Im Interview führt der Experte aus, was Ferrero falsch gemacht hat – und wie Konkurrenzfirmen das jetzt für sich nutzen.<BR /><BR /><b>Professor Kraus, Ferrero musste mehrere Produkte weltweit vom Markt nehmen – und das vor Ostern. Was bedeutet eine Rückrufaktion dieses Ausmaßes für ein Unternehmen?</b><BR />Sascha Kraus: Ein Unternehmen dieser Größenklasse hat Notfallpläne für diese oder ähnliche Szenarien in der Schublade. Diese müssen lediglich aktiviert und gegebenenfalls adaptiert werden. Die Konsequenzen sind beherrschbar, der Zeitpunkt – just vor dem wichtigen Ostergeschäft – war natürlich alles andere als optimal. <BR /><BR /><b>Mit welchen Einbußen muss Ferrero rechnen?</b><BR />Kraus: Erste Schätzungen besagen, dass Ferrero mit direkten Kosten im siebenstelligen Bereich rechnen muss. Das ist für ein Unternehmen mit Umsätzen in Milliardenhöhe nicht einmal sonderlich dramatisch – wesentlich schwerwiegender ist der anzunehmende Image- und Vertrauensschaden, der sich gerade abzeichnet. Die wesentliche Frage ist hierbei vor allem, wie lange dieser anhalten wird, sprich, ob sich der Sturm irgendwann wieder legt.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54211867_quote" /><BR /><BR /><b>Kann sich ein Unternehmen von so einem Imageschaden erholen? </b><BR />Kraus: Das hängt im Wesentlichen davon ab, wie viel bisher offenkundig verschwiegen wurde und was noch ans Tageslicht kommt. Auch in den Wochen nach Ostern kamen immer mehr Rückrufaktionen dazu, sogar bis in die USA und nach Australien und Neuseeland. Die beste Strategie wäre größtmögliche Offenheit gegenüber der Öffentlichkeit und den Konsumenten. Hier hat Ferrero meiner Meinung nach einiges schlichtweg verschlafen und wacht nur sehr langsam auf. Im Supermarkt hängen ellenlange Listen betroffener Produkte in kleiner Schrift direkt an der Supermarktkasse, oder man recherchiert selbst im Internet. So kompliziert dürfte es aber gar nicht sein: Als Konsument muss ich mich hundertprozentig darauf verlassen können, dass die Produkte im Regal nicht aus den betroffenen Chargen aus dem belgischen Werk stammen. Stattdessen gibt es Rabattaktionen auf „Kinder“-Produkte von Ferrero. Nicht sehr clever.<BR /><BR /><b>Kann es Ferrero bei entsprechender Anpassung der Strategie noch schaffen, aus dieser Sache positiv hervorzugehen?</b><BR />Kraus: Das ist im Moment schwer einzuschätzen, aber mittelfristig sicherlich nicht. Einen solchen Lebensmittelskandal hat Europa noch nie gesehen. Die Fehler – insbesondere in der Krisenkommunikation – wurden gemacht und lassen sich so einfach nicht wieder beheben. Wir sprechen hier über Fragen der internen Unternehmenskultur, die solche Fehler und deren Verschweigen über fast 4 Monate hinweg zugelassen hat. Eine Unternehmenskultur lässt sich allerdings nicht von heute auf morgen verändern und in einem traditionsreichen Familienunternehmen wie Ferrero mit seinen jahrzehntealten Strukturen ist es noch einmal umso schwieriger. Es ist ein langfristiger Prozess, der allerdings notwendig ist, nicht nur um aus den Fehlern zu lernen, sondern um einen ähnlichen Vorfall in Zukunft zu vermeiden. Hier muss viel Vertrauen wiederaufgebaut werden. <BR /><BR /><b>Gibt es Beispiele von Unternehmen, die gestärkt aus einer Rückholaktion hervorgegangen sind?</b><BR />Kraus: Ja, interessanterweise von einem Konkurrenten Ferreros: In einem Mars-Schokoriegel wurde vor einigen Jahren ein Plastikteil gefunden, das im Rahmen der Produktion in einer niederländischen Fabrik abgefallen war. Mars hat genau das unternommen, was Ferrero eben nicht getan hat: konsequent gehandelt, ungeachtet der Kosten alles sofort auf Stop gestellt, die jeweiligen Verbraucherzentralen informiert, einen umfassenden „freiwilligen Rückruf“ von 40 verschiedenen Produkten in 60 Ländern vorgenommen und den Kunden ein deutlich wertvolleres Geschenkpaket im Austausch angeboten. Die Presse sprach damals fast einhellig von einem „Musterbeispiel geglückter Krisenkommunikation“.<BR /><BR /><b>Wie kann man als Mitbewerber Kapital aus einer Rückrufaktion schlagen?</b><BR />Kraus: Das passiert bereits. Edeka, der größte deutsche Einzelhändler sowie der Discounter Netto setzen in den sozialen Netzwerken bereits Werbeaktionen für ihre Eigenmarken Ferrero-ähnlicher Produkte ein, die „garantiert ohne Überraschung“, „bedenkenlos lecker und wunderbar günstig“ oder sogar „ohne böse Überraschung, Kinder!“ sind. Die Reaktionen der Internetgemeinde, sprich der potentiellen Konsumenten, darauf sind überwiegend positiv. Der wichtige Punkt hierbei ist, dass die Einzelhändler zwar die Ferrero-Produkte listen, aber gleichzeitig mit ihren Eigenmarken deren Wettbewerber sind. Auf der anderen Seite arbeiten Markenartikelhersteller wie etwa Lindt zurzeit unter Hochdruck daran, ihre eigene Produktion zu hinterfragen und gegen ähnliche Vorfälle abzusichern.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54212051_quote" /><BR /><BR /><b>Die Ferrero-Rückholaktion betraf nicht nur den Lebensmittel-Sektor, sondern auch die Zielgruppe Kinder. War der Salmonellen-Befall image-technisch also ein doppelter Supergau?</b><BR />Kraus: Das kann man sicherlich so sagen. Wenn man von über 150 Personen, zumeist Kinder unter 10 Jahren, hört, die aufgrund des Verzehrs von Markenschokolade mit einer Salmonellenvergiftung in der Osterzeit im Krankenhaus lagen – einen davon kenne ich sogar persönlich –, dann hätte es für das Unternehmen kaum ungünstiger kommen können. Für ein Unternehmen, das gerade in Italien bereits seit Jahrzehnten als Paradebeispiel für höchste unternehmerische wie auch gesellschaftliche Verantwortung angesehen wird, ist das natürlich ein absolutes Fiasko.<BR /><BR /><b>Gibt es Sektoren, die besonders anfällig für Rückholaktionen sind?</b><BR />Kraus: Immer wieder betroffen sind Automobilhersteller, Arzneimittel, die Lebensmittelindustrie und Haushaltsgeräte, Spielwaren und zunehmend die Informations- und Kommunikationstechnik. Rückholaktionen erhöhen immer das Reputationsrisiko der betroffenen Unternehmen, was sich kurzfristig in sinkenden Verkaufszahlen wie auch mittelfristig in ausbleibenden Wiederholungskäufen niederschlägt, da das Vertrauen in die Marke nachhaltig beschädigt ist.<BR /><BR /><b>Welche Auswirkungen haben die Sozialen Medien bei so einer Krise, und wie stellt man sich dem „Shitstorm“ am besten?</b><BR />Kraus: Das Ausmaß der Empörung in den sozialen Medien hat sich in den letzten Jahren ganz klar vervielfacht. Noch nie war es für jedermann so einfach, eine sehr große Personenanzahl mit seinen Meinungen zu erreichen. Die wesentliche Frage ist allerdings, ob ein Internet-Shitstorm, obwohl in seiner Wucht sicherlich wesentlich stürmischer als in den klassischen Medien, nicht auch wesentlich früher wieder aufklart. Meine Erstsemester-Studierenden an der Uni Bozen waren einhellig der Meinung, dass die Sache für die Konsumenten in einigen Monaten wieder komplett vergessen sein wird. Aus wissenschaftlicher Sicht hat Ferrero sicher ein Paradebeispiel für ein misslungenes Krisenmanagement abgegeben.