Aufgrund dieser letzten britischen Initiative kam es dann innerhalb der nächsten Wochen zur italienisch-österreichischen Übereinkunft. Das, was Italiener und Österreicher in Paris vorlegten, die taktischen Varianten, wie am besten vorzugehen war, um dies dann auch – und das war eben wichtig – im Friedensvertrag zu verankern, all dies wurde sehr intensiv mit den Engländern in Paris besprochen, auch wenn ihnen <b>Alcide De Gasperi</b> und <b>Karl Gruber</b> dann die letzte Fassung des Abkommens vor der Unterzeichnung nicht mehr vorlegten.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676865_image" /></div> <BR />Am 5. September 1946 Unterzeichneten Gruber und De Gasperi dann jene Vereinbarung, die als Gruber-De-Gasperi-Abkommen in die Geschichte eingegangen ist. Es lautete folgendermaßen (in deutscher Übersetzung, da das Original auf Englisch, einer der Konferenzsprachen, abgefasst werden musste):<BR /><BR /><b>1.</b><BR />Den deutschsprachigen Einwohnern der Provinz Bozen und der benachbarten zweisprachigen Ortschaften der Provinz Trient wird volle Gleichberechtigung mit den italienischsprachigen Einwohnern im Rahmen besonderer Maßnahmen zum Schutze des Volkscharakters und der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung des deutschsprachigen Bevölkerungsteiles zugesichert werden. In Übereinstimmung mit schon getroffenen oder in Vorbereitung befindlichen gesetzgeberischen Maßnahmen wird den Staatsbürgern deutscher Sprache insbesondere folgendes gewährt werden:<BR /><b>a)</b> Volks- und Mittelschulunterricht in der Muttersprache;<BR /><b>b)</b> Gleichstellung der deutschen und italienischen Sprache in den öffentlichen Ämtern und amtlichen Urkunden sowie bei den zweisprachigen Ortsbezeichnungen;<BR /><b>c)</b> das Recht, die in den letzten Jahren italianisierten Familiennamen wiederherzustellen;<BR /><b>d)</b> Gleichberechtigung hinsichtlich der Einstellung in öffentliche Ämter, um ein angemesseneres Verhältnis der Stellenverteilung zwischen den beiden Volksgruppen zu erzielen.<BR /><b><BR />2.</b><BR />Der Bevölkerung der oben erwähnten Gebiete wird die Ausübung einer autonomen regionalen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt gewährt werden. Der Rahmen für die Anwendung dieser Autonomiemaßnahmen wird in Beratung auch mit einheimischen deutschsprachigen Repräsentanten festgelegt werden.<BR /><BR /><b>3.</b><BR />In der Absicht, gutnachbarliche Beziehungen zwischen Österreich und Italien herzustellen, verpflichtet sich die italienische Regierung, in Beratung mit der österreichischen Regierung binnen einem Jahr nach Unterzeichnung dieses Vertrages:<BR /><b>a)</b> in einem Geist der Billigkeit und Weitherzigkeit die Frage der Staatsbürgerschaftsoptionen, die sich aus dem Hitler-Mussolini-Abkommen von 1939 ergeben, zu revidieren;<BR /><b>b)</b> zu einem Abkommen zur wechselseitigen Anerkennung der Gültigkeit gewisser akademischer Grade und Universitätsdiplome zu gelangen;<BR />c) ein Abkommen für den freien Personen- und Güterdurchgangsverkehr zwischen Nord- und Osttirol auf dem Schienenwege und in möglichst weitgehendem Umfange auch auf dem Straßenwege auszuarbeiten;<BR /><b>d)</b> besondere Vereinbarungen zur Erleichterung eines erweiterten Grenzverkehrs und eines örtlichen Austausches gewisser Mengen charakteristischer Erzeugnisse und Güter zwischen Österreich und Italien zu schließen.“ <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676868_image" /></div> <BR />Ergänzt wurde dieses Abkommen durch einen Briefwechsel zwischen De Gasperi und Gruber vom selben Tag. Im Brief <b>De Gasperis</b> an Gruber (auf Englisch) hieß es:<BR /><i>„Entsprechend unserer mündlichen Verständigung erlaube ich mir zu bestätigen, dass die italienische Regierung bereit sein wird, alle Vorschläge der österreichischen Regierung genau zu prüfen ( „give careful attention“), die auf die beste Lösung der in Artikel 10 enthaltenen Punkte, so wie in dem von uns vereinbarten Text enthalten, abzielen.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676871_image" /></div> <BR />In seinem Antwortschreiben (ebenfalls auf Englisch) an De Gasperi bestätigte <b>Gruber</b> (Bild links unten) den Empfang dieses Schreibens, zitierte den o.g. Passus und fuhr fort, er möchte hinzufügen, <i>„dass die Tatsache, dass es der italienischen und der österreichischen Regierung gelungen ist, einen gemeinsamen Vorschlag zur Verbesserung des Art. 10 der Konferenz zu unterbreiten, von uns mit großer Befriedigung betrachtet wird. Wir hoffen sehr, dass unser Abkommen den Anfang einer fruchtbaren Entwicklung in den österreichisch-italienischen Beziehungen im Geiste freundschaftlicher Nachbarschaft und internationaler Zusammenarbeit bedeuten wird. Der Geist von Unparteilichkeit und Offenheit, welchen Sie bei der Behandlung dieser Angelegenheit gezeigt haben, hat auf mich einen tiefen Eindruck gemacht, und ich bin überzeugt, dass es ein gutes Vorzeichen für zukünftige vertrauensvolle Beziehungen zwischen der österreichischen und italienischen Regierung ist.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676874_image" /></div> Wie es im „Tätigkeitsbericht“ der Südtiroler Delegation (3 Südtiroler waren in Paris mit dabei: <b>Friedl Volgger,</b><b>Otto von Guggenberg</b> und <b>Hans Schoefl</b>) heißt, legte Gruber dem Schreiben De Gasperis besonders großen Wert bei, da sich die italienische Regierung dadurch verpflichtet hatte, alle Anregungen der österreichischen Regierung zur Autonomiefrage sorgfältig zu prüfen. Damit stand der österreichischen Regierung seiner Meinung nach das Recht zu, wann und in welcher Frage immer in die Autonomieverhandlungen einzugreifen, wie auch später jederzeit wegen eventuell mangelhafter Durchführung oder späterer Beschränkung der Autonomie usw. Vorhaltungen zu machen, ohne dass die italienische Regierung diese Einflussnahme Österreichs ablehnen durfte oder konnte.<BR /><BR /><BR /><b>2 Unterschriften</b><BR /><BR /><BR />Wie sahen die Italiener das? Welche Verpflichtungen ergaben sich für sie aus diesem Abkommen? <b>Carandini</b> geht darauf in einem Brief vom 25. September 1946 an <b>Renato Prunas</b>, den Generalsekretär des italienischen Außenministeriums, ein. Demnach war das, was unterzeichnet worden war, „kein normaler Vertrag, der beide Parteien in allen Punkten kategorisc<i>h verpflichtet. Das Dokument ist für uns im ersten Teil, in dem es um bestimmte Maßnahmen betreffend Sprache usw. geht, verbindlich. Es ist nicht verbindlich im zweiten Teil, sowohl was den Inhalt als auch den Umfang der Autonomie betrifft. Im dritten Teil (Fragen internationalen Charakters) ist es verbindlich, was den allgemeinen Charakter der einzuführenden Maßnahmen und die Beratung mit der österreichischen Regierung betrifft. Ganz allgemein ist es ein Abkommen, das im guten Glauben geschlossen wurde und das, wie Gruber versichert und wie die Ereignisse zeigen werden, Beständigkeit und Wert nur dann haben wird, wenn es auch im guten Glauben angewandt wird.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676877_image" /></div> <BR />In Paris war damals geplant, dass diese Vereinbarung als Artikel 10 im italienischen Friedensvertrag einfach „aufgegangen“ wäre, wie es hieß. Auf diese Weise wäre mit Blick auf Südtirol nur Italien zu etwas verpflichtet worden, von Österreich wäre nichts unterschrieben worden, wie Gruber auch nach Wien telegrafierte. De Gasperi ahnte, was er unterschrieben hatte – mit welchen Konsequenzen vor allem für Italien. Am 6. September machte er daher einen Rückzieher und erklärte Gruber, er sei <i>„nach einer schlaflosen Nacht zu der Ansicht gelangt, dass es aus innenpolitischen Gründen für ihn unmöglich sei, die Aufnahme einer für Italien so drückend und nur ihm Verpflichtungen auferlegenden Vereinbarung in den Friedensvertrag formell vorzuschlagen. Eine solche Geste wäre für ihn untragbar und würde wahrscheinlich seinen Sturz bedeuten.“</i><BR /><BR /><BR />Im letzten Moment einigte man sich darauf, das Abkommen – mit beiden Unterschriften und damit mit Verpflichtungen für beide Länder – als Annex an den Friedensvertrag anzuhängen. Die Sowjetunion erhob keinen Einspruch.<BR /><BR /><b>Nicht vom Nationalrat ratifiziert</b><BR /><BR />Niemand bezweifelte später, dass ein Vertrag abgeschlossen worden war. Dennoch ist ja wohl interessant, dass das Abkommen weder vom Nationalrat ratifiziert (was ja selbst die Völkerrechtler im Außenamt für notwendig gehalten hatten) noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde. Lediglich der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Nationalrates nahm am 1. Oktober 1946 eine Resolution an, in der es hieß, die mit Italien vereinbarte „Regelung“, von der nicht feststehe, ob sie die Zustimmung des gesamten Südtiroler Volkes gefunden habe, bedürfe noch <i>„mancher Interpretation, um als Zwischenlösung angesehen werden zu können“.</i><BR /><BR />Und weiter:<BR /><BR /><i>„Die Haltung Österreichs bedeutet in keiner Weise einen Verzicht auf die unveräußerlichen Rechte unseres Staates auf Südtirol. Der Ausschuss gibt der bestimmten Hoffnung Ausdruck, dass eine geänderte Weltlage in Zukunft den Südtirolern die Möglichkeit der Selbstbestimmung über ihre staatliche Zugehörigkeit geben wird.“</i><BR />Dieses Prinzip sei <i>„der einzige Weg für eine dauernde Lösung der Südtirolerfrage“</i>, die von Österreich als <i>„gerecht und befriedigend angenommen werden könnte“.</i><BR /><BR /><b>Die Abgrenzung – the frame</b><BR /><BR />Einer der umstrittensten Punkte bei der Auslegung des Abkommens war von Anfang an die territoriale Abgrenzung des Autonomiegebietes, das berühmte Wort frame im Vertrag. Hier sorgte Italien dann für ein Fait accompli, indem es im Juni 1947 eine Verfassung beschloss, die im Artikel 108 die Bildung einer autonomen Region Trentino-Alto Adige (Trentino-Tiroler Etschland) vorsah, und im Januar 1948 das entsprechende Autonomiestatut verabschiedete. Dies war keine Landesautonomie für Südtirol! War das in Paris vereinbart worden? Die territoriale Abgrenzung des Autonomiegebietes war der Kern des Abkommens, die Einbeziehung des Trentino würde „alles umstoßen“, wie es Figl im Ministerrat am 17. September formulierte. Man hätte daher eigentlich erwarten können, dass gerade in dieser Frage die Dinge mit absoluter Klarheit formuliert worden wären, ohne Raum für unterschiedliche Interpretationen zu lassen. Das genaue Gegenteil ist geschehen, und zwar – wie die Akten zeigen – aus gutem Grund. Die Akten zeigen auch, dass es in diesem Punkt in Paris zwischen Gruber und De Gasperi keinerlei Unklarheiten gab, mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung in Österreich und Italien die Dinge aber nicht so deutlich beim Namen genannt werden konnten.<BR /><BR /><b>Autonomie auch für das Trentino</b><BR /><BR />Man kann fragen, warum De Gasperi in Paris überhaupt unterschrieben hat? Niemand und nichts konnte ihn dazu zwingen, auch nicht die Briten. Die Südtiroler Delegation selbst sprach noch in Paris von <i>„freiwillig eingegangenen Verpflichtungen“</i> De Gasperis. De Gasperi wollte Ruhe am Brenner, die Forderung „Los von Rom!“ ein für allemal aus den Schlagzeilen der Weltpresse haben – und für „seine“ Trentiner eine Autonomie – und war bereit, dafür einen Preis zu zahlen; und das war seine Unterschrift in Paris. Dabei wäre mit jeder anderen Lösung eine Autonomie für das Trentino unmöglich geworden und in Rom wohl niemals akzeptiert worden.<BR /><BR />Nachdem die Siegermächte alle österreichischen Forderungen abgelehnt hatten, war Grubers Spielraum in Paris sehr eng. Übrig blieb eine Autonomie – die allerdings international abgesichert sein sollte.<BR /><BR /><b>In der nächsten Folge: Klarstellungen zum Gruber-De Gasperi-Abkommen</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676880_image" /></div> <BR /><?Schrift SchriftWeite="96ru"> <Fett>Buchtipp:</Fett> Rolf Steininger, Autonomie oder Selbstbestimmung? Die<?_Schrift> Südtirolfrage 1945/46 und das Gruber-De-Gasperi-Abkommen, Studienverlag Innsbruck 2006,405 Seiten<BR /><Fett>Bestellen</Fett>: www.athesiabuch.it