„Dass der Wohlstand in Südtirol auch maßgeblich dem Tourismus zu verdanken ist, ist offensichtlich nicht mehr jedem bewusst.“ Was HGV-Präsident Manfred Pinzger zur Kritik am Tourismus in Südtirol sagt. <BR /><BR /><b>Herr Pinzger, der Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) feiert sein 60-jähriges Bestehen. Worin sehen Sie kurz und knapp die größte Leistung des Verbandes für den Südtiroler Tourismus?</b><BR />Manfred Pinzger: Die größte Leistung liegt für mich bei den Wirten. Sie erkannten vor 60 und mehr Jahren das große Potenzial, das das Gastgewerbe für Südtirol hatte und hat. Diese Entwicklung hat der HGV begleitet, indem er es geschafft hat, die Politik von Rahmenbedingungen zu überzeugen, die eine kontinuierliche Entwicklung der Gastronomie und Beherbergung ermöglicht hat. Die größte Leistung des HGV und seiner ehemaligen Präsidenten war das Bestreben, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe zu sichern und zu fördern. <BR /><BR /><embed id="dtext86-59414514_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Südtirol hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einem armen Land, dessen wirtschaftliche Grundlage vorwiegend die Berglandwirtschaft war, zu einer der wohlhabendsten Regionen Europas entwickelt. Einen großen Anteil daran hatte und hat der Tourismus. Trotzdem ist der Tourismus in Südtirol seit ein paar Jahren so sehr im Kreuzfeuer der Kritik wie noch nie – Stichwort Overtourism, Verkehr oder letzthin auch Wasserknappheit. Wie ordnen Sie diese Kritik ein bzw. wie viel Wahrheit steckt in dieser Kritik?</b><BR />Pinzger: Dass Südtirol heute wirtschaftlich gut dasteht, dass es kaum Abwanderung aus Tälern und Dörfer gab, dass in den Tälern und Dörfern Arbeitsplätze geschaffen werden konnten und somit Einkommen und Wohlstand, ist nicht zuletzt dem Tourismus zuzuschreiben. Immerhin kreiert der Tourismus viel indirekte Wertschöpfung und die meisten Sektoren profitieren davon. Dies ist offensichtlich nicht mehr jedem bewusst. Natürlich bringt der Tourismus zu gewissen Zeiten in gewissen Gebieten auch Belastungen mit sich. Deshalb aber pauschal den Tourismus zu attackieren, ist nicht fair und kurzsichtig. Unser Sektor hat bereits vieles unternommen und wird dies weiterhin tun, um die eigene Belastung, etwa auf den Straßen oder bei stark frequentierten Ausflugszielen, zu reduzieren. Hier sind aber alle gefordert, ihren Beitrag zu leisten. <BR /><BR /><BR /><b>Vor rund 30 Jahren lancierte der HGV eine große Imagekampagne mit dem Slogan: „Gastgewerbe – Berufe mit Zukunft“. Heutzutage hat das Gastgewerbe – wie viele andere Branchen auch – unter einem massiven Arbeitskräftemangel zu leiden. Woran liegt es? An den Arbeitszeiten, sind die Berufe nicht mehr attraktiv, oder an der Entlohnung?</b><BR />Pinzger: In der Tat hat die demografische Entwicklung große Effekte und diese werden noch zunehmen. Jetzt kommen die geburtenschwachen Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt. Damit umzugehen, wird für alle Sektoren, ob privat oder öffentlich, schwierig. Im Gastgewerbe können Arbeitsplätze nur beschränkt durch Technik ersetzt werden. Es braucht daher eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeiten, sprich eine 5-Tage-Woche – wobei es dann wieder zusätzliche Mitarbeiter braucht oder es wird ein zweiter Ruhetag eingeführt. Zudem muss das eigene Angebot angepasst werden, es braucht eine Stärkung der Mitarbeiterführung und der Mitarbeiterbindung, Innovation und Digitalisierung und eine Steigerung der Attraktivität der Berufe im Gastgewerbe. <BR /><BR /><embed id="dtext86-59414515_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Dem HGV wird immer wieder vorgeworfen, über politische Vertreter Lobbyismus zu betreiben. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Aufgabe eines Interessensverbandes?</b><BR />Pinzger: Das Wort sagt es schon: Die Interessen seiner Mitglieder vertreten. Dazu gehört für mich sich auf allen Ebenen für die Belange des eigenen Sektors einzusetzen, und zwar insbesondere dort, wo die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wenn ein Verband das nicht tun würde, dann hätte er seine Aufgabe verfehlt. Ich denke, es gehört zum Wesen einer demokratischen Gesellschaft, dass Interessen artikuliert werden – auch über Vereine und Verbände und versucht wird, dafür auch politische Mehrheiten zu erzielen. <BR /><BR /><BR /><b>Sind Verbände überhaupt noch zeitgemäß, oder könnten Sie sich vorstellen, dass es auch einen Zusammenschluss geben könnte: Also einen großen Dachverband für alle Wirtschaftssektoren?</b><BR />Pinzger: In Südtirol haben wir in Form des Wirtschaftsrings SWR einen Zusammenschluss. Dafür hat sich übrigens unser ehemalige Präsidenten Artur Eisenkeil stark eingesetzt. Nachdem die Interessen und Tätigkeiten der Wirtschaftsverbände doch unterschiedlich sind, bin ich ein Befürworter dessen, dass die Verbände getrennt agieren, aber verbandsübergreifende Themen und Anliegen gemeinsam vorantreiben. Dafür ist der SWR da. <BR /><BR /><BR /><b>Vor wenigen Jahren hieß es noch, Südtirols Tourismus verkaufe sich zu billig, die Preise müssten steigen. Mittlerweile lautet die Kritik oftmals, dass Südtirol zu teuer sei. Wie lautet Ihre Zukunftsvision für Südtirols Tourismus? High-Class-Level oder ein Urlaubsland, das für jedermann erschwinglich ist?</b> <BR />Pinzger: Unser Urlaubsland ist gekennzeichnet durch ein sehr breites Angebot in der Gastronomie und in der Beherbergung. Diese Betriebe sind fast ausschließlich familiengeführt. Dies sind 2 Säulen, die uns stark gemacht haben und auch krisenresistent. Die Herausforderung ist für mich, dieses breite touristische Angebot zu stärken, von den Jugendgruppen bis zur 5-Sterne-Hotellerie ein stimmiges Angebot mit einer angepassten Preis-Leistung anzubieten. Und in der Gastronomie von der Bar über das Dorfgasthaus zum Sterne-Restaurant ebenso ein buntes und zugleich spannendes gastronomisches Angebot zu schaffen. Also, nicht nur High-Class-Level, wie Sie es ausdrücken, sondern ein erschwingliches Angebot für jedermann. Wobei ich schon sagen darf, für eine gute Leistung darf ruhig auch ein guter Preis verlangt werden.