Sonntag, 19. November 2023

Ugandas Frauen wollen Gewaltspirale verlassen

Stockend erzählt die 17-jährige Uganderin Fikira Zakia, was ihr Ende Juni 2022 widerfahren ist: „Ich war an dem Abend auf der After Party einer traditionellen Hochzeit im Dorf. 3 Burschen haben mir das Handy aus der Hand geschlagen und weggenommen. Sie meinten, wenn ich mein Mobiltelefon wiederhaben will, muss ich mit ihnen in den Wald kommen.“ Fikira tat, wie ihr geheißen. Im Wald fielen die 3 über sie her, schildert das Opfer einer Gruppenvergewaltigung.

Fikira Zakia wurde bei der Vergwaltigung schwanger. - Foto: © APA/GUNTHER LICHTENHOFER / GUNTHER LICHTENHOFER

Fikiras Fall ist ein besonders drastischer, Gewalt gegen Frauen wird in Uganda auf vielfältige Weise, aber erschreckend oft ausgeübt. Aus einem 2021 veröffentlichten Factsheet des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) geht hervor, dass in dem ostafrikanischen Land 22,3 Prozent aller zumindest einmal verheirateten Frauen physische Gewalt von ihrem Partner, 16,6 Prozent sexuelle Gewalt und 9,3 Prozent sowohl psychische als auch sexuelle Gewalt erfuhren. Geht es um Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren, sind die Zahlen noch um einige Zehntel-Prozentpunkte höher.

Mit 32,6 Prozentanteil bei der physischen Gewalt sind die Zahlen in der Bukedi-Subregion im Osten des Landes am schlimmsten, bei sexuell konnotierter Gewalt sind es gar 37,1 Prozent. In der Ankole-Region im Südwesten Ugandas kommt hingegen emotionelle Gewalt besonders häufig vor. In zehn der 15 Regionen stiegen die Zahlen der Fälle 2020 gegenüber 2019 an - auch in der West-Nilregion im Nordwesten des Landes, wo Fikira Zakia lebt.

„Einer sagte, dass er es tun will. Er vergewaltigte mich, dann rief er die anderen. Sie hielten mir die Hände fest und den Mund zu. Danach sagten sie mir, dass sie mir am Tag darauf mein Handy zurückgeben werden“, erzählte die damals 16-Jährige über die Ereignisse des Abends, der ihr Leben verändern sollte. „Ich schämte mich so“, sagte Fikira Zakia. Tagelang vertraute sie sich niemandem an, ihr Verhalten veränderte sich massiv. „Ich hielt mich von allen Aktivitäten fern.“ Erst nach Tagen wandte sich das Mädchen an seine Tante, eine sogenannte Sasa-Aktivistin.

Strafverfolgungsbehörden schreiten nicht automatisch ein

Sasa-Aktivistinnen sind Frauen, die sich in ihren Dorfgemeinschaften Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt annehmen. Unterstützt werden sie von NGOs wie CARE über das von der Austrian Development Agency (ADA) geförderte Projekt WAYREP (Women and Youth Resilience Project). Dabei arbeiten sie mit lokalen Partnern zusammen: CEFORD (Community Empowerment for Rural Development) in Arua bzw. PACHEDO (Partners for Community Health and Development Organizations) in Gulu. Sasa-Aktivistinnen identifizieren die Betroffenen, gehen auf diese zu und bieten ihnen in vielfältiger Weise Unterstützung an. Oft geht es um finanzielle Hilfeleistungen, ob für medizinische und psychologische Behandlungen, aber auch um rechtlichen Beistand bei der Polizei und anderen Strafverfolgungsbehörden.

Das ist insbesondere wichtig, weil die ugandischen Strafverfolgungsbehörden nicht unbedingt automatisch einschreiten, wenn sie von Verbrechen erfahren, wie österreichische Journalisten bei einer Recherchereise immer wieder zu hören bekamen, auch von Beamten. „Die Armen gewinnen keine Fälle“, sagte einer. Korruption beginne bei der Polizei, aber auch vor Gericht. Eine NGO-Vertreterin sprach von Fällen von häuslicher Gewalt, in denen Polizisten zunächst Geld verlangten, damit sie überhaupt die Anzeige entgegennahmen und zu ermitteln begannen.

Dennoch sind das für den Beamten Einzelfälle. Wobei auch das ein dehnbarer Begriff ist: „Es gibt 45.000 Polizisten in Uganda. Wenn davon 20.000 korrupt wären, sind es trotzdem alles Individuen.“ Eine mögliche Lösung wäre eine deutlich bessere Bezahlung: „Man sollte das Gehalt verdoppeln, nein, verdreifachen“, meinte der Staatsdiener. Spitzenbeamte, die im Monat umgerechnet 235 Euro verdienen, müssen ihren Kindern die Schule finanzieren. Zur Erklärung: Es gibt in Uganda zwar auch öffentliche Schulen, aber zu wenige und finanziell nicht ausreichend dotierte. Wer daher kann, lässt seine Kinder in private Schulen gehen. Sogar arme Familien bemühen sich, ihren Kindern die Ausbildung in einer privaten Lehranstalt zu ermöglichen, wenn es irgendwie geht.

Es gibt aber auch Positivbeispiele: Für besonders schwere Fälle häuslicher Gewalt sind Fallkonferenzen vorgesehen. Vertreter von Justiz, Polizei, anderen staatlichen Stellen, aber auch von NGOs wie CEFORD- und CARE-Vertretern, diskutieren über Maßnahmen, wie Opfern geholfen werden kann, aber auch wie mit Tätern zu verfahren ist.

„Ich werde ihre Gesichter nicht vergessen“

Fikiras Tante leitete jedenfalls die notwendigen Maßnahmen im Fall ihrer Nichte in die Wege. Zunächst sprach sie mit den Eltern des Mädchens. „Mein Vater war wütend“, erzählte die junge Frau. „Nicht auf mich, auf die Täter.“ Der Gemeinderat empfahl, zur Polizei zu gehen. Die schickt Betroffene von Gewaltakten zur Untersuchung in ein Gesundheitszentrum, einerseits zu deren Sicherheit, andererseits auch zur Spurensicherung. Wiederholte HIV-Tests ergaben zwar zumindest, dass die Vergewaltiger Fikira nicht angesteckt hatten. Es wurde aber auch festgestellt, dass sie schwanger war.

2 der 3 Täter - 17, 16 und 14 Jahre alt - wurden festgenommen, der dritte flüchtete. Er wird seither im benachbarten Kongo vermutet. Einer wurde wegen der Vergewaltigung in einem langwierigen Verfahren verurteilt. „Ich kam zum Gericht, aber der Richter erschien nicht“, erzählt Fikira über ihre Schwierigkeiten. Der zweite wurde aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen. „Ich kenne die Täter seit dem Tag des Angriffs und ich werde ihre Gesichter nicht vergessen“, betont die 17-Jährige.

„Mädchen werden als Wertanlage gesehen“

Omugo, wo Fikira Zakia mit ihrer Familie lebt, ist nicht nur ein Dorf unweit von Arua, der Stadt an der kongolesischen Grenze im Nordwesten Ugandas, sondern auch die Gastgemeinde für eine Siedlung von Flüchtlingen, die zum Rhino Camp, einem der größten Flüchtlingslager der Welt, zählt. Mehr als 140.000 Menschen sind im gesamten Camp untergebracht, über 40.000 davon in der Omugo-Zone. Wobei der Begriff Lager etwas missverständlich ist: Zelte findet man im Camp nicht, sondern Lehmhütten. Menschen aus 8 Nationen sind in der Omugo-Zone untergebracht, die meisten von ihnen aus dem Südsudan und aus dem Kongo. Aber sogar Flüchtlinge aus Eritrea haben das Camp erreicht.

Abraham Bidal, ein Lehrer aus dem Südsudan, ist Vorsitzender eines Flüchtlingsrates in der Siedlung. Warum es so viel Gewalt gegen Frauen gibt, erklärt er präzise - und das gilt wohl gleichermaßen für die Flüchtlinge wie für die einheimische Bevölkerung: „Wir haben einfach kulturelle Angewohnheiten, die Frauen und Mädchen verletzen.“

Eines der Grundprobleme sei, dass „Mädchen als Wertanlage gesehen werden“. Der 36-Jährige präzisiert das so: „Wenn sie größer werden, lassen sich die Familien bezahlen, dass sie verheiratet werden.“ Das kann schon in sehr jungen Jahren der Mädchen geschehen.

Stärkung von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft ist dringend notwendig

Vor rund einem halben Jahr brachte Fikira ein gesundes Mädchen namens Munguci Naira zur Welt. Das Kind liebt sie: „Ich kann ihr ja nicht die Schuld geben. Sie kann nichts dafür, wie sie gezeugt worden ist“, sagt sie. Was geschehen ist, will Fikira ihrer Tochter aber nicht vorenthalten, wenn sie größer ist: „Ich werde ihr genau erzählen, was mir passiert ist, damit sie sich schützen kann.“

Es wird noch lange dauern, bis die 17-Jährige über die Gruppenvergewaltigung einigermaßen hinweggekommen ist. „Es tut mir jeden Tag weh. Ich wäre jetzt in der Schule, wenn mir das nicht passiert wäre“, sagte sie. Fikira war Schülerin und besuchte die Primary School. Im Dorf Omugo ist es absolut nicht ungewöhnlich, dass Kinder oder Jugendliche in ihrem Alter in die Volksschule gehen. Viele werden erst eingeschult, wenn die Eltern es sich leisten können.

Für Fikira Zakia ist klar, dass sie auch auf die Schule zurückkehren wird, sobald Munguci groß genug ist, dass sie tagsüber auch von den Familienangehörigen betreut werden kann. Der Traum der 17-Jährigen ist es, Polizistin zu werden. Und Missbrauchstäter einzusperren, damit sie andere Frauen schützen kann.

Letztlich ist Fikira Zakias Fall aber auch ein Beispiel dafür, wie Frauen in Uganda ihr Leben und ihre Stellung in der Gesellschaft zu verändern versuchen. In vielen Gegenden des Landes sprießen Initiativen zur dringend notwendigen Stärkung von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft. Ugandas Frauen wollen nicht länger die schweigenden Betroffenen sein.

apa

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