Nicht nur Italien, die ganze Welt feiert nun seinen Dante! In Italien sind es vor allem die Städte Rom, Arezzo, Forlì, Ravenna, Turin, Pisa und Bologna, die ein Dante-Programm aufgestellt haben. Die italienische Regierung hat für den 25. März sogar einen Dante-Tag gestiftet, der von da an jährlich begangen werden soll. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680273_image" /></div> <BR />Die Geburtsstadt Florenz hat sich dabei an die Spitze gesetzt. Neben Ausstellungen und „Live-Performances“ – ob nun als klassische Rezitation aus seiner „Commedia“ oder Tanzeinlagen – hat Florenz frühzeitig auf das Internet gesetzt und stellt derzeit Illustrationen einer Dante-Ausgabe aus der Renaissance online. Es sind Blätter aus den Uffizien, die nur selten ausgestellt wurden. In Symposien wird Dantes Rolle für die italienische (National-)Geschichte belichtet, andere betrachten Wirkungsorte und Einfluss auf das europäische Ausland oder Verbindungen zur jüdischen Mystik. Doch Dante ist nicht nur Florentiner. Verbannt, ausgestoßen und geächtet hat er den Inferno und den Purgatorio in seiner engen Heimat Toskana verfasst, das Paradiso entstand indes im Exil von Verona unter Schutz des Herrn <b>Cangrande</b> della Scala. Die Stadt an der Etsch erinnert an dieses Erbe mit Forschungsbeiträgen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680276_image" /></div> <BR /><BR />Dantes Nachfahren nahmen nicht nur den Architekten Palladio in ihre Dienste, sondern befehligten als „Capitani“ im Namen der Republik Venedig den Gardasee und leisteten in den „Pasque Veronesi“ – dem Osteraufstand der Veroneser im Jahr 1797 – Napoleons Invasionstruppen Widerstand. Im frühen 19. Jahrhundert stiegen die Serego Alighieri in den Grafenstand durch Heirat auf, mit Dante Serego Alighieri nahm ein Familienmitglied als Freiheitskämpfer im Risorgimento teil und wurde später Bürgermeister von Venedig. Bis heute residiert die Familie auf dem Landgut Gargagnago im Valpolicella, das Dantes Sohn <b>Pietro Alighieri</b> im Jahr 1353 erworben hatte.<BR /><BR /><BR />Ist es Zufall oder eine sich erfüllende Prophezeiung, dass sich in den Nachkommen Dantes die italienische Geschichte spiegelt? Die Romantik stilisierte Dante zum eigentlichen Übervater einer noch illusorischen Nation. Auch nördlich der Alpen weckt Dante seit Jahren neues Interesse: als Gegenbild zu Aufklärung, zu Moderne, Säkularisierung und Atheismus. Als jener Mann, der die Grenzen Italiens als Sprachgrenzen festlegte, besaß er ultimative Autorität unter den Anhängern der Einheitsbewegung. Ausgerechnet in ihm, den Dichter von Himmel und Hölle, erkannten die Patrioten einen kaisertreuen Ghibellinen und Gegenspieler des Papsttums, den der frisch gegründete Nationalstaat zu einer säkularen Kultfigur erhob. Die Commedia wurde nicht nur zum Nationalepos, sondern auch zur prophetischen Schau verklärt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680279_image" /></div> <BR />Dass nicht mehr die christliche Liebe, sondern die nationale Einheit im Mittelpunkt stand, forderte die Kirche heraus. Rom war nicht bereit, den Dichter der Idee preiszugeben, dieser sei in Wirklichkeit ein häretischer Parteigänger des Kaisers gewesen, der von einer imperialen Zukunft träumte. <b>Papst Benedikt XV.</b> widmete ihm 1921 – zum 600. Todestag – die Enzyklika „In praeclara summorum“, die dagegen die thomistische Beeinflussung hervorhob; Dante habe in „exemplarischer Weise“ den katholischen Glauben bezeugt und die Römische Kirche wie den Papst in hohen Ehren gehalten. <b>Papst Franziskus</b> hat diese Tradition fortgesetzt, indem er Dante bereits im September des letzten Jahres würdigte: <i>„Dante lädt uns einmal mehr dazu ein, den verlorenen oder verdunkelten Sinn unseres irdischen Wegs wiederzufinden.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680282_image" /></div> <BR /><BR />Im Gegensatz zur christlichen Liebe ist die italienische Einheit ein weltliches Ding, das überdies nie die Konkurrenz unter den Kommunen beseitigen konnte. Das zeigt sich auch an der letzten Lebensstation Ravenna, das im Schatten seiner spätantiken Attraktionen den Dichter nur selten ins Rampenlicht rückt – vielen Touristen ist das Dante-Grab in der Nähe der Basilika San Francesco sogar unbekannt, wenn sich nicht Verehrer, Gelehrte oder Schülergruppen vor dem kleinen Grabtempel versammeln. Ravenna hat nicht geknausert und stellt 13 Ausstellungen in Aussicht, dazu Symposien und Lesungen, Konzerte mit spätmittelalterlicher Musik oder auch Aktionen wie die im Winter zu lesenden Leuchtschriften über den Straßen im Stadtzentrum, die Dante-Verse rezitieren. <BR /><BR /><i><BR />„Dante ist die Einheit des Landes, Dante ist die italienische Sprache, Dante ist die Idee Italiens selbst“</i>, verkündete Kulturminister <b>Dario Franceschini</b> im Zuge der großen Feierlichkeiten um diesen Dichter, den wir alle namentlich kennen, den wir aber genauer lesen sollten, etwa den fünften Gesang seines „Inferno“, in dem der Dichter zu einem Mensch mit all seinen Zweifeln und Problemen wird. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680285_image" /></div> <b><BR />Liebe, Verrat und Mord:<BR /> Dantes berühmtes Liebespaar Paolo und Francesca</b><BR /><BR />Der fünfte Gesang von Dantes Inferno ist vor allem wegen der herzzerreißenden Liebesgeschichte Paolo und Francesca bekannt geworden. Die Personensuche führt uns zu zwei, in der Zeit Dantes lebenden Personen, zu F<i>rancesca da Polenta,</i> Tochter von Guido il Vecchio, Herrn Ravennas und zu <b>Paolo Malatesta.</b> Francesca wurde nach 1275 mit Gianciotto Malatesta, dem lahmfüßigen Herr von Rimini, vermählt. Es war, wie es die damalige Praxis gebot, eine nach machtpolitischen Kriterien arrangierte Ehe, die beide Familien die Vorherrschaft in den aufstrebenden mittelitalienischen Städten Ravenna und Rimini garantieren sollte. <BR /><BR />Nahe ans Reich der Fiktion und höfischer Ritterromane des ausgehenden Mittelalters führt uns aber dann das in Ravenna wirklich stattgefundene Treffen Francesca mit ihrem Schwager Paolo, der für den Bruder die Heirat „per procuram“ (stellvertretend) einzugehen hatte. Verbürgt ist auch, dass sich die beiden ineinander verliebt haben und dass dies von der Familie des Ehemanns als Ehebruch und Verrat angesehen wurde. Überliefert ist, dass es der gehörnte Bruder <b>Gianciotto Malatesta</b> war, der Francesca und Paolo auflauerte, dies vermutlich in den Jahren 1282-1283; dass Gianciotto als Stadthalter von Pesaro einem Gerichtsurteil entging, hat eben mit jener Macht zu tun, die ihn zu Francesca erst geführt hatte. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680288_image" /></div> Die Nachricht des brutalen Mordes an Paolo und Francesca verbreitete sich in Mittelitalien rasch und sorgte auch in Florenz für Aufsehen. So wurde die Geschichte auch für Dante greifbar und zu einer der schönsten Episoden aus seiner Commedia. Dantes poetischer Kommentar wird im fünften Gesang von Vers 73 bis Vers 142 zu einer ergreifenden Erzählung, deren Dramaturgie Hollywood entzückt hätte. Dante sieht die beiden engelhaften Wesen inmitten jener, die dem Laster der Unzucht verfallen waren, und fragt Vergil: <BR /><BR />Poeta, volentieri <BR />parlerei a quei due che `nsieme vanno <BR />e paion sí al vento esser leggieri.<BR /> (Dichter! dürft ich mit ihnen <BR />Dort reden die als paar zusammengehen <BR />Und die im wind so leicht zu schweben scheinen.) <BR />(Die deutsche Übertragung des italienischen Originals stammt aus Stefan Georges „Göttliche Komödie“ von 1907) <BR /><BR />Nachdem der Icherzähler, Dante selbst, bedeutende Figuren, ein best off aus antiker und mittelalterlicher Überlieferung vorbeisausen gesehen hat, darunter Achill, Tristan und Kleopatra, ruft Dante Paolo und Francesca zu sich und es ist Francesca, die das Wort ergreift und beider Schicksal mit dem Hinweis auf die Geburtsstadt Ravenna zu erzählen beginnt:<BR /><BR /> Siede la terra dove nata fui <BR />su la marina ove l’Po discende <BR /> per aver pace co’seguaci sui. <BR />(Es liegt die mich geboren hat die erde <BR />Am ufer wo der Po enteilt zur münde <BR />Dass ihm und seinen folgern ruhe werde.) <BR /><BR />Und gleich geht dann Dante in den nächsten Zeilen auf eine seine Gesellschaft und den „Dolce stil novo“ entscheidendes Begriffspaar ein: <BR /><BR />amor und cuor gentile: Amor ch'al cor gentil ratto s'apprende, <BR />prese costui de la bella persona <BR />che mi fu tolta; e 'l modo ancor m'offende <BR />(Liebe die edlen herzen rasch sich künde <BR />Zog jenen hin zu meinem schönen leibe <BR />Den mir entriss – noch grämt mich welche – sünde). <BR /><BR /><BR />Das bedeutet, dass beider Liebe nur aufgrund des edlen Herzens der Angebeteten legitimiert werden kann, ohne dass dabei die Gefahr eines gefährlichen Spiels zwischen Liebe und Leidenschaft gebannt wäre. Die von Francesca so genannte Sünde lässt uns schon das tragische Ende erahnen. Bezeichnend ist, dass Dante hier zum ersten Mal von Rührung und Selbstzweifeln gepeinigt wird und, ahnungsvoll und gleichsam ängstlich, Francescas Ausführungen lauscht: Er müsste als irdischer Richter nun für die reine Liebe und Leidenschaft und gegen die Sünde, den Ehebruch entscheiden. So verwundert es den Leser nicht, dass folgende Verse folgen:<BR /><BR /> Amor, ch'a nullo amato amar perdona <BR />mi prese del costui piacer sì forte, /<BR />che, come vedi, ancor non m'abbandona. <BR />(Die nie will dass geliebtes lieb-los bleibe <BR /> Liebe band mich an ihn mit solchem knoten, <BR />Dass wie du siehst kein los ihn von mir treibe.)<BR /><BR /><BR />Bald stellt sich aber das Motiv des Todes ein: <BR /><BR />Amor condusse noi ad una morte. <BR />Caina attende chi a vita ci spense … <BR />(Liebe sandt uns zusammen zu den toten. <BR />Der uns erschlug kommt ins bereich der Kaine.) <BR /><BR />Damit endet die Erzählung Francescas, eben mit dem Hinweis, dass der Mörder, Bruder und Ehemann Gianciotto, in den untersten Kreis der Hölle gebannt wird, um dort seine Tat zu sühnen. Dante selbst gerät angesichts der Geschichte in einen enormen Gewissensdruck, einerseits gerührt von der Leidenschaft und der Liebe dieser beiden Gestalten, andererseits verwundert darüber, warum sie eigentlich in die Hölle geraten sind. <BR /><BR />Die letzte Terzine des fünften Gesangs unterstreicht in drastischen Worten des Dichters Verzweiflung: <BR /><BR />Mentre che l’uno spirto questo disse, <BR /> l’altro piangea; sì che di pietade <BR /> io venni men cos’ì com’io morisse. <BR />(Als so der eine geist gesprochen, fasste <BR />Den andren solches schluchzen dass vor weiche <BR /> Mir die besinnung schwand und ich erblasste.) <BR /><BR /><BR />Gerade das Mitleid ist es, das die ganze Szene in ein durchaus modernes Licht tüncht, ist ja Dante in der Commedia stets darauf bedacht, als moralische und ethische Instanz wahrgenommen zu werden; hier aber, angesichts der Raserei eines mordlustigen Berserkers, ist es gerade diese Instanz, die Dante abhandenkommt. Es stellt sich das christliche Motiv der Verzeihung ein. <BR /><BR />So weicht die moralische Instanz vor der reinen Menschlichkeit, die ja auch den logischen Abschluss von <b>Goethes Faust II</b> vollführt und auf die Francesca-Episode aus Dantes Commedia zurückweist: <BR /><BR />Alles Vergängliche <BR /> Ist nur ein Gleichnis; <BR />Das Unzulängliche, <BR />Hier wird’s Ereignis; <BR />Das Unbeschreibliche, <BR />Hier ist’s getan; <BR />Das ewig Weibliche <BR />Zieht uns hinan. <BR /><BR /><BR /><b>Dantes Francesca in Kunst, Literatur und Musik</b><BR /><BR /><BR />Im Lichte der dramatischen Anlage der ganzen Fabel um das Liebespaar Paolo und Francesca nimmt es nicht wunder, dass seit Beginn der Rezeption in Italien und im restlichen Europa die Francesca-Episode zu einem Thema der bildenden Kunst wurde, so im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert ein überaus beliebtes Sujets der Künste. Maler wie der Tiroler <b>Joseph Anton Koch,</b> dann <b>Füssli über Ingres und Delacroix, Dante Gabriel Rossetti</b> bis hin zu B<b>öcklin und Rodin</b> und weiter bis zu <b>Josef Thorak, Johann Kluska und Markus Vallazza</b> haben sich mit der Geschichte um Paolo und Francesca auseinandergesetzt: Das im Sturmwind der Hölle schwebende Liebespaar war zum pathosgeladenen Inbegriff der leidenschaftlichen Liebe schlechthin geworden. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680291_image" /></div> <BR /><BR />Im Zuge der nach 1900 einsetzenden Neudefinition dessen, was Kunst der Avantgarde sein soll, büßt allerdings das Francesca-Narrativ seine Bedeutung als Bildthema bis auf entweder bewusst ironisch distanzierende oder nostalgisch-traditionalistische Reminiszenzen ein. Eine Steilvorlage lieferte die Francesca auch der Musik: Ich denke da an die berühmte symphonische Dichtung Francesca da Rimini von <b>Tschaikowski</b> oder an <b>Franz Liszts Dante-Symphonie, an Hermann Goetzs</b> gleichnamige Oper und <b>Sergei Rachmaninows</b> Einakter Francesca da Rimini, von 1906. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680294_image" /></div> <BR /><BR />Die literarische Rezeption des fin de siècle lässt nicht auf sich warten und wir finden bei <b>Paul Heyse</b> oder <b>Gabriele D’Annunzio</b> Transformationsprozesse der ursprünglichen Vorlage. Deutlich wird in all den genannten Kunstwerken die Frage nach der Motivation des jeweiligen Künstlers, sich mit Dante zu befassen, und die Frage nach dem Auswahlprinzip und dem kreativen Umgang mit klassischen Vorbildern allgemein. So wird beim Lesen dieser Episode der Commedia der Einblick in einen geistesgeschichtlichen Prozess wie auch die sich aufdrängende Menschlichkeit der Hauptfiguren deutlich, ein Menetekel, das auch heute noch dem Zeitgeist zu widerstehen weiß.<BR /><BR /><BR /><b><BR />Erika Wimmer Mazohls poetische Begegnung mit Dante und seiner Dichtung</b><BR /><BR /><BR /><b>Markus Vallazza</b> hat sich von 1993 bis 2000 intensiv mit seiner Serie von Zeichnungen mit Dante und seiner „Commedia“ beschäftigt: <BR /><i>„Vor ungefähr zehn Jahren befand ich mich, wie seinerzeit Dante Alighieri 'in einem finsteren Wald' (heute würde man Midlife-Crisis dazu sagen) und wusste nicht, wie ich da hineingeraten war und noch weniger, wie ich da wieder herausfände. In dieser für mich existentiell unseligen Zeit fiel mir ganz zufällig die im Reclam Verlag edierte 'Göttliche Komödie' in der Übersetzung von Hermann Gmelin in die Hände. Davon war ich dermaßen fasziniert und in Bann gezogen, dass ich kurzerhand beschloss, mich damit eingehender zu befassen, was für mich bedeuten sollte, mich zeichnerisch beziehungsweise therapeutisch mit dem Thema auseinanderzusetzen, weil ich mir davon eine Besserung meines Zustands oder gar Heilung versprach.“</i><BR />(Aus „Anmerkungen zu einigen meiner Radierzyklen“, in: „Markus Vallazza. Das Radierwerk 1979-2006“, Band II, Folio Verlag Bozen/Wien 2008)<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680297_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Markus Vallazza war immer schon ein scharfer Beobachter der Realität, die er in detailtreuen Zeichnungen festhielt, auch wenn er historische Figuren wie Dante, Pound, Benn oder Tumler gezeichnet hat. Er studiert sie in ausschnitthaften Segmenten der Wirklichkeit oder arrangierten Kombinationen von Dingen oder er studiert die vermittelte Realität in den fotografischen Porträts wichtiger Künstler, Dichter oder Maler sowie Intellektueller des 20. Jahrhundert: <BR /><BR /><BR /><i>„Was ich mir mit Dante insgesamt aufgebürdet habe, wurde mir erst nach und nach bewusst, als ich mich eingehender mit der 'Göttlichen Komödie' und der sich anhäufenden Sachliteratur auseinandersetzte. Unter anderem las ich in der 'Kulturgeschichte der Neuzeit' von Egon Friedell folgende entmutigende Passage: 'Die Göttliche Komödie ist in jedem Vers zugleich Enzyklopädie, Predigt und dramatisches Epos. Diese sublime Einheit von Glauben, Erkenntnis und poetischer Gestaltung konnte nur einem mittelalterlichen Geist gelingen: Sie ist seither der unerfüllte Traum aller Künstler, aber schon der bloße Versuch einer solchen Schöpfung könnte in unserer Zeit nur von einem Wahnsinnigen unternommen werden: Er wird erst wieder möglich sein, wenn die Bedingungen unserer Kultur sich von Grund auf geändert haben.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680300_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Und hier kommt die Dichterin <b>Erika Wimmer Mazohl</b> ins Spiel. Sie lässt sich in ihrem letzten Lyrikband <b>„Das zweite Gesicht“</b> von der Serie von 378 Variationen auf ein bekanntes Dante-Porträt in Markus Vallazzas zu 88 Gedichten inspirieren, in denen sie dem Individuell-Menschlichen von Dantes Menschsein ausgehend auf die Spur kommt. Im Bezug auf Vallazzas „Psychogramme“ oder „Kopfgeburten“ schafft sie dabei Texte, die von eigenen Reiseeindrücken bis zum Antlitz des Dichters reicht. Eds sind feinsinnige und gleichzeitig haptisch greifbare lyrische Bilder, die sie in ihren neuen Gedichten entwirft. Vallazzas Zeichnungen werden vom bildlichen Gesicht zu einer eigenen Sprache. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680303_image" /></div> <BR /><BR />Sie unterteilt ihre Sammlung in Hölle I, II und III, denen sie jeweils Überschriften wie „visionär-libidinös-profetisch-erlöst. amen, atomar-äolisch-schwärmerisch-kubistisch“ sowie „bandagiert-maskiert-punktiert-flatterhaft“ voranstellt. Sie eröffnet den Band mit einem „Nichtgedicht“: <BR /><BR /><BR />„nichtgedicht“ [geprüft] für markus vallazza <BR /><BR /><BR />wenn an einem Tag wie diesem <BR />unser tun auf dem Prüfstand steht <BR />und ich einem sinn nachjage <BR />ohne jemals irgendwann und irgendwo <BR />einem sinn zweck oder ähnliches / erblickt zu haben … <BR /><BR /><BR />Die Autorin überprüft, ähnlich Dante selbst in seinen berühmten Terzinen, die den „Inferno“ einleiten, die Sinnhaftigkeit des Lebens: <BR /><BR />Nel mezzo del cammin di nostra vita <BR />mi ritrovai per una selva oscura che la diritta via era smarrita …<BR /><BR /><BR />Auch das Gedicht mit dem Titel „visionär“ führt uns, wenn wir wollen zu Dante, dem in seiner „Commedia“ eine der größten Visionen menschlichen Lebens und Handelns gelungen ist: <BR /><BR /><BR />Ein jeder sieht <BR />nur <BR />was er sehen will <BR /><BR />der visionär<BR />sieht mehr <BR />und das ist<BR />zu viel<BR /><BR />ist ein grund für ächten <BR />ächten verjagen … <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680306_image" /></div> <BR /><BR />Eine klare Anspielung auf den von Florenz geächteten Dante! <BR />Die beiden ersten Gedichte führen uns direkt in die heutige Zeit und plädieren für eine Entschleunigung unserer heutigen Rastlosigkeit, die ja vor zwei Jahren in eine neue Krise geführt hat: mund nasen schutz (nasenschützer)<BR /><BR /><BR />für corona 2020<BR /><BR /><BR />sind gnadenlos alle öffnungen <BR />verriegelt mit schloss versiegelt<BR />gebeutelt ich mensch im auweh<BR /> kein schreien <BR /> nur lispelbahö <BR /><BR />die augen sind nun das vehikel <BR />die liebste zu küssen und auch <BR />den hund zu platz ! zu bewegen <BR />die typen zur ordnung verwarnen <BR /><BR />kusch geh ! ich rieche ich schmecke <BR />dich nicht <BR />ich bin nur noch blicke <BR /> die meucheln darüber hinaus <BR />denn alles in mir ist blutbös <BR /><BR />man hat mich nun also gefesselt ? <BR /> geknebelt bin ich verschachert / und es war kein oida mafioso <BR />ein nichts hat mich in den hefn ? <BR /><BR />die goschn <BR /> die muss ich versichern <BR /> ist das beste was ich noch hab <BR />und ich rieche nicht gern textil <BR /> ich kriech dir auch nicht zu kreuz <BR /><BR /><BR />Die 88 Gedichte von Erika Wimmer Mazohls „Das zweite Gesicht“ werden von einem Nachwort von Günther Oberhollenzer abgerundet.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="680309_image" /></div> <b>La Divina Commedia</b><BR /><BR />Die „Göttliche Komödie“ Dante Alighieris zählt zu den wichtigsten Werken der Weltliteratur. Sie machte das Italienische zur Literatursprache und hat Denken und Vorstellungswelt Europas mitgeprägt. Das Versepos erzählt von Dantes Wanderung durch die drei Reiche des Jenseits: Hölle, Purgatorium (Fegefeuer) und Paradies. Sie beginnt am Karfreitag 1300 und dauert eine Woche. Der römische Dichter Vergil (70-19 v. Chr.), dem Totenreich entstiegen, rettet den im Wald verirrten Dante und führt ihn hinab in die Unterwelt.<BR /><BR /><BR />Die Hölle ist wie ein riesiger Trichter, der in neun enger werdenden Kreisen bis zum Erdmittelpunkt reicht. In ihr werden die zu ewiger Verdammnis verurteilten Sünder gequält – je tiefer der Kreis, desto schwerer die Strafe. Viele sind Zeitgenossen Dantes oder historische und mythische Personen. Betrüger und Verräter trifft es härter als Räuber und Mörder.<BR /><BR /><BR />Vom Erdmittelpunkt steigen Dante und Vergil auf die andere Seite der Erdkugel hinauf zum Läuterungsberg. Auf seinen Stufen müssen die Seelen, die eine Chance auf Vergebung haben, zeitlich befristete Strafen abbüßen. Auf dem Gipfel liegt das irdische Paradies. Dort wartet Beatrice, Dantes früh verstorbene Jugendliebe. Sie führt ihn durch die einzelnen Himmelssphären, wo die Frommen und Heiligen sitzen, bis in den neunten Himmel, wo Dante Gott erblickt.<BR /><BR /><BR />Mit dem Namen „Commedia“ wollte Dante sagen, dass sich die Erzählung auf ein glückliches Ende zubewegt. Das Attribut „Divina“ („Göttliche“) fügte der Dante-Bewunderer Giovanni Boccaccio (1313-1375) hinzu. Die drei Teile („Cantiche“) umfassen 100 „Canti“ (Gesänge) mit 14 233 Versen. Dantes reimt in Terzinen, die aus je drei Verszeilen bestehen, die in einem Kettenreimschema (aba-bcb-cdc-ded...) gekoppelt sind. Übersetzungen versuchen, die Reimform nachzudichten oder den Text in Prosa zu übertragen.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR />