In manchen Landesteilen wenig Niederschlag, mild im Temperaturverlauf und mancherorts sehr föhnig-windig: Der Winter hat sich heuer von einer ganz anderen Seite gezeigt als zuletzt. War der vorhergehende Winter 2020/21 kalt und schneereich, so war/ist es heuer relativ trocken, derzeit gibt es bereits erste „Frühlingsgefühle“. Doch so schön die frühen warmen Temperaturen für viele auch sein mögen, die Tier- und Pflanzenwelt kann sie nur begrenzt genießen. Josef Wieser, Wildbiologe des Südtiroler Jagdverbandes, klärt über Auswirkungen auf Wild und Wald auf.<BR /><BR /><BR /><b>Herr Wieser, wie wirkt sich dieser ungewöhnliche Winter auf den Wildbestand in Südtirol aus?</b><BR /><b>Josef Wieser:</b> Das lässt sich derzeit noch kaum beantworten, denn der Winter ist ja noch nicht vorbei. Vor allem Schneefälle im Spätwinter bzw. in den ersten Frühlingstagen können noch erheblichen Einfluss auf die Mortalitätsraten von Wildtieren haben. Im Winter zehren Wildtiere von ihren Reserven. Sind diese beispielsweise im Frühjahr aufgebraucht, kann ein erneuter Schneefall für sie das Aus bedeuten. Was wir aber jetzt schon sehen können: In diesem Winter sind bislang in den Monaten November bis Jänner 30 Prozent weniger Rehe verendet als zwischen November 2020 und Jänner 2021. <BR /><BR /><b>Was bedeutet der Klimawandel generell für den Wildbestand?</b><BR />Wieser: Den Klimawandel gilt es etwas differenziert zu betrachten. Man versteht darunter nicht nur eine Zunahme der Jahresdurchschnittstemperaturen, sondern auch eine Zunahme von Extremwettereignissen, wie beispielsweise Starkregen und Sturmkatastrophen. Dies stellt (nicht nur) Wildtiere vor neue Herausforderungen, denen sie im Wesentlichen auf drei Arten begegnen (können). Erstens: sich anpassen. Zweitens: abwandern. Oder drittens: aussterben. Geht der Klimawandel schneller vonstatten als die Anpassung der Tiere an die neuen Bedingungen, müssen die Tiere entweder in geeignete Gebiete abwandern oder sie kommen im Lebensraum nicht mehr zurecht und sterben im schlimmsten Fall aus. Tierarten, die hochspezialisiert an die Lebensbedingungen im Hochgebirge angepasst sind, wie etwa das Alpenschneehuhn, kommen durch den Klimawandel höchstwahrscheinlich in Bedrängnis. Wohin sollten sie denn auch abwandern?<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="734861_image" /></div> <BR /><BR /><b>Kommen durch diesen milden Winter mehr Krankheiten auf, sodass in der nächsten Jagdsaison mehr Abschüsse notwendig sind?</b><BR />Wieser: Milde Winter begünstigen in der Regel das Überleben von Wildtieren. Man darf dabei natürlich nicht vergessen, dass damit auch mehr schwächere Individuen in einer Population überleben. Dies kann in der Folge auch Auswirkungen auf den Bestand haben. Fallwildzahlen müssen im Rahmen der jährlichen Abschussplanungen selbstverständlich mitberücksichtigt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es aber noch zu früh, konkrete Aussagen zu treffen. Ist es im Winter kalt, legen Parasiten normalerweise eine „Ruhepause“ ein. Werden die Winter wärmer, können Parasiten den Winter beinahe „normal“ durchmachen und bringen mehrere Generationen hervor. Generell kann man sagen, dass die Entwicklung von Parasiten bei warmen Temperaturen schneller vonstatten geht. Dadurch verlängern sich Infektionszeiten, und der Infektionsdruck auf Wildtiere nimmt insgesamt zu. Ein gutes Beispiel hierfür sind Zecken: Lag früher die „Zeckengrenze“ bei einer Meereshöhe von etwa 1000 Metern, sind diese Parasiten mittlerweile auf 1700 Metern anzutreffen. Bei der Ausbreitung der Gamsblindheit hingegen spielen Fliegen als Vektoren eine zentrale Rolle, denn durch längere Wärmeperioden verlängert sich auch die Aktivität der Fliegen. <BR /><BR /><b>Und wie sieht es in bestimmten Lagen bzw. exponierten Gegenden unseres Landes aus?</b><BR />Wieser: In diesem Kontext gilt es vor allem die Ausrichtung von Bergflanken bzw. Gebirgsstöcken zu berücksichtigen. Viele Wildtiere finden an südexponierten Hanglagen gute Überwinterungsmöglichkeiten. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Steinhuhn. Es ist auf sonnige Bereiche angewiesen und kommt mit großen Schneemengen nicht gut zurecht. <BR /><BR /><b>Und wie ist das mit den gestörten Winterschlaf bzw. der verhinderten Winterruhe von Murmeltier, Igel & Co. Leiden auch Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung?</b><BR />Wieser: Untersuchungen zeigen, dass die Tageslänge der wesentliche Faktor ist, der die Murmeltiere dazu bewegt, gegen Ende September in den Winterschlaf zu gehen. Allerdings wurde festgestellt, dass Gruppen ohne Jungtiere etwas früher in ihrem Bau verschwinden. Man muss dazu sagen, dass Murmeltiere nicht konstant durchschlafen, sondern im Laufe des Winters immer wieder gemeinsam aufwachen und ihren Stoffwechsel kurzzeitig hochfahren. In der Schlafphase senken Murmeltiere ihre Körpertemperatur bis nahe an den Gefrierpunkt ab. Murmeltiere sind im Winter weitestgehend isoliert von der Außenwelt, das heißt, sie wissen nicht, wie viel Schnee über ihrem Bau liegt. Aus diesem Grund verfügen sie über eine Art „innere Uhr“, die bestimmt, wie lange sie schlafen sollen. Pünktlich nach etwa sechs bis sieben Monaten erscheinen sie wieder an der Oberfläche. Die Außentemperatur spielt insofern eine Rolle, als dass man beobachtet hat, dass Murmeltiere, die in tieferen Lagen, bzw. an südexponierten Hängen ihren Bau haben, etwas früher herauskommen als jene Tiere, die weiter oben überwintern. In den ersten ein bis zwei Wochen nach dem Erwachen paaren sich die Tiere, je früher die Fortpflanzung erfolgt, desto mehr Zeit bleibt den Jungtieren („Affen“), sich über den Sommer Fettreserven für den kommenden Winter anzufressen. Ist der Winter mild, kann man auch davon ausgehen, dass die Wintersterblichkeit von Jungtieren, vor allem im ersten Lebensjahr, geringer ist. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-52812541_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Ein anderes Thema: Haben die Wölfe nun mehr Beute, wenn das Schalenwild geschwächt aus dem Winter hervorgeht?</b><BR />Wieser: Es steht außer Frage, dass große Beutegreifer einen Einfluss auf Wildpopulationen haben. Vor allem, was ihr Verhalten betrifft. Reh, Hirsch und Gams sind in Regionen, wo sich Wölfe aufhalten, viel scheuer und ziehen sich in abgelegene Gebiete zurück. Wie groß der zahlenmäßige Einfluss des Wolfes auf die Dichte des Schalenwildes ist, kann man gegenwärtig nicht abschätzen. <BR /><BR /><b>Wie reguliert das Wild die extremen Schwankungen zwischen harten und milden Winterverläufen?</b><BR />Wieser: Unsere heimischen Wildtiere sind sehr gut an die harschen Bedingungen des Bergwinters angepasst. Das Spektrum dieser Anpassungen ist weitläufig und reicht von „Die Notzeit durchschlafen“, über „Den Stoffwechsel auf das absolut Notwendigste reduzieren“, bis hin zu „Zeit- und gebietsweise abwandern“. Viele unserer heimischen Schalenwildarten, wie das Reh-, Rot- und Gamswild, reduzieren ihren Stoffwechsel, der Körper läuft auf Sparflamme. Dabei werden Herzfrequenz sowie Körpertemperatur in den Gliedmaßen abgesenkt und der Verdauungstrakt an die nährstoffarme Winternahrung angepasst. Die Aktivität dieser Tierarten ist im Winter stark eingeschränkt. Das Gebot der Stunde ist definitiv Ruhe. Werden Wildtiere im Winter aufgeschreckt (z.B. durch Freizeitnutzer), müssen sie ihren Körper schnell auf „Betriebstemperatur“ bringen und sich damit auf eine mögliche Flucht vorbereiten – das kostet Energie. Fluchten im hohen Schnee können dann aufgrund des hohen Energieverbrauches den Tod der Tiere bedeuten.<BR /><b><BR />Wie steht es denn um den Bestand bei Schwarz- und Rotwild?</b><BR />Wieser: Der Schalenwildbestand hat sich in Zentraleuropa in den vergangenen 40 Jahren verdreifacht. Diese starke Zunahme lässt sich mit den stark steigenden Beständen von Schwarz- und Rotwild erklären. In Südtirol ist Schwarzwild (Wildschwein, Anm. d. Red.) aktuell nur vereinzelt anzutreffen, der starke Rotwildzuwachs macht sich aber auch bei uns schon länger bemerkbar. Ist der Lebensraum begrenzt, so kommt es zwangsweise zu interspezifischer Konkurrenz um Nahrung und Lebensraum. Konkurrenzstarke Arten können sich gegenüber schwächeren Arten besser durchsetzen. So wirkt sich etwa das konkurrenzstarke Rotwild negativ auf die Bestände von Rehwild aus. <BR />Birgit Locher<BR /><BR />