Freude, Stress, Angst und Müdigkeit, alle Gefühle gleichzeitig erfüllen die 4 Frauen, als sie ihre Retter in die Arme schließen. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Anastasiia Tarasova, Yuliia Tarasova, Olena Miliaieva und Yana Petrova werden am 24. Februar mit ihren Familien wie alle anderen Bürger von Kramatorsk aus dem Schlaf gerissen. Die Sirenen heulen ununterbrochen, man hört Raketeneinschläge, die nicht nur Militäreinrichtungen treffen, sondern auch zivile Ziele wie Wohnhäuser, Kindergärten, Schulen. Die Menschen sind in Panik.<BR /><BR />Jeder versucht seine Verwandten telefonisch zu erreichen. Gemeinsam wird überlegt, was zu tun ist, wie es weitergehen kann. In den großen, 14 und mehr Stockwerke hohen Kondominien, in denen Anastasiia, Yuliia, Olena und Yana wohnen, gibt es keine Keller, nichts wohin man sich flüchten könnte.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="745868_image" /></div> <BR />Die einzige Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen, sehen die Familien darin, am Land Zuflucht zu suchen, wo es Häuser mit Kellern gibt. Schnell sind Dokumente und Kleider gepackt. Mit dem Auto fahren sie, während es immer wieder Raketeneinschläge gibt, zum Haus von Yana Petrovas Mann, 30 Kilometer außerhalb von Kramatorsk, während Putin über das Internet verkündet, dass er die Ukraine befreien wird. Anastasiia, Yuliia, Olena und Yana sind Ukrainerinnen russischer Muttersprache.<h3> Unerträgliche Situation</h3>3 Tage verbringen sie in dem Haus am Land. Tag und Nacht heulen die Sirenen. Ständig heißt es runter in den Keller, raus aus dem Keller und wieder runter in den Keller. Die Situation ist unerträglich. Die Flucht aus der Ukraine erscheint den Familien die einzige Möglichkeit, obwohl klar ist, dass nur die Frauen und die Kinder das Land verlassen dürfen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-53301546_quote" /><BR /><BR />Tagelang müssen sie warten, bis sie einigermaßen sicher mit 2 Autos abfahren können. Oleg, ein 35-jähriger Zahnarzt, Yuliias Ehemann und Anastasiias Bruder, will die 4 Frauen und die 5 Kinder bis zur Grenze bringen, aber er hofft auch, dass er vielleicht doch ausreisen kann. <BR /><BR />1500 Kilometer sind es bis zur polnischen Grenze. Hauptstraßen können sie nicht befahren, die sind entweder zerbombt oder zu gefährlich. Auf holprigen, löchrigen Nebenstraßen wird die lange Fahrt zur Tortur. Für die halbe Strecke brauchen sie 4 Tage.<h3> Zuflucht in fremden Kellern</h3>Wenn die Sirenen heulen, bleiben sie mit den Autos stehen, klopfen an Türen von Häusern, deren Bewohner ihnen völlig fremd sind, und bitten, dass sie mit ihnen in den Keller flüchten dürfen. Nirgends gibt es Heizung oder Wasser. Die Bomben haben ganze Arbeit geleistet. Dafür herrschen Minusgrade und es liegt Schnee – ungewöhnlich für die Jahreszeit.<BR /><BR />Die restlichen 750 Kilometer sind leichter zu bewältigen. In einem Tag erreichen Anastasiia, Yuliia, Oleg, Olena und Yana mit den völlig erschöpften und traumatisierten Kindern in Korczowa (Krakowiec) die ukrainisch-polnische Grenze. Die Grenzkontrollen scheinen nicht enden zu wollen. Es dauert 24 Stunden, bis die Frauen endlich auf polnischem Staatsgebiet stehen. Oleg muss in der Ukraine bleiben.<h3> In Partschins Hilfsgüter gesammelt</h3>Anastasiia und Yuliia Tarasova sind immer in Kontakt mit Larisa-Mariya Götsch, Anastasiias Mutter und Yuliias Schwiegermutter, die in Partschins mit dem „Stiegenwirt“ Randold Götsch verheiratet ist. Für ihn ist die Ukraine seit 2005 ein bisschen wie seine zweite Heimat. Er ist wie seine Frau fassungslos über den Kriegsausbruch. Beide wollen natürlich helfen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="745871_image" /></div> <BR />Es wird vereinbart, dass sie auf die 4 Frauen und die 5 Kinder an der polnisch-ukrainischen Grenze warten werden. Doch Randold und Larisa-Mariya Götsch wollen nicht mit leeren Händen kommen. Spontan werden Hilfsgüter gesammelt. Die Partschinser erweisen sich als sehr großzügig und nehmen regen Anteil am Schicksal von Larisa-Mariya Götschs Familienangehörigen und Freunden.<h3> 10 Stunden gewartet</h3>Am Sonntag, den 6. März , brechen Randold und Larisa-Mariya Götsch mit einem Auto voller Hilfsgüter zur 13-stündigen Fahrt an die 1360 Kilometer entfernte Grenze in Korczowa (Krakowiec) auf. Dort angekommen, sind sie schockiert. Tausende Menschen befinden sich im Auffanglager 2 Kilometer von der Grenze entfernt. <BR /><BR />„Es war alles sehr gut organisiert“, erzählt Randold Götsch. Sie geben ihre Hilfsgüter ab. Um sie herum sind Hunderte Europäer, die ukrainische Flüchtlinge abholen wollen. Die Polizei hilft, wo sie kann, auch mit einer Handyverbindung zu den 4 Frauen und 5 Kindern. „Wir haben 10 Stunden gewartet, immer in der Ungewissheit, ob wir am richtigen Grenzübergang warten“, erzählt Randold Götsch. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="745874_image" /></div> <BR />Das Ehepaar wird zu einer Raststätte geleitet. Dort wird es von polnischen Freiwilligen mit warmen Getränken und Broten versorgt – und plötzlich sind Anastasiia, Yuliia, Olena, Yana mit den Kindern da. Freude, Stress, Angst und Müdigkeit, alle Gefühle gleichzeitig erfüllen die 4 Frauen, als sie ihre Retter in die Arme schließen. <BR /><BR />Es liegen aber noch 1500 Kilometer bis Partschins vor ihnen, kaum zu bewältigen, nach dem, was hinter ihnen liegt. Alle 2 bis 3 Stunden muss eine Pause eingelegt werden, in der die Flüchtlinge kurz schlafen. Die Frauen und ihre Kinder sind am Ende. <h3> „Ihr seid für mich wie Enkel“</h3>Schließlich kommen sie im „Stiegenwirt“ in Partschins an und wissen, dass sie in Sicherheit sind. „Sie wurden plötzlich aus einem völlig normalen Leben herausgerissen“, sagt Randold Götsch mitfühlend. „Es ist unverständlich, dass friedlich zusammenlebende Russen und Ukrainer nun auseinandergerissen werden.“<BR /><BR /><embed id="dtext86-53301546_quote" /><BR /><BR />Dass er die 9 Personen aufgenommen hat, ist für ihn selbstverständlich. „Das ist Familie“, sagt er. „Ich habe zu den Kindern gesagt: Ihr seid alle meine Enkelkinder. Macht euch keine Sorgen.“ Der Ukrainekrieg nimmt Randold Götsch seelisch mit. „Heute Nacht habe ich vom Krieg geträumt“, erzählt er. Götsch hat sich bereit erklärt, Ansprechpartner für Ukrainer zu sein, deren Flucht aus ihrem Heimatland noch bevorsteht und die Informationen benötigen.<h3> Wiedersehen ungewiss</h3>Über Viber sind die Frauen mit der Ukraine verbunden. Doch die Sorge um ihre Ehemänner, Brüder, Väter und Großeltern lastet schwer. Ein Wiedersehen ist ungewiss. „Ich weiß nicht, was von meiner Stadt übrig bleibt“, sagt Larisa-Mariya Götsch traurig.<BR /><BR />Die 4 Frauen wollen sich so schnell wie möglich ein Leben in Südtirol aufbauen, Deutsch lernen und Arbeit finden. Die Kinder sollen in den Kindergarten und die Schule. Dass sie bald in die Ukraine zurückkehren können – diese Hoffnung haben sie nicht.