Etwa zweieinhalb Monate saß der junge Mann aus Lana nach dem Unfall im Rollstuhl, inzwischen ist er mit Krücken unterwegs. Im Interview erzählt Samuel von den dramatischen Momenten des Absturzes, von der schwierigen Bergung – und davon, ob er überhaupt noch Lust aufs Fliegen hat. <BR /><BR /><b>Wie geht es Ihnen fast 4 Monate nach dem Unfall?</b><BR />Samuel M. S.: Inzwischen geht es mir echt gut angesichts der Schwere meiner Verletzungen. Ich kann wieder ins soziale Leben eintauchen.<BR /><BR /><b>Was hat Sie gehindert?</b><BR /> Samuel M.S.: Ich saß ungefähr zweieinhalb Monate im Rollstuhl und jetzt bin ich außerhalb von Zuhause auf Krücken unterwegs und kann wieder in die Stadt gehen. Wenn man im Rollstuhl sitzt, merkt man erst, wie brutal schwierig das Fortkommen draußen ist, jede kleine Stufe wird zum Riesenhindernis. Wenn man gehen kann, sieht man so eine Stufe gar nicht. Die ganze Stadt, das ganze Dorf ist eine Riesenhindernis für Rollstuhlfahrer. Man will gar nicht hinaus, weil man weiß, dass man da und dort mergeln muss.<BR /><BR /><b>Ist der 24. März wie ein zweiter Geburtstag?</b><BR />Samuel: Diese Frage wird mir öfters gestellt. Nein, nicht wie ein zweiter Geburtstag, sondern ein Glückstag. Ein Tag, am dem ich extremes Glück hatte. Ein Tag, der mir höchstwahrscheinlich ewig in Erinnerung bleibt, weil er mein Denken verändert hat.<BR /><BR /><b>Wie?</b><BR />Samuel: Weil ich gemerkt habe, wie vergänglich das Leben ist. Und dass es volle schade wäre, bei einer Sportart, die man zwar extrem gern ausübt, zu sterben. Ich übe auch andere Sportarten aus, und wenn der einzige Preis, um das Leben zu leben und andere Sportarten zu betreiben, der ist, das Risiko beim Paragleiten herunterzufahren, dann tu ich das. Zudem wird einem bewusst, dass man Leute um sich hat, denen man sehr wichtig ist, und die mir genauso wichtig sind. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="786566_image" /></div> <BR /><BR /><b>Welche Erinnerungen haben Sie an jenen Tag überm Tschigat?</b><BR />Samuel: Es war ein wolkenloser Tag, kurz nach einer Wetterfront, extrem gute Sicht. Wir sind zu viert oberhalb vom Mutkopf gestartet. Es herrschten starke Thermiken, starker Aufwind. Zwischendurch sind wir 7 Meter in der Sekunde gestiegen, ja fast hinaufgeschossen. Mein ursprüngliches Ziel war über den Jaufen zum Penserjoch und wieder zurückzufliegen.<BR /><BR /><b>Aber es kam anders...</b><BR />Samuel: Ich habe den Schirm über die Mut hinaufgedreht, wollte über der Vorderkante der Mut hinüber zum Tschigat, um über die Hohe Weiße zum Jaufen zu fliegen. Aber Richtung Hohe Weiße ließ die Thermik nach und ich bin nur mehr gesunken. Also flog ich zurück zur Kante vom Tschigat, um im Aufwind Höhe zu gewinnen und dann Richtung Jaufen zu fliegen.<BR /><BR /><b>Was passierte dann?</b><BR />Samuel: Ich hatte schon a bissl ein komisches Gefühl, als ich über die Kante hinausgeflogen bin, weil es leicht turbulent war und am Segel gezupft hat. Auf einmal ist die rechte Seite des Schirms hereingeklappt und dann klappte er ganz zusammen.<BR /><BR /><b>Wie fühlt sich das an?</b><BR />Samuel: Im ersten Moment erschrickt man. Dann habe ich den Fehler gemacht, sehr schnell das Klappen zu stützen, indem ich die Bremsleine gezogen habe. Das habe ich zu schnell und aggressiv getan, was zu einem einseitigen Strömungsabriss geführt hat. Dadurch kam der Schirm ins Trudeln, ich bin 5 Meter je Sekunde gesunken. Mit dem Rettungsschirm sinkt man in etwa genauso schnell. Das Zusammenklappen des Schirms fühlt sich an, als würde man nach hinten wegkippen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-55086861_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wann haben Sie gemerkt, jetzt stürze ich ab?</b><BR />Samuel: Sobald ich ins Trudeln gekommen bin und die Felsen immer „gleimer“ kamen.<BR /><BR /><b>Was schoss Ihnen durch den Kopf?</b><BR />Samuel: Bis zum ersten Aufprall nicht viel, weil ich versucht habe, das Problem unter Kontrolle zu kriegen. Aber es war durchgehend ein unangenehmes Gefühl, in einer Situation zu sein, in der man nicht sein möchte, aus der ich aber nicht herausgekommen bin, weil ich zu wenig Pilotenerfahrung hatte. Alles ist von einer Überreaktion ausgegangen. Der Schirm hatte dann wieder Fahrt aufgenommen, aber ich war zu „gleim“ bei den Felsen und der Wind hat mich gegen die Felsen getrieben.<BR /><BR /><b>Dann der erste Aufprall...</b><BR />Samuel: Ja, und ich merkte, ich bleibe nicht stehen, weil der Tschigat an seiner Südseite sehr steil und felsig ist. 150 Meter hinab bin ich immer gefallen und wieder aufgeschlagen, etwa so, wie wenn man einen Stein hinunterwirft. An vertikalen Wänden vorbei, aber der Schirm hat mich immer ein wenig abgebremst, dass ich nicht im freien Fall abgestürzt bin. Mein einziger Gedanke: Ich möchte nicht auf diese Art und Weise mein Leben jetzt beenden. 150 Meter nach dem ersten Aufschlagen kam ich auf einer Felskante zu liegen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="786569_image" /></div> <BR /><BR /><b>Weil sich die Leinen des Schirms an einer Kante verfangen haben?</b><BR />Samuel: Nicht direkt. Ich bin auf einem Felsvorsprung zu liegen gekommen, auch vielleicht weil sich der Schirm darüber verhängt hat; unter dem Felsvorsprung eine über 100 Meter tiefe Wand. Ich dachte mir: Ok, ich liege, das passt. Ich bin am Leben, ich war einfach nur glücklich. Ich habe nicht unmöglichen Schmerz gespürt, wusste aber, dass meine beiden Füße gebrochen sind. <BR /><BR /><b>Warum?</b><BR />Samuel: Weil ich beim Abstürzen versucht habe, den Aufprall mit den Füßen abzufedern. Dabei habe ich aber gemerkt, dass meine Füße bis zum Sprunggelenk einfach nur mehr so dranhingen, ich konnte keinen Tritt mehr finden. <BR /><BR /><b>Was glauben Sie, war lebensrettend?</b><BR />Samuel: Ich will nicht so mein Leben lassen, war mein einziger Gedanke. Ich war innerlich so angespannt, dass ich nicht bewusstlos wurde, als ich über die Felsen gestürzt bin. Ich denke, das hat mich gerettet.<BR /><BR /><b>Wie breit war die Kante, auf der Sie zu liegen kamen?</b><BR />Samuel: So eineinhalb Meter.<BR /><BR /><b>Was haben Sie als erstes getan, wie Sie da lagen?</b><BR />Samuel: Ich habe sofort mein Handy genommen und den Notruf abgesetzt. Sonst habe ich niemanden angerufen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55086863_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wie haben Sie die bange Zeit bis zur Rettung bewältigt?</b><BR />Samuel: Ich bin aus dem Gurt heraus, denn der Schirm hat immer wieder geraschelt und ich dachte mir, bevor er Luft kriegt und mich über den Berg hinunterzieht, ziehe ich den Gurt aus. Dann bin ich von der Kante weggerobbt und habe mich am Fels festgeklammert. Ich habe mich abgetastet, ob ich einen offenen Bruch habe, habe die Zehen bewegt, weil ich auch auf dem Rücken aufgeschlagen bin. Der Luftprotektor im Gurt war geplatzt, dafür mein Rücken heil, nur Abschürfungen an einem Arm. Verletzt war ich vom Wadenbein abwärts. <BR /><BR /><b>Was ging in Ihnen vor, als der Bergretter Sie gesichert hat?</b><BR />Samuel: Ich hielt die Augen immer geschlossen. Hab den Lärm der MeBo herauf gehört. Meinte immer das Geräusch des Hubschraubers schon zu hören, obwohl er noch nicht da war. Der Hubschrauber hat den ersten Bergretter weiter rechts von mir abgesetzt, der dann zu mir hergeklettert ist, einen Stand gebaut und mich gesichert hat. Weil der Fels dort so brüchig ist, war es auch für die Retter riskant. Dann wurde noch ein zweiter Bergretter abgeseilt, der Schirm wurde gesichert und eingepackt. Dann wurde ein dritter Bergretter zu mir abgeseilt, der mich mit der Seilwinde barg. Im Hubschrauber bekam ich Schmerzmittel, beim Flug bin ich fast eingeschlafen. Als wir auf dem Krankenhausdach gelandet sind, eineinhalb Stunden nach meinem Notruf, meinten die Retter: Magst nicht jemanden anrufen?<BR /><BR /><b>Und?</b><BR />Samuel: Ich entschied, meine Freundin anzurufen, um meiner Mama auszurichten, dass es mir gut geht. Meine Mutter hätte zu viele Fragen gestellt (lacht).<BR /><BR /><b>Wie schwer waren Ihre Beinverletzungen?</b><BR />Samuel: Beide Wadenbeine waren gebrochen, beide Sprunggelenke stark beschädigt und beim rechten Fuß war der Mittelfuß zertrümmert und der große Zeh gebrochen. Ich musste 3-mal in verschiedenen Zeitabständen operiert werden und war 3 Wochen im Spital.<BR /><BR /><b>Den Alptraum des Absturzes psychisch bewältigt?</b><BR />Samuel: Die schwierigste Zeit war im Spital, weil mich coronabedingt nur eine Person – meine Freundin – besuchen durfte; 2, 3 Mal kamen auch Mama und Tata. Ich hatte seelische Downs. Man liegt 24/ 7 im Bett, kann sich nicht bewegen. Die Highlights waren Essen oder das Neu-Verbinden. Das war das Spannendste am Tag. Dabei wäre das Wichtigste, Leute um sich herum zu haben, Unterstützung zu bekommen. Besuch wäre volle wichtig. Psychisch, das wundert mich, habe ich keine Probleme. Ich habe nie bewusst davon geträumt. Der Sturz verfolgt mich nicht.<BR /><BR /><b>Noch Lust aufs Fliegen?</b><BR />Samuel: Zur Zeit nicht, aber ich bin ziemlich sicher, dass ich wieder fliegen werde. Denn man kann es sicherer betreiben, Risiken minimieren. Ich empfehle jedem jungen Piloten einen Sicherheitskurs, um nicht den gleichen Fehler zu machen wie ich. In so einer Situation hätte mir das sehr geholfen.<BR />