<b>STOL: Die akute Trockenheit gibt aktuell Anlass zur Sorge in ganz Europa. Wie ist die Situation derzeit in Südtirol?</b><BR />Roberto Dinale: Mehrere Parameter im Wasserkreislauf weisen darauf hin, dass wir deutlich weniger Wasser im Zyklus haben als in einem „normalen“ Jahr. Bedingt durch die wenigen Niederschläge und geringen Schneerücklagen sind die Grundwasserstände verhältnismäßig niedrig und es befindet sich weniger Wasser in den Wasserläufen als normalerweise. <BR /><BR /><b>STOL: Was bedeutet das in Zahlen?</b><BR />Dinale: Bei den Fließgewässern in Südtirol liegen die Pegelstände im Schnitt 25 Prozent unter den Normalwerten, die westliche Landeshälfte ist dabei stärker von Wassermangel betroffen als die östliche. Besonders akut ist das Wasserdefizit mit 37 Prozent in der Etsch bei Schloss Sigmundskron. Die Rienz führt derzeit etwa 18 Prozent weniger Wasser als normalerweise. Beim Grundwasserspiegel ist es schwieriger konkrete Zahlen zu nennen, da es hier viele gebietsabhängige Unterschiede gibt. In vielen Orten Südtirols liegt der Grundwasserspiegel aktuell unweit von historischen Tiefständen, die vor etwa 20 Jahren verzeichnet worden sind. Es gibt zwar noch keine neuen Negativrekorde, wir sind aber nicht weit davon entfernt.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="878042_image" /></div> <BR /><BR /><b>STOL: Was bedeutet ein sinkender Grundwasserspiegel für Südtirol?</b><BR />Dinale: Die Probleme, die dadurch verursacht werden können, sind eher lokal. Das heißt, man muss sich von Fall zu Fall anschauen, wie das Grundwasser genutzt wird. Die Trinkwasserversorgung ist häufig an das Grundwasser geknüpft – vor allem in Bozen. Dort sind die Pumpanlagen allerdings meist in sehr großer Tiefe installiert, sodass ein sinkender Grundwasserspiegel erst im Extremfall zum Problem wird. Kritischer ist es in Hanglagen oder in höher gelegenen Gebieten, wo ein sinkender Grundwasserspiegel zu einer geringeren Quellenschüttung führt. In diesen Gebieten kann es dazu kommen, dass die Feuerwehr Trinkwasser bereitstellen muss, <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/im-tankwagen-26000-liter-wasser-fuer-praemajur" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">wie wir es bereits erlebt haben.</a><BR /><BR /><b>STOL: Wie steht es derzeit um die großen Speicher der Wasserkraftanlagen in Südtirol?</b><BR />Dinale: In den größeren Stauseen Südtirols (Reschen, Zufritt, Vernagt und Zoggler Seen) steht derzeit etwa 25 Prozent vom maximalen Fassungsvermögen zur Verfügung, das heißt 53 der 214 Millionen Kubikmeter, die theoretisch maximal fassbar wären. Dieser Wert liegt etwa 30 Prozent unterhalb des langjährigen Mittels am 21. März und nur 7 Prozent über dem Minimum aus dem Jahr 2022 am selben Tag.<BR />Der Stausee am Reschen ist momentan aufgrund der Arbeiten für die Verlegung der SS40 fast leer ist. Alperia hat jedoch umgeschichtet und die Füllstände der anderen 3 Stauseen sind für den Winter überdurchschnittlich hoch. In der derzeitigen Situation der Wasserknappheit verschafft uns dieser Umstand dennoch keinen Vorteil: In Hinblick auf den Sommer wird es mit dem wenigen Schnee auf den Bergen schwierig werden, alle Seen zur Gänze zu füllen.<BR /><BR /><b>STOL: Wann wird die aktuelle Trockenperiode zum Problem?</b><BR />Dinale: Die Trockenheit wird zum Problem, wenn die Nachfrage für Wasser steigt. Noch sind wir im Frühling, aber vor allem die Landwirtschaft wird in den kommenden Wochen und Monaten immer mehr Wasser brauchen, sowohl in Südtirol als auch in den darunterliegenden Regionen. Dann werden wir mit Sicherheit an die Grenzen kommen, um der gesamten Nachfrage gerecht zu werden.<BR /><BR /><b>STOL: Nach einem trockenen Winter starten wir das Jahr 2023 mit einem massiven Wasserdefizit. Kann dieses noch aufgeholt werden?</b><BR />Dinale: Wir bräuchten mehrere 100 Millimeter Niederschlag in den kommenden Monaten, damit sich die Situation nachhaltig wieder entspannt. Gibt es zu viel Niederschlag innerhalb von zu kurzer Zeit, kann das aber auch zu Hochwassern und Murenabgängen führen. Wir brauchen also viel Niederschlag, aber in einer nicht zu hohen Intensität, damit das Wasser in die Böden eindringen kann und damit es für die Nutzung durch den Menschen und Natur brauchbar ist.<BR /><BR /><b>STOL: Können wir uns auf die Sommermonate noch vorbereiten oder ist es bereits zu spät?</b><BR />Dinale: In den kommenden Monaten ist es sicherlich notwendig auf allen Ebenen Wasser zu sparen – egal ob in privaten Haushalten, in der Landwirtschaft oder in der Industrie. Wir werden uns auch die Frage stellen müssen, wie Wasser verteilt werden soll: Wird es in den Speichern der Stromerzeugungsanlagen dringender benötigt als in der Landwirtschaft? Beide Sektoren werden Abstriche machen müssen. Die Frage der Prioritäten wird auf Landesebene aber auch auf der gesamtstaatlichen Ebene geklärt werden müssen. Sollte es im April und Mai viel regnen, müssen wir uns diese Fragen vielleicht gar nicht stellen. Im Moment deutet allerdings vieles daraufhin, dass solche Priorisierungen notwendig sein werden.<BR /><BR /><b>STOL: Südtirol gilt als ein wasserreiches Gebiet. Wird das in Zukunft nicht mehr selbstverständlich sein?</b><BR />Dinale: Ein Umdenken ist auf jeden Fall notwendig. Südtirol befindet sich im Alpenraum – den sogenannten „Wassertürmen“ Europas. In diesem Gebiet zählt Südtirol allerdings zu den trockeneren Regionen. Besonders der Vinschgau ist bekanntlich trocken. In Zukunft wird der Bedarf an Wasser noch weiter ansteigen. Der Klimawandel wird außerdem dafür sorgen, dass Trockenperioden, wie wir sie derzeit erleben, häufiger werden. An diese Faktoren müssen wir uns durch verschiedene technische und Verhaltensmaßnahmen anpassen.<BR /><BR /><b>STOL: Wie Landeshauptmann Arno Kompatscher am Montag verkündet hat, arbeitet man derzeit an einer Wassernotstandsverordnung. Welche Schritte werden nun gesetzt, um Wasser zu sparen?</b><BR />Dinale: Ich kenne den genauen Inhalt der Verordnung nicht. In einer ersten Phase ist davon auszugehen, dass verschiedene Ratschläge erteilt werden, wie Wasser im Haushalt bis hin zur Landwirtschaft gespart werden kann. Es kann aber durchaus sein, dass dann noch weitere Verordnungen folgen werden – wie wir es aus Zeiten der Pandemie kennen – sollte sich die Lage nicht entspannen. Dann könnten die Maßnahmen noch verschärft und auch Verbote verordnet werden. Ob es dazu kommt, werden die kommenden Monate zeigen.<BR /><BR /><b>STOL: Es ist also vorstellbar, dass es im Sommer verboten ist, sein Auto zu waschen?</b><BR />Dinale: Wenn wir einen ähnlich heißen und trockenen Sommer wie bereits im vergangenen Jahr erleben, kann ich mir durchaus vorstellen, dass es zu derartigen Verboten kommen könnte. Ob solche Maßnahmen die Situation wesentlich verbessern, ist natürlich fraglich, weil sie nur einen relativ kleinen Teil des Wasserbedarfes decken. Aber auch solche kleinen Schritte können dazu beitragen, dass jedem bewusst wird, dass wir es uns nicht mehr leisten können, Wasser zu verschwenden.