Dienstag, 14. November 2023

„Stillstand bei Energie können wir uns nicht mehr leisten“

Südtirol tritt in Sachen Energiepolitik auf der Stelle. Zu diesem Urteil kommt die Spitze des Südtiroler Energieverbandes (SEV). Präsident Hanspeter Fuchs und Direktor Rudi Rienzner legen deshalb ihren energiepolitischen Leitfaden für die neue Landesregierung vor.

„Sonnenstrom spielt auf der Sonnenseite der Alpen eine Nebenrolle – leider“, so die SEV-Spitze. - Foto: © shutterstock

Kurz nach der ersten Sitzung des neugewählten Landtags präsentieren Sie ein umfassendes energiepolitisches Konzept. Wollen Sie damit an die vielen Entscheidungen erinnern, die in den kommenden 5 Jahren zu treffen sind?
Hanspeter Fuchs: Wir befinden uns in einer Situation des Umbruchs. Seit dem Beginn der Elektrifizierung hat es in der Energiewirtschaft nie so viele Veränderungen in so kurzer Zeit gegeben wie heute. Die Entscheidungen, die in den kommenden Monaten zu treffen sein werden, betreffen alle Menschen und alle Unternehmen in unserem Land. Deshalb möchten wir die neue Landesregierung und die Abgeordneten des Südtiroler Landtags unterstützten. Wir müssen jetzt handeln. Energiepolitischen Stillstand können wir uns nicht länger leisten.

Die Existenz vieler Energieverteiler und Energieerzeuger ist ein großer Vorteil und kein Nachteil, wie man uns immer wieder einreden will.
Hanspeter Fuchs, SEV-Präsident

Was raten Sie der Landesregierung?
Fuchs: Zuerst einmal muss die herausragende Rolle der Energie für die Zukunft unseres Landes auch bei der Bildung der neuen Landesregierung anerkannt werden. Zweitens sollte man den Südtiroler Energie-Pluralismus endlich respektieren. Die Existenz vieler Energieverteiler und Energieerzeuger ist ein großer Vorteil und kein Nachteil, wie man uns immer wieder einreden will. Deshalb sollten wir eine gemeinsame Debatte auf Augenhöhe mit allen Akteuren unserer Energiewirtschaft und den politischen Entscheidungsträgern führen.

Seit vielen Jahren setzen Sie sich für eine autonome Regulierungsbehörde in Südtirol ein. Ist diese Forderung ebenfalls Teil Ihres energiepolitischen Konzepts?
Rudi Rienzner: Das ist ein zentraler Punkt. Wir müssen selbst über unsere eigenen Ressourcen gestalterisch verfügen. Auch ist es den Menschen kaum vermittelbar, dass unsere Strompreise von internationalen Gasmärkten abhängig sind, obwohl wir in Südtirol fast nur erneuerbare Energie erzeugen. Wir wollen erreichen, dass aus den echten Kosten für die Stromerzeugung in unserem Land auch echte Preise für Haushalte und Unternehmen werden.
Fuchs: Eine fachlich unabhängige Regulierungsbehörde könnte zudem energietechnisches und energierechtliches Know-how in Südtirol institutionell konzentrieren.
Rienzner: Je näher die Entscheidungsprozesse bei den Menschen angesiedelt sind, desto besser. Die Menschen sollten auch in Südtirol das Recht haben, aktiv und unmittelbar an den in ihrem eigenen Umfeld produzierten erneuerbaren Energien zu partizipieren. Das haben wir immer gesagt und das sagen heute viele Energiefachleute und Energiepolitiker in Europa. Ich würde mir lokale Energiepläne wünschen, mit denen jede Gemeinde im Dialog mit ihren Bürgerinnen und Bürgern ihre Optionen auslotet, wenn es darum geht, Erdgas und Öl bei der Produktion von Strom und Wärme durch Sonne, Wasser, Wind oder Holz zu ersetzen.

Wir sollten eine Solaroffensive starten und dabei auch versiegelte Bereiche nutzen.
Rudi Rienzner, SEV-Direktor


Wer eine nachhaltige Energieautonomie will, muss so viel wie möglich erneuerbare Energie selbst erzeugen. Welche Vorschläge hat der Südtiroler Energieverband?
Rienzner: Sonnenstrom spielt „auf der Sonnenseite der Alpen“ leider eine Nebenrolle. Wir sollten eine Solaroffensive starten und dabei auch versiegelte Bereiche nutzen. Wir raten dazu, Flächen für die Agri-Photovoltaik, also die Kombination von Solarenergieerzeugung und Landwirtschaft auszuweisen. Zudem sollten wir technologieoffen denken. In der Schweiz werden Staumauern als Solarkraftwerke genutzt. Vielleicht ist das auch in Südtirol möglich.
Fuchs: Bei der Versorgung mit Fernwärme aus Biomasse müssten viele seit Jahrzehnten bestehende Heizwerke modernisiert, technisch potenziert und durch die Verdichtung der Leitungsnetze weiter optimiert werden. Nur 20 Prozent des tierischen Wirtschaftsdüngers werden in Südtirol für die Produktion von Biogas genutzt. Das ist zu wenig.
Rienzner: Zukunftsstrategien bei der Wasserkraft sind ebenfalls die Modernisierung und Optimierung des historischen Bestands sowie der ökologisch unbedenkliche Bau neuer Kraftwerke. 2022 haben wir mit der Handelskammer Bozen das Potential für den Ausbau von Wasserkraftanlagen in Südtirol erhoben. Mit den damals vorgeschlagenen neuen Kraftwerken könnte die Südtiroler Stromproduktion aus Wasserkraft pro Jahr um 15 Prozent erhöht werden.

Noch einmal zur Energieautonomie. Was sollte die Landespolitik jetzt tun?
Rienzner: Sie müsste gemeinsam mit Trient eine Durchführungsbestimmung als Rechtsgrundlage anstreben. Unser Verband ist natürlich gerne bereit, die Landesregierung bei der Ausarbeitung der Durchführungsbestimmung mit seiner Expertise zu unterstützen.

hil

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