR /><b>Ganz neu ist die Idee ja nicht. Vor 3 Jahren hat sie beispielsweise der Landtagsabgeordnete Franz Locher (SVP) aufs Tapet gebracht, seitdem taucht der Vorschlag immer mal wieder auf. Aber jedes Mal zeigte sich der HGV wenig angetan und argumentiert, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Tourismus über eine Steuer einen anderen Sektor unterstützen soll... </b><BR />Zanon: Die von Bauern gepflegte Kulturlandschaft hat den Grundstein gelegt für die starke touristische Entwicklung in den letzten hundert Jahren und den damit einhergehenden Wohlstand in dieser Alpenregion. Beide Sektoren sind voneinander abhängig, ein Journalist hat das bereits Anfang der 70iger Jahre folgendermaßen beschrieben: „Wo der Bauer geht, kommt in den Bergen der düstere Fichtenwald und im Tal kommt die lärmige Stadt. Erst geht die Kuh, dann der Gast. Wen soll man dann noch melken?“.<BR /><BR /><b>Das heißt, der Tourismus müsste schon aus reinem Eigennutz ein Interesse daran haben die Berglandwirtschaft zu unterstützen?</b><BR />Zanon: Die beste Tourismuspolitik muss langfristig den Landschaftsschutz und den Schutz einer traditionellen und nachhaltigen Landwirtschaft zu einem ihrer Hauptanliegen machen. <BR /><BR />Gauly: Die Skepsis vieler Touristiker gegenüber der Einführung eines „Grünen Euros“ entspringt der Angst vor dem Fernbleiben der Besucher. Würde es aber wirklich Touristen abschrecken, nach Südtirol zu kommen, wenn sie neben Anreise- und Abreise, Unterbringung und Verpflegung, 8 Euro für den Tagesparkplatz sowie 68 Euro für die Tages-Skikarte noch ein bis 2 Euro für den Bergbauern zu bezahlen hätten, der ihnen die Skihänge im Sommer pflegt? Das glaube ich nicht. Und wenn das so sein sollte, dann ist das doch genau der Gast, den die Tourismusbranche nicht will. An einem „Grünen Euro“ wird der Besuch nicht scheitern.<BR /><BR /><b>Sicher, 2 Euro klingt nicht viel, aber bei einer vierköpfigen Familie, die eine Woche bleibt, kommt auch was zusammen – unter Umständen so viel, dass der Gast dann doch einen günstigeren Urlaubsort vorzieht, werden die Touristiker argumentieren…</b><BR />Gauly: Die Bedenken sind natürlich ernst zu nehmen, doch am Ende handelt es sich um eine Win-win-Situation. Der Tourismus braucht die Berglandwirtschaft – die Berglandwirtschaft braucht den Tourismus, und zwar jetzt. <BR /><BR /><b>Wäre nicht schon viel getan, wenn im Tourismus noch stärker lokale Produkte verwendet würden?</b><BR />Gauly: Mit der Einführung eines „Grünen Euro“ würde die Verantwortung des Tourismus zur Verwendung von Südtiroler Produkten nicht wegfallen. Im Gegenteil: Da sind wir noch zu schwach aufgestellt und müssten mehr zusammenstehen – auch wenn das bedeutet, dass der Kaffee dann eben ein paar Cent teurer ist, weil Südtiroler Milch verwendet wird. Man muss auch klar sagen, das dieser „Tourismus-Euro“ nicht die einzige Maßnahme zur Unterstützung der Berglandwirtschaft bleiben kann. Er ist zusätzlich nötig, um die Betriebe am Leben zu erhalten, aber er befreit uns nicht von den anderen Aufgaben – und da ist noch großes Potenzial vorhanden: Es braucht den Mutualitätsfonds, der nun angedacht ist, es braucht Neustrukturierungen und Neuausrichtungen der Genossenschaften und natürlich auch Verbesserungen auf der Betriebsebene. Auch hier haben wir Nachholbedarf. All die Dinge, die ein Unternehmer tun muss, müssen auch die Landwirte und Genossenschaften weiter leisten. Da gibt es noch viel Spielraum, den wir nutzen müssen, sonst verpufft auch die Wirkung dieses Öko-Euro. Denn er allein wird uns nicht retten. <BR /><BR /><b>Wie schnell könnte man das umsetzen? Könnte dieser „Grüne Euro“ schon eine konkrete Hilfe in der aktuellen Krise sein?</b><BR />Gauly: Es braucht so schnell wie möglich Gespräche aller Beteiligten, um die notwendigen Schritte einzuleiten. Wie schnell das dann in einem Land mit vielen bürokratischen Hürden geht, muss man sehen. Aber man könnte den Betrieben eine Perspektive geben, wenn sie sehen, dass es noch eine Möglichkeit der Unterstützung gibt. Wir werden nicht jeden Betrieb retten können, aber es muss auch nicht jeder gerettet werden. Es gibt ja auch solche, die nicht nachhaltig wirtschaften oder nicht im Sinne des Tierwohls handeln und das auch nicht wollen – wenn die aufgeben, müssen wir nicht darum weinen. <BR /><BR /><b>Könnte die Landwirtschaft dadurch ihre Abhängigkeit von öffentlichen Subventionen verringern?</b><BR />Gauly: Subventionen wird es leider noch lange brauchen. Sicher muss es das große Ziel der Landwirtschaft sein, mittel- bis langfristig mit ihren Produkten ein Einkommen zu erzielen, das sie unabhängig von Subventionen macht. Momentan nutzt die Landwirtschaft diese vor allem dazu, um ihre Produkte billiger am Markt anzubieten, mit allen bekannten nachteiligen Effekten für Umwelt und Tier. <BR /><BR /><b>Es gibt aber auch viele Familien, deren Einkommen nicht so hoch sind, die sind darauf angewiesen, dass Lebensmittel nicht allzu teuer sind….</b><BR />Gauly: Das stimmt. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns auch fragen, ob es wirklich die Ausgaben für Lebensmittel sind, die unserer Haushaltskasse weh tun, oder ob es nicht doch etwas anderes ist. Denn für Lebensmittel gibt ein Haushalt ja nur etwa 10 Prozent seines Einkommens aus. Und es ist doch gravierend, wie hoch unsere Zahlungsbereitschaft für Dinge ist, die wir nicht unbedingt brauchen, im Vergleich zu Lebensmitteln aber auch der Umwelt, die wir sehr wohl brauchen. Wir haben da offensichtlich ein falsches Verhältnis dazu entwickelt, was ein Produkt kosten darf. Zum Teil ist auch die Subventionspolitik der EU daran Schuld, die uns suggeriert hat, dass ein Produkt nicht mehr wert ist, wenn es zu diesem Billigpreis zu haben ist. Und wir haben keine klare Auszeichnung der Kosten, die dahinter stehen, also inklusive Subventionierung und der Umweltkosten. Wir sind dadurch auch sehr nachlässig im Umgang mit Lebensmitteln geworden, lassen sie verfallen und werfen sie weg. Das zeigt auch, welche Wertigkeit sie für uns haben. Doch gerade in der Covid-Pandemie haben wir auch gesehen, wie fragil Wirtschaftskreisläufe bzw. Lieferketten sein können und wie wichtig es ist, Lebensmittel vor Ort erzeugen zu können. Und die Ukrainekrise macht das nochmal deutlicher.<BR /><BR /><BR />