Montag, 18. März 2024

Unsere Doppelgänger

Rezension: Die Uraufführung von „Dorian Gray“, basierend auf Oscar Wildes Meisterwerk, ist die letzte Auftragsoper der Stiftung Haydn unter der künstlerischen Leitung von Matthias Losek. Von Margit Oberhammer

. „Innerhalb einer Gesellschaft, die sich selbst als perfekt porträtiert und aus normalen Menschen besteht“, erklärt Pintor, „macht jede unserer Figuren Bekanntschaft mit diesem jungen Mann, Dorian Gray...“ - Foto: © ANDREA MACCHIA

Ein fulminanter Auftakt: Auf der Bühne bricht ein Theatersaal in sich zusammen, Pinselstriche verwandeln ihn in ein schwarzes Nichts in goldenem Rahmen. Die Ouvertüre saugt einen hinein in einen schwarzen Schlund, in eine weiche, verführerische Hülle, gefolgt von musikalischen Schreien des Entsetzens. Ein in Musik gesetzter Sündenpfuhl? Das denkt man erst später, als man sich erinnert, dass es im Libretto des Regisseurs Stefano Simone Pintor um die unbekannten Sünden des Dorian Gray geht. Nur jener erkennt sie laut Oscar Wilde, der sie selbst begangen hat. Also darf man gespannt sein auf die versprochene Selbsterkenntnis.


In seinem Roman Das Bildnis des Dorian Gray zeichnet Oscar Wilde den Niedergang eines jungen Mannes nach, der besessen ist von der Angst, seine Schönheit zu verlieren, das Einzige, wofür es sich in seinen Augen zu leben lohnt. - Foto: © ANDREA MACCHIA


Um die Seele, oder moderne Psyche, kreist die gesamte Oper. Dorian Gray hat seine eigene im Handel um ewige Jugend und Schönheit verkauft. Die Stimmung dieser, meiner, deiner, eurer, unser aller -Opernseele ist herbstlich. Wir treten in den 23. September ein, das Datum kehrt auf der Bühne wieder. Zwischendurch, der 25. und noch einige Jahre später, wird es Ende Oktober. Wie es das Bild einer der berühmten weichen Uhren von Salvador Dalí suggeriert, das irgendwann auf der Bühne erscheint, ist die Zeit eine surreale der Fantasie, des (Alp)traums. Die Seele kennt keine Zeit, Vergangenes sei immer gegenwärtig, sagen die Psychoanalytiker.


Dank eines Zaubers erreicht der Protagonist, dass die Zeit nur sein Porträt, nicht aber seinen jugendlichen Körper altern lässt: doch um welchen Preis? - Foto: © ANDREA MACCHIA


Die Zeit mutiert zum Seelenraum; in Matteo Franceschinis vielen Klangschichten ebenso wie im Bühnenbild von Gregorio Zurla. Bilderrahmen, mit und ohne Bilder, nebeneinander, ineinander, hintereinander gestaffelt, sich öffnende und schließende Vorhänge führen in räumliche Tiefe. Hin zu aussagekräftigen Schauplätzen, vom Atelier des Malers Basil, Sybils Schmierentheater, Vernissage, Alans Giftlager bis hin zum Boudoir von Gladys, dem Krankenbett für die Schönheitsoperation, zum Friedhof und zur Psychoanalytiker-Couch. Es ist alles da, was in den Fantasien über Liebe, Tod und Teufel in den 6 Kapiteln des Librettos eine Rolle spielt.


Dorian Gray (Laura Muller, rechts) wird zu einer Art Doppelgänger, der die geheimen Triebe und Wünsche aller anderen katalysiert.<?ZS?><?Uni SchriftStil="0" SchriftArt="QuadraatSans" SchriftGroesse="7pt" Vorschub="10,2pt" SchriftWeite="100ru" SatzArt="0"?><?TrVer?><?Uni Kapitaelchen="100ru"?><?_Uni?><?FW "2pt"?><?PH PHFormat="$($IptcQue$/)"_?><?PH PHFormat="$($IptcAN)"_?><?_Uni?><?ZA?> - Foto: © ANDREA MACCHIA



Die Auslöserin dieser Fantasien, Dorian Gray in Gestalt der androgynen, in zurückhaltendes Grau gekleideten Mezzospranistin Laura Muller, geistert durch die Szene. Gemäß ihrem Part, dass Dorian Gray in dieser Oper eigentlich niemand ist, sondern nur als Doppelgänger von uns allen und aller Bühnenfiguren existiert, entfaltet Laura Muller ihre Gesangskünste gemeinsam mit anderen, in einem wunderschönen Liebesduett mit Giulia Bolcatos (Sibyl) sehnsuchtsvollem Sopran zum Beispiel. Mehrstimmiges Singen, auch mit zugespieltem (?) Chor hat eine wichtige inhaltliche Funktion, unterstreicht die ineinander verflochtene, auch ineinander verschwimmende und sich auflösende Figurenkonstellation.


Gemeinsam weiten Regisseur und Komponist Wildes Überlegungen zur Rolle der Kunst, zur Spießbürgerlichkeit seiner Zeit und zu jenem dunklen Doppelgängers, der in uns allen wohnt, zu einer Analyse unserer heutigen fragmentierten, fluiden, von einer massiven Wertekrise erschütterten Gesellschaft aus. - Foto: © ANDREA MACCHIA



Diese Konstellation gibt einige Rätsel auf. Oscar Wildes Roman hilft wenig, die Rätsel zu lösen. Der Librettist hat Leerstellen des Romans mit heutigem Verderben gefüllt. James (Ugo Tarquini), eine Art Stalker, in perverser Zuneigung gefangen, Gladys (Elena Caccamo), eine Prostituierte für die sogenannte bessere Gesellschaft.
An Nebenfiguren wie Alan, James oder Gladys und deren perversen Fantasien werden Auswüchse der Schönheitschirurgie und die nicht enden wollenden Frauenmorde thematisiert. Am frauenmordenden Stalker James (Ugo Tarquini), an der Society Lady Gladys (Elena Caccamo), einer Prostituierten für die sogenannte bessere Gesellschaft. Alan, der Giftmischer des Romans, prägt sich ein. Vielleicht, weil Alexander Baldo so schön und verführerisch singt und einen der gefährlichen Burschen spielt, denen man so leicht in die Fänge gehen kann.


Obschon Produkt und Spiegel seiner Zeit – des viktorianischen London im 19. Jahrhundert –, behandelt der Roman zeitlose Themen, die heute aktueller denn je sind: Gut und Böse, Liebe und Tod, Existenzangst und zwischenmenschliche Beziehungen, Jugend- und Schönheitswahn. - Foto: © ANDREA MACCHIA


Eine kleine Genugtuung des Wiedererkennens der Romanfiguren bietet Oscar Wildes Salonlöwe Harry. Der nervige Psychofreak ersetzt das Schwadronieren in der Oper durch Kritzeleien in seinem Notizbuch und hat kurze, betörend schöne Gesangseinlagen (Mathieu Dubroca). Als Einziger altert er sichtlich, entpuppt sich als dozierender Psychoanalytiker, während Dorian Gray als altersloser Student in seiner Vorlesung sitzt. Wiederzuerkennen gibt sich auch der Maler Basil, Autor des verhängnisvollen Bildes. Manuel Nuñez Camelino legt viele Facetten in seine reflektierte, verinnerlichte Rolle. Er singt leidenschaftlich schwärmerisch von seinem Modell und Kunstideal, bis ihm das Entsetzen stockend die Stimme verschlägt. Das Entsetzen über sein Meisterwerk, das zu einer dämonischen Fratze mutiert ist, während der ewig schöne und junge Abgebildete unentdeckt seinen dunklen Gelüsten frönt.


Dank einer episodischen, in sechs Kapitel unterteilten Erzählstruktur wird Dorian, der junge Protagonist, für die Nebenfiguren zu einem Spiegel, der ihnen vorgehalten wird. - Foto: © ANDREA MACCHIA



Zum Glück blitzt hie und da ein wenig Ironie auf. Schließlich ist die Karikatur der bürgerlichen Doppelmoral wesentliches Element der Romanvorlage. Der Komponist baut in die dunkel eingefärbten Klangmischungen, sehr sparsam ironische Zitate ein. Es dominieren musikalische Abwärtsbewegungen in diesem aufgewühlten, Sing- und Orchesterstimmen herausfordernden Seelengebräu unter der Leitung von Rossen Gergov. Leider reicht einmaliges Hören nicht, um kunstvolle musikalische Details im Konglomerat der Klänge auszumachen. Genauso wenig wie das einmalige Sehen der vielen visuellen Anspielungen dieser dichten, innerlich und äußerlich bewegten Inszenierung.
Am Ende züngeln die Flammen zu knisternden Orchesterklängen, verbrennen das Theater. Das Spiel ist aus, an die Stelle der von der Oper beabsichtigten Selbsterkenntnis tritt Erschöpfung, gepaart mit Bewunderung für ein anspruchsvolles Werk und dessen ausgezeichnete Interpreten.



PS: Ein Gespräch mit Matthias Losek zum Abschluss seiner 9 Jahre künstlerischen Opern-Leitung im Haydn Orchester folgt in den nächsten Tagen.

eva

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