Man könne nicht alles Schlechte immer auf Italien abwälzen, auch in Südtirol gebe es viel „aufzuräumen“, sagt der neue Präsident des Unternehmerverbandes, Heiner Oberrauch im großen Interview. Auch spricht er von einer „gefährlichen Entwicklung“. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Herr Oberrauch, Ihr Vorgänger Federico Giudiceandrea hat gesagt, Präsident des Unternehmerverbandes sei zwar kein Vollzeitjob, aber ein halber Tag geht im Schnitt drauf. Sie leiten ein gutgehendes Unternehmen. Warum tut man sich so etwas an?</b><BR />Heiner Oberrauch: Einerseits bin ich gerade dabei, mein Unternehmen in bessere Hände zu<BR />übergeben…<BR /><BR /><BR /><b>Sie bereiten also einen Generationswechsel vor?</b><BR />Oberrauch: Wir sind dabei. Daher ist es für mich ein guter Zeitpunkt, etwas Neues zu machen. Gesellschaftlich engagiert war ich schon immer. Ich glaube, dass man mit diesem Posten im Verband etwas bewegen kann, für die Wirtschaft und für das ganze Land. Diesbezüglich fühle ich mich mit der Wertehaltung im Unternehmerverband zuhause, da sich dieser Verband immer auch für das Allgemeinwohl eingesetzt hat. 2 Präsidenten waren dahingehend meine Vorbilder: Christof Oberrauch und Stefan Pan. Zudem ist es die richtige Zeit, etwas zu bewegen.<BR /><BR /><BR /><b>Inwiefern?</b><BR />Oberrauch: Es geht gerade eine Epoche zu Ende, eine Epoche die seit dem Ende des 2. Weltkriegs vom ständigen Wirtschaftswachstum geprägt war. Das war gut so, aber mittlerweile wissen wir, dass wir mit den knappen Ressourcen und unserer Landschaft achtsam umgehen müssen, auch den Klimawandel können wir nicht wegdiskutieren. Daher braucht es neue Denkansätze. Das reizt mich.<BR /><BR /><BR /><b>Die meisten Wirtschaftsexperten sagen, dies sei die schwerste Krise seit dem 2. Weltkrieg. Wie würden Sie diese Krise einordnen?</b><BR />Oberrauch: Es ist ganz klar die schwerste Krise seit dem 2. Weltkrieg, eine wirtschaftliche und eine soziale. Ich denke allerdings, dass Südtirol diese Krise relativ gut meistern wird, da wir viele Betriebe haben, die trotz hoher Steuerlast Reserven haben, die in Familienhand sind und daher schneller reagieren können. Zudem sind wir eine leistungsbereite Gesellschaft. Nichtsdestotrotz wird es in nächster Zeit auch in Südtirol einen Verteilungskampf geben. Das bedeutet: Heilige Kühe müssen geschlachtet werden.<BR /><BR /><BR /><b>Konkret?</b><BR />Oberrauch: Unser Blick muss in die Zukunft gerichtet sein. Wir müssen den Mut aufbringen, Dinge neu anzudenken. So muss der Landeshaushalt völlig neu angedacht werden, die sogenannte „Spending Review“ muss in die Tat umgesetzt werden. Wir müssen einen Kassensturz auf allen Ebenen und in allen Bereichen machen und schauen, was wirklich Sinn macht und nachhaltig ist. Ich denke da an die Zusammenlegung von Diensten, von kleinen Gemeinden, auch die Frage des Regionalrates gilt es zu beantworten. Zudem brauchen wir weniger und dafür klarere Gesetze. Ich bin überzeugt davon, dass unsere öffentliche Verwaltung mit 30 Prozent weniger Mitarbeitern auskommen kann – wohlgemerkt beschränkt auf das reine Verwaltungspersonal. Auch können wir nicht immer alles, was schlecht läuft, auf Italien abschieben, wir haben auch in Südtirol viel aufzuräumen. Aber die Entscheidungsträger müssen entscheiden dürfen und in ihrer Entscheidung geschützt werden. Damit könnte man vieles vereinfachen.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-49158846_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Eine Krise zeigt meist auch die Schwachstellen eines Gesellschaftssystems auf. Was sind die Schwachstellen unseres Gesellschaftssystems?</b><BR />Oberrauch: Wir brauchen ein gesellschaftliches System, das nicht auf Misstrauen, sondern auf Vertrauen aufgebaut ist. Dieses Misstrauen ist der Grund für die überbordende Bürokratie. Das ist unsere große Schwachstelle. Man hat es in der Pandemie gesehen: Wir arbeiten mit Gesetzen, die in einer Notlage nicht greifen, wir haben Gesetze, die sich gegenseitig widersprechen. Ansonsten sieht man die Schwachstellen überall: Wenn Betriebe nicht gut aufgestellt sind für die Zukunft, wenn sie keine Reserven haben, wenn sie nicht digitalisiert sind, wenn eine öffentliche Verwaltung träge ist und nicht schnell genug reagieren kann. Zudem müssen wir mehr in Bildung investieren. Das<BR />bedeutet gleichzeitig aber auch, dass wir unser Augenmerk auf die Lehrer richten müssen.<BR /><BR /><BR /><b>Wie meinen Sie das?</b><BR />Oberrauch: Ein Lehrer, der eine gute Leistung erbringt, sollte auch dementsprechend höher entlohnt werden. Aber der Beruf eines Lehrers sollte nicht von vorneherein ein Beruf auf Lebenszeit sein. Wenn ein Lehrer nicht fähig ist, dann sollte ein Direktor auch die Möglichkeit haben, die dementsprechenden Konsequenzen zu ziehen.<BR /><BR /><BR /><b>Momentan gibt es nach langer Zeit wieder eine Aufbruchsstimmung in Südtirol, Optimismus macht sich breit. Befürchten Sie aber, dass wir die Folgen der Pandemie in wirtschaftlicher Hinsicht erst noch richtig zu spüren bekommen werden?</b><BR />Oberrauch: Ich glaube Südtirol wird sich schneller von dieser Krise erholen als Italien oder das restliche Europa, vor allem was den Tourismussektor anbelangt, da Südtirol mit seiner Landschaft der Entschleunigung in der Natur und seiner familiären Gastfreundschaft ein Sehnsuchtsort ist. Allerdings wird es im kommenden Jahr einige Konkurse von schwächelnden Unternehmen geben. Zudem wird der Landeshaushalt in den kommenden Jahren weniger üppig ausfallen. Wir werden also sparen müssen.<BR /><BR /><BR /><b>Südtirol ist im Ausland vor allem als touristische Destination bekannt, aber auch für Produkte wie Äpfel oder Wein. Wie bekannt sind die Produkte der Südtiroler Industrie?</b><BR />Oberrauch: Ich halte es da mit der Kultur- und Kommunikationsexpertin Anna Quinz, die sagt, Südtirol ist „more than apples an cows“, also mehr als Äpfel und Landwirtschaft. Der Apfelanbau umfasst flächenmäßig zwar einen großen Anteil, die Äpfel machen aber nur 5 Prozent des Südtiroler Exports aus. Zum Vergleich: Die Industrieunternehmen besetzen 4 Prozent der nutzbaren Fläche in Südtirol, der Exportanteil liegt aber bei 80 Prozent. Zudem generiert die Industrie einen großen Teil der Steuern und der Wertschöpfung in Südtirol. Dies alles macht die Wichtigkeit dieses Sektors für unser Land deutlich. Das soll die Arbeit der Bauern aber in keiner Weise schmälern, vor allem die Bergbauern sind unentbehrlich für die Allgemeinheit, aber auch für den Tourismus.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-49158847_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Wird die Industrie in Südtirol zu wenig wertgeschätzt?</b><BR />Oberrauch: Der wahre Wert der Industrie wird von der breiten Öffentlichkeit nicht immer erkannt. Selbst der ehemalige Landtagsabgeordnete der Grünen, Hans Heiss, meinte einmal, dass Südtirol vielleicht weniger Tourismus-, dafür aber mehr intelligente Industriebetriebe bräuchte. Die Industrie war ja lange Zeit als schmutzig verschrien. Wenn man heute aber die Sozialbilanz anschaut, dann sieht man, dass unsere Betriebe wenig Grund verbrauchen, weniger Energie als noch vor einigen Jahren, dass sie höhere Löhne zahlen und die sichersten Arbeitsplätze garantieren. Ich denke, das ist der Weg der Zukunft für Südtirol: Für die Masse ist kein Platz, wir brauchen Elitebetriebe. <BR /><BR /><BR /><b>Sie sagten, dass unser Wirtschaftssystem bislang nur kontinuierliches und schnelles Wachstum kannte, so könne man aber nicht mehr weitermachen. Wie müssen wir dann weitermachen?</b><BR />Oberrauch: Jedes Unternehmen will wachsen, das ist selbstverständlich. Wir müssen uns aber fragen, welches Wachstum wir wollen. Mein Leit-Thema für die kommenden 4 Jahre als Präsident des Unternehmerverbandes wird sein: Weg vom Mehr und hin zum Besser.<BR /><BR /><BR /><b>Was meinen Sie damit konkret?</b><BR />Oberrauch: In Südtirol ist, wie bereits gesagt, kein Platz für Masse. In jeder Hinsicht. Wir brauchen weniger Quantität, dafür aber mehr Qualität. Wir können nicht auf Teufel komm raus so weiterbauen wie bisher. Unsere Enkelkinder wollen auch noch etwas gestalten können.<BR /><BR /><BR /><b>Kritiker werden nun sagen, dass auch ein Heiner Oberrauch viel gebaut hat…</b><BR />Oberrauch: Das stimmt, aber ich habe stets versucht, mit Qualität und möglichst klimaschonend zu bauen. Aber heute müssen wir uns noch mehr die Frage stellen, was wir wirklich brauchen und wie wir Bauten nachhaltig errichten möchten. Heute leben wir in einer anderen Realität. Die Seilbahnpioniere haben großen Reichtum in unser Land gebracht. Vielleicht könnte man künftig kleine Lifte aber zu einer einzigen, leistungsfähigen Aufstiegsanlage zusammenschließen oder sogar neue Bahnen unterirdisch bauen. Dasselbe gilt für Bauhöfe, Industriemagazine oder Obsthallen. Warum müssen diese in der Landschaft herumstehen? Man sollte eine gesetzliche Grundlage schaffen, damit unterirdisch bauen weniger besteuert wird. Wir müssen stärker auf unsere Landschaft und auf unsere Umwelt schauen. Leider hat die Corona-Pandemie das Bewusstsein für die großen Herausforderungen der Zukunft, den Klimawandel, die Integrationsfrage und den demografischen Wandel, in den Hintergrund gedrängt.<BR /><BR /><BR /><b>Enkeltauglich wirtschaften ist also das Schlagwort der Stunde. Ist das überhaupt möglich, wenn man gleichzeitig ständig die Umsatzzahlen im Blick haben muss?</b><BR />Oberrauch: Unsere Familienbetriebe in Südtirol haben diesbezüglich einen großen Vorteil: Sie denken in Generationen, sie denken langfristig, während börsennotierte Unternehmen auf die nächsten Quartalszahlen schauen müssen. Südtirol hat also die besten Voraussetzungen, um enkeltauglich wirtschaften zu können.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-49158848_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Öffentliche Verwaltungen bringen sich immer öfter gerne als Unternehmer ein – auch in Südtirol. Wie sehen Sie diese Entwicklung?</b><BR />Oberrauch: Das ist eine sehr gefährliche Entwicklung. Das öffentliche System mit all seinen Reglementierungen ist für das Wirtschaften nicht geeignet. Eine öffentliche Verwaltung kann den besten Dienst für den Bürger garantieren, wenn der Dienst im Wettbewerb steht. Wenn den Dienst aber eine öffentliche Verwaltung selbst macht, dann gibt es keinen Wettbewerb, und das spürt man dann an der Qualität und der Effizienz.<BR /><BR /><BR /><b>Eine öffentliche Verwaltung kann also nicht effizient wirtschaften?</b><BR />Oberrauch: Eine öffentliche Verwaltung muss sich an unzählige Gesetze, Ausschreibungen und weitere Reglementierungen halten. Das geht auf Kosten der Effizienz. Es braucht einen Wettbewerb mit klaren und fairen Regeln. Planwirtschaft funktioniert nicht, das haben wir in den vergangenen 50 Jahren gelernt. <BR /><BR /><BR /><b>„D“: „Arbeit wird auf dem Rücken der Arbeitnehmer und Arbeitgeber mittels Quellenbesteuerung abgewälzt “, sagten Sie in Ihrer Rede. Sie meinen damit die Lohnnebenkosten?</b><BR />Oberrauch: Genau. Wenn man, wie in Europa und vor allem in Italien, die Arbeit besteuert, dann kann man nicht konkurrenzfähig sein. Dann werden Produktionen ausgelagert. Und wir erleben derzeit in Europa, was es für Konsequenzen hat, wenn gewisse Produktionen auf andere Kontinente ausgelagert werden. Wir dürfen die Arbeit nicht besteuern, wir müssen aber die Produktionen wieder zurück nach Europa holen. Dann können die Transporte für Mensch und Ware ohne Weiteres auch wesentlich teurer werden.<BR /><BR /><BR /><b>Können wir aus dieser Krise auch etwas lernen?</b><BR />Oberrauch: Sehr vieles sogar. Wir haben gesehen, dass es Unternehmen mit Resilienz braucht, dass es gesunde Unternehmen braucht. Wir haben auch gesehen, dass man die Fahrten mit dem Auto deutlich reduzieren kann, indem man Sitzungen und Meetings online abhält. Wir haben auch gesehen, wie gut Smart Working in vielen Bereich funktioniert. Die Krise hat uns also aufgezeigt, was die Digitalisierung alles verändern kann. Vor allem aber haben wir gesehen, dass man viele Probleme nicht alleine lösen kann. Südtirol kann beispielsweise die niedrigsten Infektionszahlen haben, nur wird dies nichts bringen, wenn es rund um Südtirol Infektionsherde gibt. Die globale Zusammenarbeit und die Solidarität sind ein hohes Gut, das es gilt, in der Nach-Covid-Zeit weiterzuentwickeln.