<b>STOL: Heute ist Muttertag. Was bedeutet dieser Tag für Sie ganz persönlich?</b><BR />Rosie Rehbichler: Für mich ist es ein Tag, der sehr kommerziell geprägt ist. Trotzdem finde ich es gut, dass man sich wenigstens einmal im Jahr die Mühe macht, die Mütter zu würdigen. Insofern ist es wichtig, dass es ein fixes Datum im Jahr gibt, an dem die Mütter in unser Bewusstsein rücken, an dem der eine oder andere seine Mutter ausführt und sich Zeit für sie nimmt. Für die Mütter selbst hat dieser Tag, glaube ich, keine außerordentliche Wichtigkeit. Für jede Mutter hat er eine andere Bedeutung und so abgedroschen es auch klingen mag, jeder Tag sollte Muttertag sein.<BR /><BR /><b>STOL: Was bedeutet es für Sie Mutter zu sein?</b><BR />Rehbichler: Mutter zu sein, sehe ich als eine der schönsten Aufgaben, die man im Leben haben kann und Frauen sollten im Stande sein können, diese Aufgabe zu genießen, auch wenn damit ganz viele Ängste und Sorgen einhergehen. Ich erlebe immer wieder bei Müttern, wie ihnen das Herz aufgeht, wenn sie ihre Kinder nur anblicken oder von ihnen erzählen, wie ein Kind so vieles positiv im Leben einer Frau, aber auch eines Mannes verändert, wie sich Sichtweisen öffnen und wie Verantwortung gelebt wird, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, so selbstverständlich. Das Muttersein lässt Frauen noch weicher, verletzlicher und menschlicher werden. <BR /><BR /><embed id="dtext86-59571012_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Was Mütter tagtäglich leisten, bleibt oft im Dunkeln. Was erzählen Ihnen Mütter aus ihrem Alltag?</b><BR />Rehbichler: Mit unserem Verein begleiten und unterstützen wir vor allem Mütter, die 4 oder mehr Kinder haben. Oft gibt es aber auch Mütter mit „nur“ ein oder 2 Kindern, die besondere Bedürfnisse haben, oder Mütter, die selbst besondere Bedürfnisse haben und deren Alltag nicht ganz normal ablaufen kann. Alleinerziehende Mütter, oder Mütter, die am Wohnort fremd sind und nicht auf das Netz der Großfamilie zurückgreifen können, müssen die vielen Herausforderungen des Alltags oft alleine bewältigen: Mein Kind ist krank, aber ich muss arbeiten. Mein Kind muss irgendwo hingebracht werden oder braucht Pflege. Dazu kommen oft noch andere Familienmitglieder, die gepflegt werden müssen. Und trotzdem bekommen diese Frauen alles unter einen Hut - ohne zu murren, ohne zu jammern, indem sie jeden Tag kämpfen. Das nötigt mir größten Respekt ab. Vor allem, weil wir immer wieder hören, mit welcher Freude diese Frauen trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen Mütter sind. Sie sind Tag und Nacht für ihre Familie und ihre Kinder da und deren Lächeln ist der Dank dafür.<BR /><BR /><embed id="dtext86-59542643_quote" /><BR /><BR /><b>STOL: Warum wird diese Leistung in unserer Gesellschaft zu wenig gewürdigt?</b><BR />Rehbichler: Den Blick nach innen macht jede Familie für sich, selbst nahestehende Menschen wissen nicht immer, wie es in einer Familie aussieht. Problematisch ist aber auf gesellschaftlicher Ebene, dass Frauen – und vor allem Mütter – erst dann Wertschätzung erfahren, wenn sie auch berufstätig sind. Von Seiten der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft gibt es einen sehr starken Ruf, dass Frauen wieder in den Beruf zurückkehren sollen – auch weil die Suche nach Arbeitskräften derzeit so schwierig geworden ist. Damit wird starker Druck auf die Frauen ausgeübt: „Du bist nur etwas wert, wenn du außer Haus arbeitest“. Die Berufung als Mutter, bei der man den ganzen Tag und oft auch die ganze Nacht gefordert ist, damit es der Familie gut geht, wird wenig gesehen und schon gar nicht wertgeschätzt. Von finanzieller Wertschätzung ganz zu schweigen. <BR /><BR /><b>STOL: Als Gesellschaft üben wir einen großen Druck auf Mütter aus. Besonders junge Frauen sollten eine Top-Karriere und eine Vorzeigefamilie unter einen Hut bringen. Ist das überhaupt zu schaffen?</b><BR />Rehbichler: Ich glaube, es ist unglaublich schwierig, diesem Druck standzuhalten. Durch die sozialen Medien wird Perfektionismus sehr stark propagiert. Frauen sollen perfekt gekleidet sein, immer gut aussehen, die Beziehung muss stimmen, die Finanzen müssen stimmen. Diese Wunschvorstellungen sind in der Realität kaum erfüllbar. Oft sind heute auch die Partner in der Familie stark gefordert und die Männer verändern zunehmend ihr Rollenbild innerhalb der Familie. Sie müssen nicht mehr nur den Bereich der Erwerbsarbeit abdecken, sondern sind auch in der Familie gefordert. Ich glaube, dass die jungen Männer das zum großen Teil auch sehr gerne tun. Was fehlt, ist eine Gesprächskultur unter jungen Menschen. Schon bevor ein Kind geboren wird, sollten Erwartungen kommuniziert werden, wie die Familiensituation in Zukunft aussehen könnte. Hinzu kommt, dass junge Frauen heute meist sehr gut ausgebildet sind und zwischen dem Wunsch nach einer erfolgreichen Karriere und einer harmonischen Familie hin und her gerissen werden. Als Gesellschaft sollten wir jungen Frauen zugestehen, dass sie sich einige Jahre ihrer Mutterrolle widmen können, in denen sie für ihre Kinder da sind, ohne sich um ihre gesellschaftliche Anerkennung sorgen zu müssen.<BR /><b><BR />STOL: Wie kann man Müttern diesen Druck nehmen?</b><BR />Rehbichler: Den Menschen und vor allem der Politik sollte bewusst sein, dass jede junge Frau, die heute ein Kind bekommt und sich hoffentlich auch für ein zweites entscheidet, damit einen Mehrwert für unsere Gesellschaft schafft. Sie ist als Mutter gleich viel wert wie als Berufstätige. Deshalb müssen sich die Frauen die Zeit nehmen dürfen, ihre Rolle als Mutter wirklich zu leben und die Werte, die ihnen wichtig sind, an ihre Kinder weiterzugeben. Es muss möglich sein, die Kinder nicht in einer Kindertagesstätte oder einem Kindergarten abzugeben, wo trotz aller Bemühungen des Personals nie so auf das einzelne Kind eingegangen werden kann, wie es in der eigenen Familie möglich ist. Wir müssen den Kindern ermöglichen, in ihren Familien aufzuwachsen, ohne ständig hin und her geschoben zu werden, damit die Kinder selbst stabiler werden und überhaupt stabile Beziehungen aufbauen können. Die nächste Generation liegt in den Händen der Mütter. Den Müttern sollte anschließend der Wiedereinstieg in den Beruf so leicht wie möglich gemacht werden. Dabei geht es nicht unbedingt um die Sicherheit des Arbeitsplatzes bis zum Wiedereinstieg, sondern um Flexibilität und den Abbau bürokratischer Hürden. Die Politik muss sich heute die Frage stellen, wie diese Aspekte unserer Gesellschaft in 10 oder 20 Jahren aussehen sollen und nach Antworten suchen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-59542647_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Die Familie wird auch heute noch größtenteils auf den Schultern der Mütter getragen, langsam beginnt sich die Rollenverteilung aber aufzuweichen. Ist das auch dringend notwendig?</b><BR />Rehbichler: Ich sehe keine Dringlichkeit. Damit meine ich nicht, dass nur die Mutter beim Kind sein soll, sondern dass solche Entscheidungen in der Familie aus Überzeugung und mit dem Herzen getroffen werden sollen. Wenn es einer Mutter ständig unter den Fingern kribbelt, dass sie draußen etwas bewegen muss, dann soll sie die Möglichkeit haben, sich in der Arbeitswelt zu verwirklichen. Aber es gibt viele junge Frauen, die sich diesen Stress nicht mehr antun wollen. Sie müssen morgens das Kind abgeben, dann vielleicht eine Stunde zur Arbeit pendeln und nach der Arbeit wartet der ganze Haushalt. Wo bleibt da die Zeit für das Kind selbst? Unter dieser Überforderung leidet am Ende nicht nur die Mutter, sondern auch die Partnerschaft und die ganze Familie. Das ist ein großes Opfer, das viele Frauen täglich bringen. Kündigungen, weil die Frauen sich dieser Zerreißprobe nicht mehr stellen wollen, haben stark zugenommen. Sie bleiben zu Hause bei ihren Kindern, widmen sich ihnen und erhalten eventuell noch ein bisschen Arbeitslosengeld. Hier ist wieder die Gesellschaft gefragt, die den Müttern konkret unter die Arme greifen sollte, vor allem, indem sie Mütter – auch wenn sie nicht arbeiten – für die Rente absichert.<BR /><b><BR />STOL: Wie sieht beim Thema Rente ein konkreter Vorschlag aus?</b><BR />Rehbichler: Die Südtiroler Politik wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die Entscheidungen in diesem Bereich bei der Regierung in Rom liegen. Jetzt haben wir zumindest die Aussicht, dass dort interveniert wird. Meine Vorstellung wäre, dass den Müttern für jedes Kind die Rente für einige Jahre eingezahlt wird, auch wenn sie nicht arbeiten. Damit verhindern wir, dass Frauen später in die Falle der Altersarmut geraten. Für Frauen, die Erziehungs- und Pflegearbeit unentgeltlich leisten, wäre das ein wichtiges konkretes Zeichen der Wertschätzung.<BR /><BR /><b>STOL: Mit Ihrem Verein setzen Sie sich für kinderreiche Familien in Südtirol ein. Mit welchen Sorgen und Bedürfnissen wenden sich Mütter an Ihren Verein?</b><BR />Rehbichler: Wir stellen fest, dass immer mehr Familien versuchen, ihr Leben nicht mehr systemkonform zu gestalten. Das heißt, sie wollen ihre Kinder nicht mehr in den Kindergarten schicken, weil sie das Gefühl haben, dass dort eine Vereinheitlichung stattfindet. Zum Teil sagen sie, dass die unterschiedlichen Betreuungszeiten nicht kompatibel sind: Mehrere Kinder müssen zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedliche Orte gebracht und wieder abgeholt werden. In den Familien herrscht oft ein hoher Erlebnisdruck auch außerhalb von Schule und Kindergarten: Zu welchen Nachmittagskursen sollen die Kinder angemeldet werden, bei welchen Vereinen, bei welchem Sportteam kommen sie unter, um die täglichen Aktivitäten und die Betreuung zu gewährleisten? Diese Aktivitäten bei mehreren Kindern zu organisieren, nimmt immer mehr Zeit in Anspruch, die viele Familien nicht mehr aufbringen wollen. Diese Familien wollen für ihre Kinder allesamt das Beste, weichen dabei aber häufiger vom üblichen Weg ab und wünschen sich, dafür nicht stigmatisiert zu werden.<BR /><BR /><embed id="dtext86-59542731_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Es gab in den vergangenen Monaten einige Diskussionen rund um den Kindergarten in Südtirol. Es gibt Überlegungen, die Betreuungszeit auf 11 Monate zu verlängern. Wie haben Sie diese Diskussion verfolgt?</b><BR />Rehbichler: Ich habe diese Diskussion sehr kritisch verfolgt, da ich nicht damit einverstanden bin, dass es immer stärkere Tendenzen gibt, die Kinder aus der Familie herauszunehmen. Kindergarten und Schule sollen immer mehr die Rolle der Familie übernehmen. Ich bin der Meinung, dass Werte in der Familie gelebt und dort an die Kinder weitergegeben werden. Wie man sich in der Gemeinschaft verhält, lernen Kinder in erster Linie zu Hause. Wenn Eltern diese Aufgabe immer mehr an Bildungseinrichtungen abgeben, geht den Kindern viel verloren. Zudem glaube ich, dass diese Diskussionen immer aus der Sicht der Eltern geführt werden. Das Kind hat dabei meist überhaupt keine Stimme. Ich bin mir sicher, dass nicht jedes Kind gerne lange in den Kindergarten geht. Eine weitere Schwierigkeit auch bei diesem Thema ist der Personalmangel: Die Kindergärtnerinnen können nicht ewig aushalten, was viele in der Familie nicht mehr schaffen.<BR /><BR /><b>STOL: Der Arbeitskräftemangel wird uns sicher noch einige Jahre beschäftigen. Der Ruf nach einer möglichst schnellen Rückkehr der Mütter in den Beruf wird wohl lauter werden und die Kinder müssen in Betreuungseinrichtungen. Wie sieht das Szenario für die Familie der Zukunft aus?</b><BR />Rehbichler: Es wird mit Sicherheit schwierig. Wenn immer mehr Mütter berufstätig sind, wird die Kernfamilie immer mehr aufgeweicht. Eine Folge davon ist, dass die Bindungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen leidet. Sie werden das Gefühl haben: Ich kann mich auf niemanden verlassen, weil alle gehen. Einmal werde ich im Kindergarten abgegeben, dann bei den Großeltern, dann im Sportverein und selbst die Sommerferien kann ich nicht mehr mit meiner Familie verbringen. Für Kinder, die so aufwachsen, besteht die Gefahr, dass es im Erwachsenenleben genauso weitergeht. Junge Menschen haben es dann immer schwerer, sich auf jemanden einzulassen, verlässlich zu jemandem zu stehen und einen Partner zu finden. Ich habe auch nicht die Patentlösung für die Familie der Zukunft. Wichtig und sinnvoll wäre es, die Jugendlichen frühzeitig bei der Berufswahl abzuholen, um dem Arbeitskräftemangel schon jetzt entschieden entgegenzuwirken. Viele junge Menschen finden sich im Schulsystem nicht zurecht und wären in einer praktischen Ausbildung viel besser aufgehoben als in einem Studium. Sie sind die Arbeitskräfte, die wir dringend brauchen, zum Beispiel auch in der Pflege und in der Kinderbetreuung. Bei der Berufswahl sollte vor allem das Herz entscheiden.<BR /><b><BR />STOL: Eine Studie hat Südtirol kürzlich zur mütterfreundlichsten Region Italiens gekürt. Was macht Südtirol heute schon richtig, wenn es darum geht, mütterfreundlich zu sein?</b><BR />Rehbichler: In Südtirol hat man ein offenes Ohr für Mütter. Das ist richtig und wichtig. Mütterfreundlichkeit an der Anzahl von Spielplätzen, Kinderkrippen oder Elkis festzumachen, halte ich aber für fragwürdig. Das allein macht ein Land noch nicht mütterfreundlich. Mütterfreundlichkeit sehe ich in dem Moment, in dem die Mutter als Hoffnungsträgerin und Erzieherin der zukünftigen Generation wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Dies geschieht durch besondere Hilfen, – wie etwa die Absicherung der Rente oder die Verlängerung von Karenzzeiten – aber vor allem auch dadurch, dass man den Frauen mehr Zeit gibt, Mutter zu sein. Wenn eine junge Frau mit Kindern erst dann Wertschätzung erfährt, wenn sie außer Haus zur Arbeit geht, ein Gehalt nach Hause bringt und sich dabei ständig zerreißen muss, dann ist es noch ein weiter Weg zu echter Mütterfreundlichkeit.