<b>STOL: Herr Luther, seit einigen Monaten suchen viele Unternehmen in Südtirol nach Mitarbeitern – mit oft mäßigem Erfolg. Wo sind die ganzen Arbeitnehmer geblieben?</b><BR />Stefan Luther: Das ist ein Trend, den wir schon seit einiger Zeit beobachten, der nun aber so richtig zutage tritt. Eigentlich haben wir diese Situation schon vor 11 Jahren in einer Tagung prophezeit.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-54758385_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Inwiefern?</b><BR />Luther: Auf der Tagung „Arbeitswelt und demografischer Wandel“ in Bozen im Mai 2011 lautete unser Fazit – ich zitiere: „Die heutige Bevölkerungsstruktur lässt keinen Zweifel daran, dass sich unsere Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten tiefgreifend verändern wird. Die wichtigste Botschaft der Tagung kann in einer ebenso einfachen wie wichtigen Feststellung zusammengefasst werden: Der bereits stattfindende demografische Wandel wird die Beziehungen zwischen den Altersgruppen unumkehrbar verändern und birgt das Risiko einer nicht mehr ausreichenden Zahl von Arbeitskräften in sich, und das in einem Maße, dass negative Auswirkungen auf das allgemeine Wohlstandsniveau nicht ausbleiben.“<BR /><BR /><b>STOL: Und das ist jetzt eingetreten?</b><BR />Luther: Genau. Und wir sind erst am Anfang. In den kommenden 15 Jahren wird sich dieser Trend Jahr für Jahr verstärken.<BR /><BR /><b>STOL: Das bedeutet konkret?</b><BR />Luther: Im kommenden Jahr werden in Südtirol 6000 Arbeitskräfte fehlen. In 10 Jahren werden es 30.000 sein. Und dieser Trend ist schwer aufzuhalten.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54758386_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Es gibt also keine wirksamen Gegenmaßnahmen, die man noch einläuten könnte, um den Trend zumindest abzuschwächen?</b><BR />Luther: Abschwächen ja, richtig aufhalten, nein. Man darf sich auch nicht der Illusion hingeben, dass man die fehlenden Arbeitnehmer in Südtirol mit Arbeitnehmern aus dem Ausland kompensieren könnte. Denn dieser Trend, dass Jahr für Jahr Arbeitnehmer wegfallen, ist nicht nur in Südtirol zu beobachten, sondern in ganz Europa.<BR /><BR /><BR /> <div class="embed-box"><div data-pinpoll-id="205530" data-mode="poll"></div></div> <BR /><BR /><BR /><b>STOL: Sie sagen, es liegt an der demografischen Entwicklung. Ist der Grund also, dass die Babyboomer-Generation nun in Rente geht?</b><BR />Luther: So ist es. Und Jahr für Jahr werden es mehr. Erst in rund 15 bis 20 Jahren wird sich dieses Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt wieder einpendeln. Aber bis dahin fallen Jahr für Jahr mehr Arbeitskräfte weg.<BR /><BR /><b>STOL: Es kommen also 15 sehr schwierige Jahre auf den Arbeitsmarkt und auf die Unternehmen in Südtirol zu….</b><BR />Luther: Nicht nur auf die Unternehmer, auch auf die öffentliche Verwaltung und die Familien. Was man tun kann, ist, das Arbeitsleben zu verlängern, indem man es altersgerechter gestaltet und verstärkt Frauen einbindet, indem man die Vereinbarkeit deutlich erhöht. Diese beiden Maßnahmen können jedoch 2 Probleme nicht lösen, sondern verschärfen sie zum Teil sogar noch.<BR /><BR /><embed id="dtext86-54758387_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Nämlich?</b><BR />Luther: Die starke Zunahme „alter“ Arbeitnehmer und die starke Zunahme pflegebedürftiger alter Menschen, die von Personen im erwerbsfähigen Alter abhängig sind. Das wird das Hauptproblem der Zukunft werden. Eine dritte Gegenmaßnahme, die man ergreifen muss, ist die stärkere Aktivierung der Arbeitslosen in Südtirol – derzeit sind es rund 10.000 Personen, saisonal Arbeitslose nicht mitgerechnet.<BR /><BR /><b>STOL: Durch Umschulungen?</b><BR />Luther: Nein, das wäre nur ein kleiner Prozentsatz davon, wo dies etwas bringen würde. Man müsste die Arbeitslosen dazu bringen, überhaupt arbeiten zu gehen. Arbeitsvermittlung muss effektiver werden. Heute ist sie leider zu oft ein zahnloser Tiger, wir haben eindeutig Systemprobleme. Dann wäre das Problem zwar nicht zur Gänze gelöst, aber zumindest in einigen Bereichen etwas abgemildert.<BR />