Es ist wichtig, die Aufmerksamkeit für gleiche Lebenschancen, gleiche Voraussetzungen, geteilte Lasten und Solidarität sowie den Kampf gegen Gewalt an Mädchen und Frauen hochzuhalten. Neben der Politik haben wir auch als Zivilgesellschaft die Aufgabe, Gleichberechtigung voranzutreiben, das Thema Care verstärkt in den Blick zu nehmen und soziale Ungleichheiten zu beseitigen. Wir haben in der Corona-Pandemie gesehen, dass plötzlich sehr viel Geld da ist, Entscheidungen schnell und unkompliziert getroffen werden können, kreative Lösungen gefunden werden.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="684287_image" /></div> <BR />Im Jänner 2017, am ersten Tag nach der Amtseinführung von <b>Donald Trump,</b> fand in Washington D.C. ein Protestmarsch für Frauen- und Menschenrechte statt; neben dem Marsch in Washington fanden sogenannte Schwesternmärsche auch in anderen Großstädten und Ländern statt. Auch in Bozen gab es eine Demo mit den „pussy hats“. Inzwischen sind die Schwesternmärsche internationalistisch; sie beinhalten eine Form von politischem Denken und vereinen viele Momente – soziale, politische, ökonomische, allgemeine und lokale, materielle und psychische, lustvolle und aktivistische. Die Dynamik des Austausches und der Bildung von Netzwerken setzt neue Kraft zum gemeinsamen Handeln frei. Eine kollektive Erfindung einer neuen Erzählung. <BR /><BR /><BR />Am 25. September 2021 war es so weit: Frauenmarsch in Bozen. Im Appell hieß es: Wir wollen <BR /><b>frei</b> sein von Gewalt: jeglicher kontrollierenden, besitzergreifenden, erniedrigenden Gewalt <BR /><b>frei</b> sein von Sexismus: von alltäglichen sexualisierten und sexistischen Übergriffen<BR /><b>frei</b> sein von ungewollten Rollenzuschreibungen <BR /><b>frei</b> sein, über unsere eigenen Körper zu entscheiden <BR /><b>frei</b> sein, uns (fort)zubilden <BR /><b>frei</b> sein, zu gehen oder zu bleiben <BR /><b>frei</b> sein, uns unsere eigenen Räume zu schaffen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="684290_image" /></div> <BR />Der Südtiroler Frauenmarsch reiht sich in die große Mobilisierung ein, die fast überall auf der Welt patriarchale gesellschaftliche Verhältnisse ins Wanken bringt. Im Hinblick auf diese internationalistische Form betont die Soziologin <b>Verónica Gago</b> 2 Punkte. Erstens, dass die Bewegung neue Parameter für das Denken, Sichtbarmachen und Spüren unterschiedlicher Formen von Unterdrückung etabliert. Und zweitens, dass dadurch Allgegenwart und Homogenität erzeugt wird. In dieser Bewegung steckt ein enormes Potenzial, das überall nachhallen kann. <BR /><BR /><b>Heidi Hintner hat mit Philosophin <Fett>Eva von Redecker</Fett> anlässlich von 10 Jahre Istanbul-Konvention im Mai und des Südtiroler Frauenmarsches im September folgendes Gespräch geführt.</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="684293_image" /></div> <BR /><b>10 Jahre Istanbul-Konvention, das weltweit erste verbindliche internationale Abkommen gegen Gewalt an Frauen, von Vergewaltigung in der Ehe über Männergewalt an Frauen bis hin zur weiblichen Genitalverstümmelung. Doch es gibt keinen Grund zur Freude: Hindernisse bleiben weiterhin bestehen; Männergewalt an Frauen nahm in Coronazeiten um ein Drittel zu, im März stieg die Türkei aus dem Abkommen aus. Groß war und ist die Empörung. Frauen gehen weltweit auf die Straße, um zu protestieren. Demonstrationen und Frauenstreiks – alte, neue Protestformen – wirklich hilfreich, sinnvoll?</b><BR />Eva von Redecker: Ja, definitiv beides: hilfreich und sinnvoll. Es ist hilfreich, weil solche institutionellen Abkommen wie etwa die Istanbul-Konvention überhaupt nur ihre volle Kraft entfalten, wenn sie sich auf Proteste und Mobilisierung stützen können. Sonst bleiben die schönen Beschlüsse bloße Papiertiger – es steht ja keine sonstige politische Macht 100-prozentig entschlossen dahinter. Und sinnvoll, weil diese Proteste, Streiks und Demonstrationen auch dafür sorgen, dass es doch Grund zur Freude gibt. Dort wird emanzipative, feministische Macht spürbar – das ist eine wunderbare Erfahrung.<BR /><BR /><BR /><b>Passion und Durchsetzungsvermögen sind tief in den Frauen, die auf die Straße gehen, verankert. Die Literaturtheoretikerin Katrin Pahl weist auf die „chorischen“ Aspekte des feministischen Prostest-Repertoires hin. Was meint sie damit?</b><BR />Von Redecker: Zunächst analysiert sie die theatralischen Formen. Dass Performances, etwa die weltweit berühmt gewordene Choreografie der chilenischen Gruppe <Fett>„Las Tesis“</Fett> so einen hohen Stellenwert haben, dass generell im Kollektiv agiert wird. Nicht in einem uniformen, militaristischen Kollektiv, sondern in einem, das neue, geradezu tänzerische Formen von Gemeinsamkeit und Vielstimmigkeit erprobt. Hinzu kommt eine Reflektion auf die Funktion des Chors im antiken Drama: Aus feministischer Sicht kann man ihn anders verstehen, nicht nur als Hintergrund der Heldinnen und Helden. Der Chor ist der eigentliche Ort des Geschehens, die Quelle besseren Urteils, eine ausgesprochen demokratische Figur also. Ich finde das sehr inspirierend.<BR /><BR /><BR /><b>„D“: Die Philosophin Kate Manne beschreibt in ihrem Buch „Down Girl“ (2020) die Logik des Frauenhasses: Dazu gehört, dass Männer Frauen in asymmetrischen Rollen moralischer Unterstützung in Anspruch nehmen. Sie betont auch, dass Misogynie strukturell und Teil eines (viel) größeren Systems ist. Die Feinseligkeit gegen Frauen ist lediglich die Spitze eines großen, beunruhigenden Eisbergs.</b><BR />Von Redecker: Ja, das Motiv der Anspruchhaltung – dass Männer so leicht denken, Frauen schuldeten ihnen Zuwendung – ist wunderbar herausgearbeitet bei Manne. Misogyne Gewalt ist dann gewissermaßen die Zwangsvollstreckung dieser „Schuld“. Als Kritische Theoretikerin fehlt mir in Down Girl allerdings der Versuch, die Misogynie wirklich in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang zu erläutern. Wir müssen besser verstehen, wie sich diese misogynen Strukturen historisch entwickelt haben und welche Rolle sie spielen. Das Bild eines isolierten und massiven Eisbergs aus Frauenhass mit Mord an der Spitze ist dabei irreführend. Gewaltverhältnisse greifen ineinander: materielle Unsicherheit, rassistische Zergliederung der Menschheit, und die vollkommen selbstverständliche Ungeheuerlichkeit der Zerstörung unseres Planeten, an der wir uns in den Industrienationen Tag um Tag beteiligen. All das gewöhnt uns an den Gedanken, dass Brutalität eine Art Währung ist, mit der wir die Rechnung für unsere Ziele oder unseren bloßen Aufenthalt auf der Welt begleichen. Wir müssten uns also, um im Bild zu bleiben, auch fragen: Warum ist es hier so kalt? Warum sind die sozialen Beziehungen eisig, während die tatsächlichen Gletscher schmelzen?<BR /><BR /><BR /><b>Worauf beruht Ihrer Meinung nach der Frauenstreik – vom Sexstreik bei Lysistrata über die Suffragetten bis hin zum irischen Streik 1975 und den aktuellen Streiks oder den eindrucksvollen Märschen in den größten Städten weltweit?</b><BR />Von Redecker: Ich weiß nicht, ob ich eine allumfassende Diagnose wagen will… Aber vielleicht doch diese: auf weiblichen Beziehungen. Alle diese Streiks beruhen nicht nur auf der Verweigerung von femininen Körpern, gehorsam im Bett oder zu Hause zu bleiben, sondern auch auf dem Zusammenschluss untereinander. Die Frauenstreiks stiften neue Beziehungen und eröffnen damit die Möglichkeit einer grundlegend anders verfassten gesellschaftliche Macht.<BR /><BR /><BR /><b>Es geht also nicht darum, Mädchen und Frauen zu favorisieren, sondern die Beziehung unter Mädchen und Frauen. Solidarität in Form von Dreisamkeit, Viersamkeit, Vielsamkeit… Die deutsche Philosophin Bini Adamczak weist darauf immer wieder hin: Solidarisch sein heiße, die Wärme auf die Straße zu tragen.</b><BR />Von Redecker: Ja, da bringt sie eine ganze feministische Gesellschaftsanalyse auf den Punkt. Weiblichkeit und Häuslichkeit sind ja in der bürgerlichen Moderne zum Gegenpol einer kalten, berechnenden Geschäftswelt stilisiert worden. Und zum ständigen Quell von Fürsorge und Zuneigung dressiert. Wir können das zwar bestreiken, aber damit eröffnen wir immer noch keinen Horizont auf umfassende Befreiung. Und wir haben gesehen, dass die Sorgearbeit oft nur weitergereicht wird, schlecht bezahlt, wiederum ausgebeutet. In einer Gesellschaft, deren Öffentlichkeit und Wirtschaft wärmend und bedürfnisorientiert verfasst wären, fiele der Kompensationsbedarf hingegen weg. Sich solidarisch zu organisieren, zum Beispiel für eine Demonstration, ist da sozusagen der Zwischenschritt. Man fängt schon mal an, andere Zusammenhänge zu stiften, frau gerät in Bewegung, heizt ein.<BR /><BR /><BR /><b>Femizid und das politische System des Terrors</b><b>von Luise F. Pusch</b> i<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="684296_image" /></div> <BR /><BR />Die New York Radical Feminists erkannten Anfang der 1970er Jahre: „Das Persönliche ist politisch.“ „Vergewaltigung ist ein politisches Verbrechen“ erkannte <Fett>Susan Brownmiller</Fett>, kein „Verbrechen aus Leidenschaft“; es geht nicht um Sex, sondern um Macht. Männliche Gewalt gegen Frauen ist demnach ein politisches System des Terrors. Die extremste Form des Terrors ist Mord. So auch bei der männlichen Schreckensherrschaft: „Zwischen 2000 und 2006 wurden 3200 US-amerikanische Soldaten im Kampf getötet. Im gleichen Zeitraum starben in den Vereinigten Staaten mehr als dreimal so viele Frauen durch die Hand ihrer Ehemänner und Freunde.“ (Snyder)<BR /><BR /><BR />Die Extremform der männlichen Terrorherrschaft nennen wir heute „Femizid“ oder „Feminicid“. Mary Daly (1978) nannte dasselbe Phänomen „Gynocid“ in Anlehnung an „Genocid“. Als Beispiele des „sado-rituellen Syndroms“ erörterte sie die Witwenverbrennung in Indien, das Füßeeinbinden in China, die weibliche Genitalverstümmelung in Afrika, die „Hexen“-Verbrennung in Europa und die Gynäkologie in den USA. Hinzuzufügen wäre heute die weltweite Müttersterblichkeit in armen Ländern: jährlich eine halbe Million (vgl. Ockrent).<BR /><BR /><BR />Definiert wird „Femicid“ meist als „Mord an Frauen, weil sie Frauen sind“. Als Motiv gilt Frauenhass. Der Femizid in seiner „reinsten“ und verheerendsten Form wäre demnach paradoxerweise gar kein Femicid, weil kein „Mord“ an „Frauen“, sondern Tötung weiblicher Föten. Die ungeheure Zahl der oben genannten, innerhalb von 6 Jahren von ihren Ehemännern und Freunden ermordeten Frauen ist nichts gegen die 100 Millionen Frauen, die in Asien „fehlen“ (vgl. Ockrent). Werden die weiblichen Föten nicht abgetrieben, sondern von ihren Müttern ausgetragen und geboren, so werden sie nicht selten als Säuglinge getötet. Werden sie nicht als Säuglinge getötet, so sterben die Mädchen häufig an Krankheit, mangelnder Pflege, Hunger – kurz an Vernachlässigung, weil sie weiblich und wertlos sind. <BR /><BR /><BR />Hier wie auch bei der weiblichen Genitalverstümmelung fungieren Frauen als Handlangerinnen im Auftrag des männlichen Schreckensregimes. Die Wirklichkeit der weltweiten, oft tödlichen Gewalt gegen Frauen, Mädchen und weibliche Föten lässt sich nicht in einem Wort erfassen – wohl aber die letztliche Ursache dieser Verbrechen: Sexismus. <BR /><BR /><b>Literatur:</b><BR /><BR /><BR />Brownmiller, Susan. 1975. Against our Will: Men, Women and Rape.<BR /><BR /><BR />Daly, Mary. 1978. Gyn/ecology: The Meta-Ethics of Radical Feminism.<BR /><BR /><BR />Ockrent, Christine. Hg. 2007. Das Schwarzbuch zur Lage der Frauen: Eine Bestandsaufnahme [=Le livre noir de la condition des femmes]. Aus dem Frz. von Enrico Heinemann. <BR /><BR /><BR />Snyder, Rachel Louise. 2019. No Visible Bruises: What We Don’t Know About Domestic Violence Can Kill Us.<BR /><BR />Bestellen: www.athesiabuch.it<BR /><BR /><BR /><BR /><BR />