„Vorweg: Das jüngste Urteil des Kassationsgerichts zu diesem Thema hat durchaus Zündstoff, weil es vor allem auch in Südtirol ähnliche Fälle geben kann bzw. bereits gegeben hat“, weiß Janis Noel Tappeiner, Rechtsanwalt der Kanzlei Baur & Tappeiner mit Sitz in Lana und Schlanders/Vetzan. Demnach hat der Kassationsgerichtshof in Rom in einem Urteil Ende Juli zu diesen Fragen Stellung genommen und recht klare Entscheidungen getroffen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="682031_image" /></div> <BR /><BR />Aber der Reihe nach: Der Streitfall ist auf das Jahr 2008 zurückzuführen. In der Lombardei wurde damals ein einjähriges Kleinkind von seinem Großvater tödlich mit dem Camper erfasst, als dieser sich im eigenen Hofraum – zwischen Garten und Rampe zur hauseigenen Garage – mit dem Fahrzeug fortbewegte. <BR /><BR />Die Eltern des toten Kindes entschieden, gegen die Versicherungsgesellschaft, bei welcher der Camper versichert war, vorzugehen, um Schadenersatz wegen des Verlustes ihres Kindes zu erhalten. In Mailand lehnten jedoch sowohl das Landesgericht in erster Instanz (2014) als auch das Oberlandesgericht in zweiter Instanz (2017) die Forderung ab und folgten der gängigen Rechtsprechung, wonach ein Schadensfall nicht von der Kfz-Haftpflichtversicherung gedeckt wird, sofern sich dieser auf privatem Grund und Boden ereignet, welcher lediglich einer bestimmten Anzahl an Personen zugänglich ist. <BR /><BR />Die Eltern des Kindes zogen deshalb vor den Kassationsgerichtshof und erhielten in 2 von 3 Rekursgründen Recht – sprich: Sie bekommen Schadenersatz. Der Fall wandert nun zurück zum Oberlandesgericht, wo über die Summe verhandelt werden soll.<BR /><BR />Welche Rechtsbestimmungen kommen in solch einer Situation aber zum Greifen? „In gegenständlichem Anlassfall kommen die Bestimmungen über die zivilrechtliche Haftung, in Verbindung mit jenen über den Versicherungsvertrag, zur Anwendung“, erklärt Tappeiner. Artikel 2054 des italienischen Zivilgesetzbuches sieht demnach die Entschädigung des Personen- oder Sachschadens im Falle eines Unfalls im Verkehr von nicht-schienengebundenen Fahrzeugen, zum Beispiel Pkw oder auch Motorrädern, durch den Unfall verursachenden Fahrzeuglenker bzw. den Fahrzeughalter vor. <BR /><BR />Mit diesem Artikel des Zivilgesetzbuches verbunden sind in diesem Zusammenhang zwei Bestimmungen aus dem Rechtsbereich der Versicherungen; nämlich Art. 144 und 122 des gesetzesvertretenden Dekretes Nr. 209/2005. „Gemäß ersterem kann die im Zuge eines Unfalls verletzte Person direkt gegen den Haftpflichtversicherer vorgehen, um ihre Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Artikel 122 ist hingegen jene Rechtsbestimmung, welche eine Versicherungspflicht für all jene Kraftfahrzeuge vorschreibt, die auf öffentlichen Straßen oder Wegen, aber auch diesen gleichgestellten Flächen, verkehren“, weiß der Anwalt. <BR /><BR /><b>Was ist öffentlich? Das ist die Grundfrage</b><BR /><BR />Die Definition betreffend die den öffentlichen Straßen gleichgestellten Wege und Straßen ließ immer wieder Raum für verschiedene Interpretationen. „Die Anwendung von Art. 122 GvD Nr. 209/2005 war lange Zeit an die öffentliche Nutzbarkeit der Straße gekoppelt. Damit gleichgestellt wurden Straßen, die einer unbestimmbaren Anzahl an Personen zugänglich sind, unabhängig ihrer privaten Natur. Dieser Auslegung zufolge hätten die Eltern in gegenständlichem Fall kein Recht auf Schadenersatz zulasten des Versicherers, da die Hoffläche, auf welcher sich der Unfall ereignete – also privater Boden – von lediglich einer bestimmbaren und nicht einer unbestimmbaren Anzahl von Personen benutzt wird“, so Rechtsanwalt Tappeiner. <BR /><BR /><b>Italienisches Recht vs. EU-Recht</b><BR /><BR />Diese Rechtsinterpretation stehe aber im offenen Widerspruch zum gültigen EU-Recht, welche im Bereich der Fortbewegung mit Verkehrsmitteln und der Verpflichtung einer entsprechenden Versicherung diese Voraussetzung bzw. Grenze nicht vorsieht. „Laut Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bedeutet Verkehr von Fahrzeugen jeglicher gewöhnliche bzw. gewohnte Gebrauch eines Verkehrsmittels, der mit seiner Funktion bzw. seinem Zweck einhergeht“, betont Tappeiner. Hier könne den EU-Mitgliedstaaten einerseits kein Interpretationsspielraum gewährt werden und andererseits sei dort grundsätzlich eine Versicherungspflicht vorgeschrieben.<BR /><BR />Während also laut italienischem Recht bezüglich der Versicherungspflicht und den sich allenfalls daraus ergebenen Ansprüchen im Falle eines Schadens das Hauptaugenmerk auf die Öffentlichkeit der Straße gelegt wird, liegt der Fokus laut EU-Recht auf dem gewöhnlichen sowie gewohnten Gebrauch des Fahrzeuges, unabhängig der Rechtsnatur der Fläche, auf welcher es verwendet wird.<BR /><BR />Der italienische Kassationsgerichtshof entschied sich im gegenständlichen Streitfall schließlich für eine dem EU-Recht konforme Interpretation „und folglich für einen umfassenderen und effektiven Schutz des Unfallgeschädigten“, erklärt der Rechtsanwalt. Dies bedeute, dass von der Kfz-Haftpflichtversicherung lediglich einzelne Fälle ausgenommen sind, in denen das Fahrzeug für „fremde“, nicht mit seiner Funktion einhergehende Zwecke verwendet wird.<BR /><BR /><b>Darum ist das Urteil für Südtirol wichtig</b><BR /><BR />Dieses Urteil ist insbesondere auch für Südtirol interessant - weil sich hierzulande viele Feldwege im Privatbesitz befinden und es viele landwirtschaftliche Betriebe mit entsprechenden Zusatzflächen wie zum Beispiel Hofräume und Zufahrtswege gibt. <BR /><BR />„Auch hier gilt demnach in der Regel, dass ein Fahrzeug, welches zum Beispiel auf einem privaten Feldweg oder auf einem privaten Hofraum einen Verkehrsunfall verursacht, für die entsprechenden Schäden im Rahmen der Versicherungspolizze gegenüber Dritten versichert ist“, erklärt Tappeiner.