Freitag, 8. September 2023

Fall Neumair/Perselli: „Lebenslang“ am Prüfstand

Als widersprüchlich bewertet die Verteidigung von Benno Neumair die Begründung des Urteils, mit dem ihr Mandant zu lebenslanger Haft wegen des Mordes an seinen Eltern Laura Perselli und Peter Neumair verurteilt worden ist. Das Bozner Schwurgericht habe den Erkenntnissen der psychiatrischen Gutachter nicht entsprechend Rechnung getragen – nicht einmal jenen der eigenen Amtssachverständigen.

Benno Neumair. - Foto: © GROPPO

Das ist eines der zahlreichen Argumente, die die Verteidigung im Berufungsschwurgerichtsverfahren ins Feld führen wird, das nächsten Freitag beginnt. Aus Platzgründen könnte es nicht am Oberlandesgericht, sondern im Schwurgerichtssaal des Landesgerichtes abgehalten werden, auch weil mit regem Medieninteresse zu rechnen ist.

Benno Neumair war am 19. Oktober vorigen Jahres für schuldig befunden worden, am 4. Jänner 2021 seinen Vater und seine Mutter ermordet und im Anschluss ihre Leichen beseitigt zu haben. Das Schwurgericht (Vorsitz Richter Carlo Busato) zeigte sich überzeugt, dass Benno Neumair bei beiden Morden voll zurechnungsfähig war.

Schuldig im Sinne der Anklage: So urteilte das Bozner Schwurgericht (Vorsitz Richter Carlo Busato, Beisitzer Richter Ivan Perathoner) im Oktober 2022 über Benno Neumair.

Verteidiger: Beim Mord an Peter Neumair nur eingeschränkt zurechnungsfähig

Genau das stellen seine Verteidiger Flavio Moccia und Angelo Polo in ihrer 130 Seiten umfassenden Berufungsschrift vehement in Abrede. Die 3 Amtssachverständigen Dr. Eraldo Mancioppi, Marco Samory und Isabella Merzago hatten Benno Neumair beim Mord an Peter Neumair für nur eingeschränkt zurechnungsfähig befunden, während er voll einsichts- und willensfähig gewesen sei, als er seine Mutter getötet habe. Nach Ansicht der Verteidigung habe das Schwurgericht sowohl diese Einschätzung als auch jene der Gutachter der Verteidigung, die Benno Neumair aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung eine teilweise bis völlige Unzurechnungsfähigkeit bei beiden Taten bescheinigt hatten, nicht entsprechend berücksichtigt. Falls das Berufungsschwurgericht (Vorsitz Richterin Silvia Monaco, Beisitzer Richter Oswald Leitner ) in dieser Hinsicht Zweifel haben sollte, könnte es durchaus ein neues Psycho-Gutachten anordnen.

Neue Magnetresonanz-Untersuchung beantragt

Bereits beantragt haben Moccia und Polo eine neue Magnetresonanz-Untersuchung von Benno Neumair. In erster Instanz hatte die Verteidigung im Gerichtssaal bereits ein Magnetresonanz-Bild von Benno Neumairs Gehirn vorgelegt, auf dem – wie Gutachterin Cristina Scarpazza ausführte – eine „Anomalie“ zu sehen sei: ein „Loch“ im rechten Bereich des Hippocampus. Laut Scarpazza würden Patienten mit lädiertem Hippocampus dazu tendieren, ihre Aggressivität nicht unter Kontrolle zu haben.

Neumair im Gefängnis von Verona

Weiters erneuert die Verteidigung ihren Antrag, Benno Neumair ein verkürztes Verfahren zuzugestehen, das einen Strafnachlass von einem Drittel vorsehen würde. Diesbezüglich wird sogar die Verfassungsmäßigkeit der Regelung, wonach bei Straftaten, für die lebenslange Haft droht, kein verkürztes Verfahren vorgesehen ist, angezweifelt.

Ob Benno Neumair, der inzwischen in Verona im Gefängnis sitzt, am 15. September persönlich erscheinen wird, ist vorerst unklar, ebenso, ob seine Familienangehörigen das Verfahren im Gerichtssaal verfolgen werden. Falls ja, wäre es der erste Kontakt seit langem: Bis heute soll Benno Neumair jedenfalls kein Anstalten gemacht haben, seine Familie zu kontaktieren – weder telefonisch noch schriftlich.

Eine umfassende Chronologie des Mordfalles finden Sie hier.

Mehr zum Mordfall Neumair/Perselli lesen Sie hier.

rc

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