Samstag, 22. Juli 2023

Keine Tiroler Helden: Da Hofa am Manaslu

„Sturm am Manaslu“ heißt der neue Bergfilm von Reinhold Messner. Es ist ein Film über die Wiederbegegnung der Überlebenden 50 Jahre nach der Expedition am Manaslu, die 2 Todesopfer zu beklagen hatte. Material für den Film sind einige Fotos und die Funksprüche von damals, die Messner mit modernen Flugaufnahmen illustriert.

Extrembergsteiger Reinhold Messner, der die Lawinenabgänge im Schmetterlingstal und ein Whiteout beim Abstieg vom Gipfel miterlebte, hat die Geschichte auf die große Leinwand gebracht und Regie geführt.

von Marian Wilhelm

Die Zeit der alpinen Heldengeschichten ist vorbei, auch wenn das manche Alpinisten und Bergfilmer noch immer nicht wahrhaben wollen. Der bekannteste Bergmensch aus und in Südtirol und weit darüber hinaus, Reinhold Messner, lebt davon und weiß es doch schon lange.

Als einer der wenigen seiner Zunft, die die Konfrontation mit den Bergen durch alle Risiken bis ins Pensionsalter überlebt haben, erzählt er nun in seinen Filmen vom Ende der heldenhaften Alpingeschichte. Die „Messner Mountain Movies“ sind das jüngste Projekt des rastlosen 78-Jährigen. Er berichtet darin etwa vom Duell und den Gewalttouren am Cerro Torre oder den Dramen am Heiligen Berg Ama Dablam oder am Mount Kenya.


Reinhold Messner bei der Wiederbegegnung der Überlebenden 50 Jahre nach der Expedition.




In seinem neuesten Bergfilm wird es aber persönlicher. „Sturm am Manaslu“ ist keine Heldengeschichte eines Gipfelsiegs, auch wenn Messner selbst die 8163 Höhenmeter des Manaslu damals als zweiten Punkt seiner 8000er-Bilanz verbuchen konnte. Vielmehr ist es ein Film über die Wiederbegegnung der Überlebenden 50 Jahre nach der Expedition, die 2 Todesopfer zu beklagen hatte. Eine Gruppe Tiroler unter der Leitung des Kitzbühelers Wolfgang Nairz wagte sich 1972 an die herausfordernde Südwand des Manaslu.

Fotos und Funksprüche von damals

Ein halbes Jahrhundert später lädt Messner die alten Männer – neben Messner und Nairz sind es Oswald Ölz, Hansjörg Hochfilzer und Horst Fankhauser – zu sich auf Schloss Juval, um sich gemeinsam zu erinnern, bei Marende, Brennesselsuppe und Wein. Material für den Film sind einige Fotos und die Funksprüche von damals, die Messner mit modernen Flugaufnahmen illustriert. Das funktioniert als spannende historische Ebene perfekt. Er ergänzt sie nur sparsam mit einigen ausgewählten Spielszenen. Filmisch unpassend ist nur der Sprecher, der im Kino anders als in einer Fernsehdoku nichts verloren hat.

Den Kontrast liefert der Film in der Gegenwart mit den Erinnerungen der Teilnehmer, die geprägt sind von spürbarer Bergfreundschaft und wehmütiger Erinnerung an die beiden, die nicht mehr dabei sind. Ihre Spur verliert sich im Nebel des Manaslu. Sie sind „am Berg geblieben“, wie die übliche Phrase lautet. War das Risiko zu verantworten, trotz Familie und der Kinder? Eine Frage, die nur jenen gestellt wird, die sich für das Abenteuer entschieden haben. „Wir waren jung, wir waren ziemlich naiv, was die großen Berge anging, wir waren begeistert und sind blauäugig in diese Dimension des Abenteuers eingestiegen.“

Heute, 50 Jahre später als alte Männer, beantworten sie die Frage anders als damals. Am Ende des Films reden die Alpinisten nicht nur über den frühen Tod ihrer beiden Freunde, sondern auch über ihr eigenes nahes Lebensende – der interessanteste Moment in „Sturm am Manaslu“. Messner hat sich schon seine Ruhestätte gebaut, auch wenn ihm eine Himmelsbestattung mit Geiern lieber wäre. „Ökologisch das Sauberste, das es gibt“, scherzen sie – bevor im Abspann der Flachländer Wolfgang Ambros „Da Hofa“ singt.

„Der Berg macht keine Fehler“

Mit den 50 Jahren zwischen Tod und Überleben wird auch die Verrücktheit als Teil der alpinistischen Faszination wieder einmal deutlich. Messner selbst hat über die Jahre viel über den Tod am Berg, das Risiko und das (Un)Glück der Bergsteiger sinniert. „Der Berg macht keine Fehler. Die Fehler machen nur wir Menschen. Er rächt sich nicht, er ist nur da.“ Am Manaslu ist es auch nicht der tragische Tod eines Erstbesteigers wie Hermann Buhl oder – vielleicht – George Mallory aus den früheren Phasen des Alpinismus. Es ist der Beginn des modernen Extrembergsteigens über neue schwierige Routen, für das Reinhold Messner steht wie kein anderer. Ein Beginn, der im 21. Jahrhundert zum gesponsorten Extremstalpinismus ebenso führt wie zu den fragwürdigen Hobby-Himalaya-Urlaubern.

Umso mehr geht es auch in diesem Film um die Erfahrungswelten, die niemand betreten kann, der sie nicht selbst erlebt hat. Ihre Vermittlung, vielleicht mehr noch als ihre tatsächliche Ausführung, war und ist Messners Beruf und Lebenswerk. Die Frage nach dem Warum und die unmöglichen Antwortversuche. Auch in diesem Film wird, wie so oft, die Grenze deutlich, wenn von unten im Tal die Skepsis hörbar wird. Doch gerade davon lebt auch die Faszination der Zuschauer: Die endgültige Antwort, warum jemand auf den Berg steigt, gibt es nicht. Es gibt die Bergsteigerinnen und Alpinisten und es gibt die, die unten bleiben im Tal, in der Stadt und unter den Leuten.

Lange Zeit nicht mehr unter Leute gegangen

Davon erzählt auch „Sturm am Manaslu“. Die Tiroler berichten vom Heimkommen nach dem Nahtoderlebnis auf einer Expedition, die sie für immer verändert hat, wie die Abenteurer bei der Rückkehr ins Auenland Tolkiens. Vom Unverständnis und den Vorwürfen, die ihnen entgegenschlagen. Lange Zeit sei er nicht mehr unter die Leute gegangen, meint einer. Die Blicke und unausgesprochenen Worte waren unerträglich.
Wäre es anders ausgegangen, ohne Tote, hätten sie die Daheimgebliebenen bei einem Ehrenempfang mit Schützen-Salut und Orden zu „ihren“ Tiroler Helden verklärt.

Echtes Verstehen aber wäre auch das nicht gewesen. Stattdessen gab es die Tragödie der beiden nie „fertiggelebten“ Leben. Auf eines der beiden Opfer wartet im Manaslu-Basislager der Brief über ein anderes – klitzekleines großes – Abenteuer: Daheim ist sein Kind gesund auf die Welt gekommen. Doch der Vater ist nicht mehr da.

Termin: Filmclub Bozen

stol

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