Sonntag, 25. Juni 2023

„Festivals sind Orte der Begegnung mit anderen und mit sich selbst“

Simon Feichter vom Dachverband für Offene Jugendarbeit begleitet das Netzwerk der Südtiroler Festivalorganisatoren und die Aktion #southtyrolmusicfestivals. Im Sonntags-Gespräch mit STOL wirft er einen Blick auf die Südtiroler Festivalszene, erklärt, durch welche Stärken sie sich auszeichnet und welche Hürden die Organisationsteams überwinden müssen, damit Musikfans im Land auf ihre Kosten kommen.

Rund 50 Festivals gehen 2023 in Südtirol über die Bühne. - Video: stol

Von:
Philipp Trojer
STOL: Wie ist das Netzwerk „South Tyrol Music Festivals“ entstanden?
Feichter: Schon seit rund 15 Jahren treffen sich die Organisatoren verschiedenster Festivals in Südtirol regelmäßig, um Wissen, Know-how und Informationen auszutauschen. Es gab aber keine offizielle Anlaufstelle, die diese Treffen koordiniert hätte. Mit der Gründung des Netzwerkes wollen wir eine Konstante schaffen, eine offizielle Anlaufstelle, an die sich alle Festivalveranstalter wenden können. Der Dachverband der Offenen Jugendarbeit hat sich als Träger angeboten, da viele Jugendzentren in Südtirol an der Organisation von Festivals beteiligt sind. In meiner Funktion als Koordinator des Netzwerkes begleite ich die Festivals in ihrer Arbeit und vernetze sie untereinander. Es handelt sich dabei hauptsächlich um ehrenamtlich organisierte Veranstaltungen die durch das Netzwerk Zugang zu Informationen und Know-how erlangen und wichtige Unterstützung in allen Belangen erhalten.

STOL: Wie viele Festivals finden 2023 in Südtirol statt?

Feichter: In unserem Festivalkalender bieten wir einen umfassenden Überblick über das Festivalangebot in Südtirol: Heuer sind dort knapp 50 Festivals aufgelistet. Rund 30 davon sind in unserem Netzwerk aktiv. Wer dabei sein möchte, kann sich einfach per E-Mail oder unsere Kanäle auf den Sozialen Medien. Informationen gibt es auch auf unserer Website.



STOL: Wie sieht das Festivalangebot in Südtirol konkret aus?

Feichter: Das Angebot in Südtirol zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus: Von Rock, Metal oder Reggae über Elektro, Techno bis hin zu Jazz ist für jeden Musikgeschmack etwas dabei. Einige, wie Rock im Ring am Ritten, gibt es schon seit Jahrzehnten, aber auch ganz neue Festivals kommen immer wieder hinzu. Darüber hinaus bieten viele Festivals in Südtirol ein spannendes Rahmenprogramm. So legen viele Musikveranstaltungen auch großen Wert auf Kunst, wie etwa das ArtMaySound in Bozen oder das Asfaltart in Meran, bei dem Straßenmusik und Straßenkunst im Vordergrund stehen. Auch bei den Festivalformaten gibt es in Südtirol viel Abwechslung: Vom Rockfestival am Wochenende mit eigenem Campingplatz über Tagesveranstaltungen bis hin zu Formaten wie dem Jazzfestival, das über mehrere Wochen an verschiedenen Orten stattfindet. Das ganze Land ist mit großen und kleinen Veranstaltungen abgedeckt, von Taufers im Münstertal bis Toblach, von Sterzing bis ins Unterland.

Südtiroler Festivals haben ein sehr familiäres Flair, die Besucher kennen sich zum Teil schon seit Jahren, es ist wie „nach Hause kommen“.
Simon Feichter, Dachverband für Offene Jugendarbeit


STOL: Was zeichnet die Südtiroler Festivallandschaft aus?

Feichter: Die Festivals in Südtirol haben es natürlich schwer, mit den ganz Großen - wie Rock im Park oder Nova Rock - in Deutschland und Österreich mitzuhalten. Das sind ganz andere Größenordnungen mit Hunderttausenden von Besuchern. Solche Festivals sind organisatorisch und finanziell sehr schwer zu stemmen. In Südtirol gibt es viele kleinere Festivals, die trotzdem oder gerade deshalb seit Jahren gut funktionieren. Diese haben ein sehr familiäres Flair, die Besucher kennen sich zum Teil schon seit Jahren, es ist wie „nach Hause kommen“.

STOL: Was steht auf der To-Do-Liste, wenn man ein Festival organisieren will?
Feichter: Am Anfang steht immer eine Idee: Es ist wichtig, mit einer klaren Vision zu starten. Wo soll das Festival stattfinden? Welche Musik soll gespielt werden? Was soll dem Publikum geboten werden? Welche Erwartungen weckt der Name des Festivals? Welche Botschaft soll hinter dem Festival stehen? Welche Zielgruppe soll angesprochen werden? Sind diese konzeptionellen Fragen geklärt, geht es an die Umsetzung: Der Termin muss festgelegt, das Budget geplant, die Location reserviert und eventuell an die Veranstaltungsbestimmungen angepasst, Genehmigungen eingeholt werden. Die Kommunikation nach außen sollte frühzeitig beginnen, kreative Marketinginitiativen sind gefragt. Natürlich sollten auch die Bands so früh wie möglich gebucht werden. Wenn diese Vorarbeit geleistet ist und das Festival stattfindet, gilt es, den gesamten Aufbau zu planen und durchzuführen, wofür viele helfende Hände benötigt werden. Das Catering muss organisiert werden, die Security muss bereitstehen und vieles mehr. Die arbeitsintensive Organisation eines Festivals wird in Südtirol fast ausschließlich von Freiwilligen geleistet. Dabei ist es wichtig, dass sich eine Gruppe findet, die eine gemeinsame Leidenschaft teilt und Spaß und Lust an der gemeinsamen Arbeit hat. Die meisten, die schon einmal ein Festival organisiert haben, haben danach wahrscheinlich gesagt: „Das mache ich nie wieder“. Und doch findet im nächsten Jahr wieder eine Festivalausgabe statt, weil die Leidenschaft größer ist als der Aufwand. Bei all diesen Schritten kann der gesammelte Erfahrungsschatz unseres Netzwerkes helfen.

Die meisten, die schon einmal ein Festival organisiert haben, haben danach wahrscheinlich gesagt: „Das mache ich nie wieder“. Und doch findet im nächsten Jahr wieder eine Festivalausgabe statt, weil die Leidenschaft größer ist als der Aufwand.
Simon Feichter, Dachverband für Offene Jugendarbeit


STOL: Die vergangenen Jahre waren pandemiebedingt sehr schwierig für Festivalorganisatoren. Hat diese Zeit bis heute Spuren hinterlassen?
Feichter: Die Pandemie hat natürlich Spuren in der gesamten Gesellschaft hinterlassen. Die Folgen werden jetzt von der Wissenschaft aufgearbeitet. Als Netzwerk konnten wir der Pandemie trotz aller Schwierigkeiten auch etwas Positives abgewinnen: Wir sind noch enger zusammengerückt, das Bedürfnis, sich untereinander auszutauschen und gemeinsam nach Lösungen und Alternativen zu suchen, ist in dieser Zeit sehr stark gewachsen. Die sich ständig ändernden Bestimmungen waren natürlich eine große Herausforderung und machten die Planung von Veranstaltungen fast unmöglich. Dennoch gab es viele Veranstalter, die auch während der Pandemie nach Möglichkeiten suchten, den Kulturbetrieb wieder in Gang zu bringen: Mit Online-Konzerten oder bestuhlten Konzertvarianten. Andere Festivals haben die Zwangspause genutzt, um sich neu zu strukturieren und zu positionieren. Leider gibt es aber auch Festivals, denen in den 2 Jahren des Stillstands der Schwung und die Begeisterung abhandengekommen sind. Im vergangenen Sommer konnten die Festivals endlich wieder ohne Einschränkungen unter normalen Bedingungen stattfinden. Dieses Angebot wurde von den Besuchern wieder gut angenommen, weshalb wir positiv auf die vergangene Festivalsaison zurückblicken können.

Ein Festival ist ein Ort, an dem die unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen, um gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen, Spaß zu haben und die Leidenschaft für die Musik zu teilen.
Simon Feichter, Dachverband für Offene Jugendarbeit


STOL: Heuer stehen rund 50 Festivals im Kalender. Es gab aber auch Jahre, in denen es über 60 waren. Aus welchen Gründen finden Festivals nicht mehr statt?
Feichter: Die Anzahl der Festivals variiert jedes Jahr. Im Jahr 2022 waren es zum Beispiel auch rund 60 Veranstaltungen, weil viele nach den Absagen während der Pandemie nachgeholt wurden. Auch heuer kann es sein, dass weitere Festivals dazukommen. Ich sehe also nicht schwarz für die Südtiroler Festivalszene. Man muss aber auch feststellen, dass es durchaus Festivals gibt, die nach jahrelangem Bestehen nicht mehr durchgeführt werden. Die Gründe dafür können natürlich vielfältig sein: etwa das finanzielle Risiko, bürokratische Hürden oder auch, dass das Publikum für ein bestimmtes Genre wegbricht. Meist hängen Festivals aber sehr stark von den Menschen ab, die das ganze Jahr über hinter den Kulissen hart arbeiten, damit alles reibungslos über die Bühne gehen kann. Es kommt vor, dass sich die Lebenssituation dieser Freiwilligen nach jahrelanger ehrenamtlicher Arbeit ändert und sie nicht mehr die Zeit und Energie finden, eine neue Festivalausgabe zu organisieren. Wenn dann keine neue, junge und motivierte Gruppe nachrückt, bedeutet dies das Aus für das Festival. Es gibt aber auch Festivals, die nach Jahren wiederbelebt werden.

STOL: Welche Bedeutung haben Festivals für die Gesellschaft in Südtirol?
Feichter: Wir haben im vergangenen Jahr einen kurzen Film gedreht, in dem wir Festivalbesuchern genau diese Frage gestellt haben. Dabei haben wir oft ähnliche Antworten bekommen: Ein Festival ist ein Ort, an dem die unterschiedlichsten Menschen zusammenkommen, um gemeinsam eine gute Zeit zu verbringen, Spaß zu haben und die Leidenschaft für die Musik zu teilen. Gerade während der Pandemie haben sich immer tiefere Gräben in unserer Gesellschaft aufgetan, da kann man nur betonen, wie wichtig es ist, dass es auch Anlässe gibt, die uns wieder näher zusammenbringen. Festivals sind aber nicht nur Orte der Begegnung mit anderen, sondern auch mit sich selbst. Gerade für junge Menschen kann es ein einschneidendes Erlebnis sein, eine Band oder einen DJ auf der Bühne zu sehen und festzustellen: „Das ist meine Musik, das ist meine Szene - hier fühle ich mich zu Hause.“ Auf Festivals können Jugendliche Input und Eindrücke für ihre Identitätsfindung sammeln, sich ausprobieren und neue Leute kennen lernen: Das können Gleichgesinnte sein, denen sie im Alltag vielleicht nicht so oft begegnen, aber auch ganz neue Realitäten, die ihren Horizont erweitern. Außerdem bieten Festivals die Möglichkeit, für ein paar Tage dem Alltag zu entfliehen und die alltäglichen Sorgen und Probleme hinter sich zu lassen. Gerade in Krisenzeiten kann ein solcher Zufluchtsort sehr heilsam sein.

#southtyrolmusicfestivals ist eine Aktion von rund 50 Organisatoren Südtiroler Musikfestivals, die seit über 10 Jahren als Netzwerk organisiert sind. Durch Dialog und Zusammenarbeit werden Kulturvisionen weiterentwickelt und Experimentierfelder für die Entfaltung kreativer Ausdrucksformen geschaffen.

Im vergangenen Jahr hat das Netzwerk einen Kurzfilm zur Festivalszene in Südtirol gedreht.

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