Eine neue feministische und transnationale Bewegung mit Protesten gegen Frauenmorde (Femizide), gegen alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt und Diskriminierung. Es geht darum, die sozio-politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die diese Gewalt hervorrufen, begünstigen, bagatellisieren, verharmlosen, entschuldigen, zu verstehen und zu bekämpfen. Es geht um den Kampf gegen geschlechtsspezifische Ausbeutungs- und Gewaltverhältnisse sowie die strukturelle Abwertung von Sorge. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="684272_image" /></div> <BR />Gewalt gegen Frauen in hierarchischen und patriarchalen Geschlechterverhältnissen ist ein Problem auch in Südtirol. 2020 gab es in Italien 112 Frauenmorde; drei davon in unserer Provinz. 2021 sind italienweit bereits 16 Femizide zu verzeichnen. Am Internationalen Frauentag 2021 gibt es also nichts zu feiern! Im Gegenteil! Es ist notwendig, Gewalt gegen Mädchen und Frauen allumfassend gesellschaftlich zu ächten. <BR /><BR />Hinter den Frauenmorden steckt ein patriarchales System, das Mädchen und Frauen auf verschiedenen Ebenen und auf unterschiedliche Weite abwertet, demütigt, erniedrigt. Der Zusammenhang zwischen Frauenhass und Frauenmord wird bereits seit den 1970er Jahren in der Wissenschaft, in sozialen Bewegungen, von Feministinnen, von der Frauenhausbewegung und nun auch in Parlamenten unter dem Begriff Femizid zusammengefasst und debattiert.<BR /><BR /><BR /><b>Heidi Hintner im Gespräch mit der in Rom lebenden Bozner Malerin Margareth Dorigatti</b><BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="684275_image" /></div> <?Uni SchriftStil="0" SchriftArt="QuadraatSans" SchriftGroesse="7pt" Vorschub="10,2pt" SchriftWeite="100ru" SatzArt="0"> <?TrVer> <?Uni Kapitaelchen="100ru"> <?_Uni> <?PH PHFormat="$($IptcQue$/)"_> <?PH PHFormat="$($IptcAN)"_> <?_Uni> <BR /><BR /><b>Gewalt gegen Frauen ist ein kulturelles Problem. Gewalt gegen Frauen stellt eine historische Kontinuität der Gewalt dar. Der Zusammenhang zwischen Frauenverachtung und Frauenmord wird anhand der mythologischen Frauenfigur Katharina von Alexandrien und der historischen Caterina von Siena sehr deutlich...</b><BR />Margareth Dorigatti: Die westliche Kultur fußt vorwiegend auf dem männlichen Traum, der von der griechischen Mythologie herkommt, in dem der Argonautenheld Jason vor seinen Männern von einer Welt ohne Frauen schwärmt. Jason, der Verräter. Jason, der Untreue. Ein erwünschter Frauenmord. Später spricht die Göttin Athene den Muttermörder Orest von der Verfolgung der Erinnyen frei, mit der Begründung, dass die Mutter keine Genitrix ist, sondern nur der Behälter des männlichen Samens, welcher allein das Leben spendet. Ein vollzogener Frauenmord. Nicht zufällig: Athene selbst ist die Ausgeburt des Wunsches ihres Vaters und wurde direkt aus seinem Kopf geboren. <BR /><BR /><BR /><b>Kommen wir zu Katharina von Alexandrien; ein vergessener Stern des Mittelalters. Laut Legenda Aurea war sie eine Dozentin an der Bibliothek von Alexandrien und disputierte ihre Thesen mit 50 Philosophen.</b><BR />Dorigatti: Ja, mit 50 Männern. Eine denkende Frau. Eine dozierende Frau in einer Männerwelt. Eine Frau, die auf Augenhöhe mit Männern im Dialog war. Es heißt, sie sei zum Tode verurteilt worden, da sie ihren Überzeugungen treu bleiben wollte. Und von all den Todesstrafen wurde die Enthauptung gewählt. Der Kopf, der Sitz ihrer Gedanken, wurde ihr abgeschlagen. Ein Femizid. Religionen sind die ethisch-philosophische Basis einer jeden Kultur. Daher darf es uns nicht verwundern, wenn unsere Erwartungen auch heute noch immer auf dasselbe Hindernis stoßen. Es dürfte einer Frau, die sich nicht immer automatisch der männlichen Gedankenwelt unterordnet, nicht allzu schwerfallen, in dieser mythologischen Figur, die einen authentischen psychologischen weiblichen Archetypus darstellt, eine Identifikation zu finden. Wie oft wurde einem Mädchen geraten oder befohlen: „Sei still!“ Oder einer Frau: „Hab Geduld!“ Oder schlimmer: „Sag ja nichts, sonst blamierst du MICH“. „Benimm dich und provoziere nicht!“<BR /><BR /><BR /><b>Katharina als Doppelgängerin der Isis, als Göttin des Mondes: Das Bild aus dem Werkzyklus „Rubra“ ist ausdrucksstark und nutzt das Martyrium als Material, zerlegt den Körper, die Motive in ihre Elemente, setzt sie zusammen zu einem „Kaleidoskop des Lebens in flammendem Rot“, wie Karin Dalla Torre schreibt. Eine andere – historische – Figur ist Caterina von Siena.</b><BR />Dorigatti: Sie hatte es auch nicht leicht. Auch ihr wurde der Kopf abgeschlagen. Sie war unfolgsam, hat ihre Umgebung provoziert und hat nicht geheiratet und – wie ihre Mutter – zwanzig Kinder zur Welt gebracht. Im Gegenteil, sie hat sogar den Papst herausgefordert und von Avignon, wo er sich von seiner Pflicht zurückgezogen hatte, nach Rom in seine Welt zurückgebracht. Nach 7 Jahrhunderten ernannte Papst Paul VI. sie zur Doktorin der Kirche und zur Patronin Italiens und Europas. Eine posthume überwältigende Karriere.<BR /><BR /><BR /><b>Welche Kraft hilft uns, mit Frauenhass zu leben und wach zu bleiben?</b><BR />Dorigatti: Was ich an Frauen besonders schätze, ist der Mut, sowohl mit dem Geist als auch mit der Intuitionsfähigkeit zu verstehen, und das daraus resultierende Wissen und die Kraft, die es möglich macht, Geduld mit Männern zu haben. <BR />Hass kommt sehr oft von Angst und vom Nichtverstehen. Ich glaube an den Dialog zwischen Frauen und Männern; wir haben auch von Männern gelernt, indem wir aufmerksam ihrer Kultur gegenüber waren und sind. Nun ist es an der Zeit, dass auch Männer von Kind auf dazu erzogen werden, genau hinzuhören, was wir Frauen von unserer Sicht aus anzubieten haben. Nur das kann einen Mann bereichern, dem ansonsten das wahre Wesen einer Frau und damit ein wesentlicher Teil der Welt verborgen bleibt. Nur auf diese Weise können Missverständnis und Hass verringert werden und nur so kann Solidarität gelebt werden.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="684278_image" /></div> <BR />Die Bozner Künstlerin lebt und arbeitet in Rom. Sie ist Professorin an der Accademia di Belle Arti in Rom und frei schaffende Malerin. Sie wird in Bozen von der Galerie AC und in Rom von der Galerie MAC vertreten. Zahlreiche Einzelausstellungen im In- und Ausland, internationale Kollektivausstellungen (u.a. Biennale Venezia) und viele Publikationen. Derzeit arbeitet sie am DUKA-Projekt, einer künstlerischen Gestaltung von fünf Autobahnpfeilern in Brixen zum Thema „Aqua“. Ihr neuer Malerei-Zyklus „Epistolarium“ wird 2022 vorgestellt.<BR /><BR /><BR /><b>Heidi Hintner im Gespräch mit der deutschen Philosophin Eva von Redecker</b><BR /><BR /><BR /><b>Können wir (über) Femizid überhaupt denken? „Die Werkzeuge des Meisters werden niemals das Haus des Meisters niederreißen“, schrieb Audre Lorde.</b><BR />Eva von Redecker: Was wäre das Denken wert, wenn es sich nicht gerade der bestürzendsten Erfahrungen und Ereignisse annehmen könnte? Am Thema Femizid zeigt sich aber in der Tat sehr gut, dass mit unreflektiertem „allgemeinen“ Nachdenken auch viel Unheil gestiftet werden kann. So wird von „Familiendramen“ gesprochen, als seien alle daran gleich beteiligt. Es ist unheimlich, wie unsere unreflektierten Annahmen uns dazu bringen, die Täterperspektive zu übernehmen. Da ist dann von männlicher Eifersucht und Verlustangst die Rede, als seien das natürliche Reaktionen, die sich automatisch mit mörderischer Gewalt verkoppeln. Schon der Begriff „Femizid“ ist dagegen der Versuch, sich aus faulen Formulierungen zu lösen und zu betonen, dass hier jemand Mordopfer wurde, weil sie eine Frau ist. <BR /><BR /><BR /><b>Welche Alternativen schlagen Sie vor vor?</b><BR />Von Redecker: Noch besser wäre, gleich von misogynem Mord oder „Sachherrschaftsdelikt“ zu sprechen. Die Frauen werden ja nicht umgebracht, weil sie Frauen sind, sondern weil Täter einer partiarchalen Logik folgen und sie wie ihr Eigentum behandeln. „Sachherrschaft“ versucht das einzufangen. Der Begriff ist ein Synonym von Eigentum und eignet sich gut, um moderne Unterdrückungsverhältnisse zu beschreiben. Der Vortrag, in dem das genannte Zitat von Audre Lorde seinen Platz hat, handelt übrigens davon, dass eine feministische Konferenz, in der nahezu nur weiße Perspektiven Gehör finden, keine gültigen Befreiungsstrategien entwickeln kann. Es ist also keine Absage an das Denken, sondern die revolutionäre Maßgabe, dabei vom Wissen der Beherrschten und Bedrohten auszugehen. Das gilt beim Thema Femizid erst recht. Wenn das Delikt nicht so durchdacht wird, dass den Perspektiven von trans Frauen, Sexarbeiterinnen, Migrantinnen, Lesben und rassifizierten Frauen Rechnung getragen wird, taugt die Theorie nicht viel.<BR /><BR /><b>Welche Denkerinnen haben zum Thema Frauenverachtung (oder Femizid) geschrieben und was haben sie herausgefunden?</b><BR />Von Redecker: Die wichtigsten Arbeiten zum Thema kommen derzeit aus Lateinamerika. Ausgehend von der Mobilisierung gegen Femizide unter der Formel „Nicht eine weniger!“ ist insbesondere in Argentinien und Chile die feministische Bewegung so massiv und wirksam geworden, wie wir hier nur erträumen können. Die Anthropologin <Fett>Rita Segato</Fett> ist eine fast schon legendäre Vordenkerin. Sie hat erforscht, wie die Kolonisierung über eine „Pädagogik der Gewalt“ durchgesetzt wird, die indigene Männer in die Männlichkeitsvorstellungen der Eroberer einspannt. Eine wichtige aktuelle Stimme ist die Soziologin <Fett>Verónica Gago</Fett>. In ihrem neuen Buch Feminist International (2020) beschreibt sie die gesellschaftliche Matrix, aus der immer wieder Gewalt gegen Frauen hervorgeht. Die Implosion der männlichen Versorgerrolle, mafiöse und autoritäre Formen politischer Macht, Landnahme und Zerstörung öffentlicher Ressourcen, allgemeine Verschuldung durch finanzkapitalistische Mechanismen. Das gibt viel Stoff zum Nachdenken. <BR /><BR /><BR /><b>Sie schreiben in Ihrem neuen Buch „Revolution für das Leben“ (2020): „Das Paradox, als Frau halb Subjekt und halb Objekt zu sein, strukturiert die femizidale Gewalt, aber auch deren kulturelle Einstufung.“ Können Sie das ausführen?</b><BR />Von Redecker: Ja, genau. Die Form des Patriarchats in der Moderne ist Sachherrschaft über Reproduktionsfähigkeit. Sorgearbeit, Zuwendung, Fortpflanzung und sexuelle Befriedigung werden als eine Art Ressource zusammengefasst. Frauen verkörpern sie, aber in gewisser Weise gehört sie immer schon den Männern, die zur Aneignung berechtigt sind. Rassifizierte Frauen unterliegen einer noch grundlegenderen Entmenschlichung, da ihre ganze Person – nicht nur die Reproduktionsfähigkeit – unter dem Vorbehalt der Fremdverfügung steht. Mobilität, selbst der Personenstatus, werden von den Institutionen weißer Vorherrschaft eingeschränkt. Selbst dort, wo die rechtliche Gleichstellung errungen wurde, strukturiert das Muster der weiblichen Verfügbarkeit noch Anspruchshaltungen und Verletzlichkeiten. Zugleich haben moderne Frauen aber Handlungsfähigkeit und gleiche Rechte. Sie sind also auch Subjekt. Diese Mischung ist verheerend. <BR /><BR /><BR /><b>Femizidale Gewalt folgt also nahezu immer dem gleichen Skript…</b><BR />Von Redecker: Ja; ein Mann tötet eine Frau, die einen Eigentumsanspruch, den er auf sie erhebt, verletzt – etwa durch Trennung oder andere Beziehungen. Es geht in der Gewalt einerseits darum, den Objektstatus wieder herzustellen. Andererseits geht es aber auch darum, den „Dieb“ zu eliminieren. Eine selbstbestimmt handelnde Frau tritt gewissermaßen als Diebin ihrer selbst auf. Sie beraubt ihren patriarchalen Besitzer, sie begehrt gegen den partiellen Scheintod auf, den uns die patriarchale Rolle aufbürdet. Die Rechtssprechung, die den Tätern meist mildernde Umstände und „Handlung aus Affekt“ zugutehält, verkennt diese zweite Dimension.<BR /><BR /><BR /><b>Misogynie entmenschlicht, objektiviert und verachtet Frauen. Gewalt wird zur „Botschaft des Besitztums“: Wie kommen wir aus dieser Negativschleife heraus?</b><BR />Von Redecker: Natürlich muss man alles tun, auch rechtlich, um weibliche Selbstbestimmung abzusichern. Aber ich glaube, dass gegen misogyne Verhältnisse langfristig nur hilft, umfassend die Sprache zu wechseln. Wir müssen an dem radikalen feministischen Wunsch nach einer Welt festhalten, in der Gewalt überhaupt keine Demonstration von Macht sein kann. Das wäre nur möglich, wenn nicht mehr die kurzfristige Aneignung von Dingen, sondern die langfristige Sorge um Beziehungen im Zentrum von Ökonomie und Gesellschaft stünde. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="684281_image" /></div> <BR /><BR />Eva von Redeckerist Philosophin und Autorin und lebt auf dem Land. Ihr Spezialgebiet ist die politische Philosophie und die feministische Philosophie. Derzeit forscht sie als Marie-Skłodowska-Curie-Fellow an der Universität Verona über autoritäre Charakterbildung; zuvor war sie an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. Zahlreiche Publikationen; 2020 erschien „Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen“, die erste philosophische Analyse des neuen Aktivismus. Eva von Redecker arbeitet auch zum Thema „Femizide“. <BR /><BR /><BR /><Rechte_Copyright></Rechte_Copyright><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><Rechte_Copyright></Rechte_Copyright><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />