<b>STOL: Die jüngsten Fälle in Deutschland – <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/2-maedchen-gestehen-die-12-jaehrige-luise-erstochen-zu-haben" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">der Mord an Luise</a>, <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/maedchen-schlagen-und-demuetigen-13-jaehrige-und-filmen-alles" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">die Drangsalierung des Mädchens in Heide</a> – schockieren. Aber auch aus Meran gibt es derzeit fast täglich Meldungen von <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/13-jaehriger-im-bus-verpruegelt-man-muss-man-sich-im-eigenen-land-fuerchten" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Übergriffen auf Jugendliche.</a> Hat Südtirol ein Problem mit Jugendgewalt?</b><BR />Lukas Schwienbacher: Es gibt in der Gesellschaft Gewalt, verschiedene Formen davon: Mobbing und Cybermobbing, physische und psychische Gewalt, strukturelle. Häufig auch in den Familien und in deren Umfeld. Leider üben auch junge Menschen Gewalt aus.<BR /><BR /><b>STOL: Die Statistiken sagen, Jugendgewalt nimmt grundsätzlich eher ab. Trotzdem werden immer wieder schockierende Fälle öffentlich – wie nun in Meran. Sind das Ausreißer, die man gesondert anschauen muss?</b><BR />Schwienbacher: Zur spezifischen Situation in Meran kann ich nichts sagen, weil mir die Informationen fehlen. Grundsätzlich muss man jeden Fall von Gewalt im öffentlichen Raum für sich in den Fokus nehmen, die Motive und Hintergründe genauer beleuchten: Handelt es sich um einen Konflikt, der eskaliert? Sind Alkohol oder Drogen im Spiel? Viel Gewalt nährt sich aus diesem Kontext. Erleben die jungen Menschen, die Gewalt ausüben, in ihrer Familie Gewalt? Häufig gibt es im Vorfeld mehrere Belastungsfaktoren. Wichtig ist auch hinzuschauen, wie häufig ein Mensch gewalttätig wird.<BR /><BR /><embed id="dtext86-58839491_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Was sagt Ihre Erfahrung?</b><BR />Schwienbacher: Es gibt keine einfache Lösung. Wir dürfen Gewalt nicht tolerieren. Und müssen klare Signale setzen. Aber wir müssen auch genau auf die Hintergründe schauen: Häufig sind junge Menschen, die gewalttätig werden, Symptomträger, waren selbst Opfer von Gewalt. Es gilt, viel mehr in den Präventionsbereich zu investieren, damit Gewalt nicht zu einer Bewältigungsstrategie wird.<BR /><BR /><b>STOL: Die Eltern der betroffenen Kinder, die Opfer wurden, fühlen sich alleingelassen. Was kann man tun?</b><BR />Schwienbacher: Verantwortliche müssen sich an einen Tisch setzen und gemeinsam Lösungen finden. Es ist ein gesellschaftliches, strukturübergreifendes Thema. Nur in diesem Zusammenspiel kann man intervenieren, wenn es wie nun im Burggrafenamt um eine Akutsituation geht. Es ist wichtig, regelmäßig Risikofaktoren für die Entstehung von Gewalt zu minimieren und zu reduzieren: den Nährboden für Gewalt entziehen; etwa indem man Familien, die sich in schwierigen Situationen befinden oder in schwierigen Verhältnissen leben, schon früh begleitet.<BR /><BR /><b>STOL: Dafür braucht es Geld und vor allem Personal. Das fehlt an allen Ecken und Enden, gerade im Sozialbereich.</b><BR />Schwienbacher: Natürlich muss man die finanziellen und personellen Ressourcen bereitstellen. Aber es ist wichtig, dass Menschen lernen, Konflikte ohne Gewaltanwendung zu lösen. <BR /><BR /><i>Bevor Sie weiterlesen, stimmen Sie ab!</i><BR /><BR /> <div class="embed-box"><div data-pinpoll-id="232178" data-mode="poll"></div></div> <BR /><BR /><b>STOL: Da sprechen Sie einen interessanten Punkt an: Die Mutter des 13-jährigen Schläger-Opfers hat gesagt, ihr Sohn sei erzogen, nicht zurückzuschlagen. Und niemand hat eingegriffen, um ihm zu helfen.</b><BR />Schwienbacher: Die Gesellschaft muss Menschen vor Gewalt schützen. Wir müssen Menschen jeder Altersklasse sensibilisieren, zivilcouragiert zu handeln: Man muss aber auf Gewaltsituationen aufmerksam machen und Hilfe holen, ohne sich dabei selber in Gefahr zu bringen. In öffentlichen Verkehrsmitteln kann man etwa den Busfahrer zu Hilfe rufen oder andere Erwachsene und den Notruf absetzen. Und schließlich gilt es, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen.<BR /><BR /><b>STOL: Für eventuelle strafrechtliche Folgen sind die Täter häufig zu jung. Wären Sie für härtere Sanktionen?</b><BR />Schwienbacher: Es braucht einen Konsens, dass Gewalt abgelehnt wird. Wenn junge Menschen häufig gewalttätig werden, gilt es, diese Kette schnell zu unterbrechen: Sonst verfestigt sich die Gewalt als Strategie zur Bewältigung von Problemen und Konflikten. Sie werden diese dann unter Umständen auch im späteren Leben anwenden. Es gibt verschiedene Maßnahmen: Gezielt eingesetzt, sind sie erfolgreich. Das zeigen viele positive Beispiele, die wir aus der Jugendgerichtsbarkeit kennen. Wir müssen alle Kraft und Initiative daransetzen, diesen Weg zu gehen. Die jungen Menschen sind die Erwachsenen von morgen. Es darf nicht unser Ziel sein, Kinder und Jugendliche ins Gefängnis zu stecken: Dieser Weg erhöht nachweislich die Wahrscheinlichkeit, dass sich gewalttätiges Verhalten verstärken kann. <BR /><BR /><b>STOL: Aus Deutschland sind letzthin schlimme Fälle bekanntgeworden, in denen Mädchen Täterinnen waren: etwa beim Mord an der 12-jährigen Luise. Ein neues Phänomen?</b><BR />Schwienbacher: Gewalt wird durch Medien – auch Social Media – sehr sichtbar und zugänglich. Manche benutzen diese Medien, um sich über Gewalt selbst darzustellen, wenn auch negativ. Das tun auch Mädchen. Schockierende Fälle erhalten viel Aufmerksamkeit. Weniger Aufmerksamkeit bekommt, was dahintersteht: Würde man Gewalt in der Familie genauso thematisieren wie Jugendgewalt, würde man damit auch Jugendgewalt verhindern.<BR /><BR /><b>STOL: Wie?</b><BR />Schwienbacher: Wir hören das nicht gern, aber oft sind Täter selbst Opfer und traumatisiert – zum Beispiel, wenn sie als Kinder Gewalt miterlebt haben. Das entschuldigt ihre Taten nicht. Aber patriarchale Rollenbilder, die Frage, was männlich ist und was nicht, Gewalt an Frauen: All das sollte mehr in den Fokus rücken. Genauso, wie wir Zivilcourage stärken sollten. Meistens wird Gewalt erst öffentlich thematisiert, wenn etwas passiert. Wir sollten uns hingegen öfter schon vorher fragen, was wir tun können, damit es möglichst wenig Gewalt gibt.<BR />