Eine Diagnose, die die Mutter mitten aus dem Leben riss. Wie es ihr heute geht und wie der Alltag der Familie aussieht, das schildert ihr Ehemann bei s+. <BR /><BR />„Lena war sehr intelligent und gebildet“, beschreibt Ehemann Max Holzer seine Frau. Als sie sich kennenlernten, arbeitete sie als Führungskraft in einem Unternehmen, war Chefin von über 100 Mitarbeitern. <BR /><BR />„In den Sitzungen haben sich Kollegen oft gewundert, warum sie nicht mitschreibt. Sie hatte einfach alles im Kopf. Im Kopfrechnen hatte niemand eine Chance gegen sie“, erinnert er sich. Heute fallen Lena Holzer einfachste Berechnungen schwer. „Unserem Volksschulkind kann sie bei den Matheaufgaben nicht mehr helfen.“ <h3> „Krankheit kam nicht über Nacht“</h3>Dabei hatte die Familie bereits schwere Zeiten hinter sich. Mit Mitte 40 Jahren war Lena Holzer an Brustkrebs erkrankt. Die Ärzte hatten damals das Paar beruhigt, sie sollten sich keine großen Sorgen machen, das sei der meist erforschte Tumor. „Mich traf diese Diagnose fast noch mehr als später Demenz. Das jüngste Kind war so klein, ich dachte an das Schlimmste“, erzählt Max Holzer. Im Bekanntenkreis waren einige Menschen an Krebs gestorben. Für Lena Holzer begann ein harter Weg zur Genesung, sie konnte vom Krebs geheilt werden.<BR /><BR />Während der Pandemie herrschte dann Chaos. Die 2 Kinder waren daheim im Fernunterricht, Lena Holzer begann eine neue Ausbildung. „Ich habe mir bei einigen Auffälligkeiten nicht so viel gedacht“, blickt Max Holzer zurück. „Es war ein schleichender Prozess, die Krankheit kam nicht über Nacht.“ Während des Urlaubs am Meer hatte Lena Holzer Orientierungsschwierigkeiten, verwechselte das Datum und die Uhrzeit. Max Holzer wurde stutzig, besprach sich nach der Rückkehr mit der gemeinsamen Hausärztin: Er mache sich Sorgen um seine Frau. Doch sie beruhigte ihn: „Das ist unmöglich. Nicht in diesem Alter.“ <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="942265_image" /></div> <BR /><BR />Auch im Rahmen der Brustkrebserkrankung war Lena Holzer genau durchgecheckt worden, unter anderem der Kopf, um eventuelle Metastasen zu entdecken. Die Vorerkrankung hatte das Paar aber vorsichtiger werden lassen, die Symptome wollten sie unbedingt medizinisch abklären. Um auf Nummer sicher zu gehen. <BR /><BR />Und sie sollten Recht behalten: Demenz wurde bei der zweifachen Familienmutter diagnostiziert. „Anders als Brustkrebs war es für mich kein Todesurteil“, erzählt Max Holzer. „Am Anfang habe ich mich mit Demenz nicht ausgekannt. Ich dachte, es wird schon gehen.“ Mit Gedächtnistraining und Übungen könne man die Erkrankung in den Griff bekommen, den Verlauf positiv beeinflussen. <h3> „Ich habe nichts mehr. Ich bin nichts mehr.“</h3>Das war vor 2 Jahren. Mittlerweile kann Lena Holzer nicht mehr arbeiten, im Haushalt hilft sie immer weniger mit. Körperlich ist sie zwar noch topfit, wäscht sich und kleidet sich selbst. Ob Frühstück- oder Mittagszeit ist, weiß sie aber oft nicht. Geistig baut sie immer mehr ab – und das bekommt sie auch mit. „Du hast die Arbeit, die Kinder haben die Schule. Ich habe nichts mehr, ich bin nichts mehr“, sagt sie oft zu ihrem Mann. <BR /><BR />Wie schaut der Alltag der Familie aus? „Nach der Diagnose ist meine Mama eingesprungen, die noch gesund und agil ist“, erläutert Max Holzer. Dann wurde eine Teilzeithaushaltshilfe engagiert, die vormittags im Haus war und auch das Mittagessen zubereitete. „Sie mussten wir jetzt durch eine Vollzeitkraft ersetzen, weil alles intensiver geworden ist.“ <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="942268_image" /></div> <BR /><BR />Früher war Lena Holzer ehrenamtlich tätig, das musste sie aufgeben. „Automatisch werden die Kontakte weniger“, weiß Max Holzer. Ein paar Freunde und eine Nachbarin, eine Handvoll, sind da. Sie agieren als wertvolle Stütze für die Familie – im Rahmen dessen, was ihnen möglich ist. Und dann gibt es noch Max Holzers Eltern und Geschwister. „Wir harmonieren gut. Oft bin ich von ihrem Einsatz überwältigt. Durch ihre Hilfe fällt vieles manchmal leichter.“ <BR /><BR />Mit den 2 Kindern im Volks- und Mittelschulalter war das Paar beim Kinderpsychologen. Sie wissen Bescheid, was mit ihrer Mama los ist, wobei es doch schon für einen Erwachsenen schwierig ist zu verstehen. Manchmal sind die Kinder auch genervt, denn Lena Holzer will in der Erziehung mitreden. Aber vieles, was sie sagt – merken auch die Kinder – ergibt oft keinen Sinn. <h3> Die finanzielle Belastung</h3>Dazu kommt die finanzielle Last. Plötzlich ist man Alleinverdiener. <BR />Max Holzer ist selbstständig, die Familie kommt über die Runden – alles andere als selbstverständlich. „Lena bekommt eine kleine Invalidenrente und Pflegegeld. Ich arbeite oft für 2.“ Anders als ein Angestellter kann Max Holzer sich auch nicht einfach freinehmen, um seine kranke Frau zu versorgen. „Das alles ist nicht ganz ohne.“ <BR /><BR />Während bei Krebs die Forschung auf gutem Stand ist, sieht es bei Demenz anders aus. „Es gibt ein Medikament, das den Verlauf hinauszögern kann – oder auch nicht.“ Der Verlauf der Krankheit sei aber nicht aufzuhalten. „Das erklären sie einem schon zu Beginn. Es kann viele Jahre dauern, aber gerade bei Jüngeren ist die Erkrankung oft aggressiver und schreitet schneller voran.“ Insbesondere Menschen, die Lena Holzer lange nicht gesehen haben, erschrecken. Merken, dass sie etwa innerhalb eines halben Jahres rasant abgebaut hat. <BR /><BR />Urlaub auf Rezept wünscht sich Max Holzer bei all diesen Herausforderungen. „In Deutschland organisiert man z. B. Kuraufenthalte für Angehörige, die zu Hause den Demenzkranken pflegen. Er wird verschrieben.“ Eine Bekannte etwa verbrachte im Zuge dessen erst kürzlich 3 Wochen mit ihrem Sohn an der Nordsee. <h3> Wie hält man dieses Schicksal aus?</h3>Einmal im Monat besucht Max Holzer eine Selbsthilfegruppe. „Das tut mir gut, und dort bemühen sie sich auch sehr.“ Hierzulande, schildert Holzer, gebe es die Mentalität, niemanden etwas zu sagen, man schäme sich. Er bevorzugt es aber, offen über die Demenz seiner Lena zu sprechen. „Man lässt einfach eine Last fallen.“<BR /><BR />Helfen tut ihm auch der Austausch mit anderen Betroffenen, mit Menschen aus Österreich und Deutschland. Menschen, die in der gleichen Situation sind wie er – und im gleichen Alter. „Denn wenn es ältere Leute betrifft, ist es doch wieder eine andere Kategorie.“ Und da gebe es hierzulande noch sehr großen Handlungsbedarf – sei es beim Angebot an Einrichtungen, wie auch an Pflegeplätzen für diese Altersgruppe, bemängelt Max Holzer. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="942271_image" /></div> <BR /><BR />Manchmal wird er auch bestaunt. Warum er nicht schon längst die Flucht ergriffen habe? Ein Grund, so Holzer, seien sicherlich die gemeinsamen Kinder. Und man habe Verantwortung. „Es ist ein langer Prozess, bis man sich bewusst wird: Es gibt keine Hilfe, keine Besserung. Am Anfang hadert man sehr mit dem Schicksal, jetzt habe ich es akzeptiert und innerlich Frieden gefunden.“ <BR /><BR />Lena Holzer ist nicht mehr die Person, die er einst kennengelernt und dann geheiratet hat. Sie ist nicht mehr die Partnerin, sondern die zu Pflegende. „Es braucht eine lange Zeit, das alles zu verarbeiten, zu realisieren, und damit fertig zu werden.“ Max Holzer hat langsam einen Weg gefunden. Wenn seine Frau wieder hadert und sich fragt: „Bin ich denn schuld?“, antwortet er: „Nein, du bist nicht schuld. Aber ich auch nicht. Keiner ist schuld.“