<b>Von Eva Bernhard</b><BR /><BR />Seit dem 16. Jahrhundert wird Essen im Stillleben nicht nur nach ästhetischen Aspekten behandelt, sondern im metaphorischen Sinn zum Ausdruck für Körperlichkeit und Leben, Vergänglichkeit und Tod. Seit den 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts wird Essen vermehrt zum künstlerischen Medium und die Ver- und Bearbeitung von Nahrungsmitteln integrierender Bestandteil künstlerischer Arbeit. Nun hat der Südtiroler Künstlerbund in Zusammenarbeit mit dem Hoteliers- und Gastwirteverband (HGV) 25 Künstler und Künstlerinnen dazu bewogen – inspiriert von ihrem Werk – ein Gericht zu kreieren. Lisa Trockner, Projektleiterin und Geschäftsführerin des Künstlerbundes erklärt, wie dieses „Kunst-Koch-Buch“ entstand. <BR /><BR /><b>Was beabsichtigen Sie mit diesem Projekt?</b><BR />Lisa Trockner: Die Idee, ein Kochbuch von Künstlern – inspiriert von ihren Werken – zu machen, schwebt mir schon lange vor. Sei es das Schaffen von Kunstwerken als auch das Kochen eines Gerichtes sind kreative Prozesse. Künstlerinnen experimentieren mit unterschiedlichen Materialien und Techniken. Bei diesem Projekt hat mich vor allem interessiert, wie sie ihre künstlerische Praxis auf das Kochen übertragen und was daraus entsteht. Das Spannende ist, dass im Buch nicht nur das fertige Gericht, sondern der gesamte Denk- und Umsetzungsprozess vom Kunstwerk bis zum Gericht von Fotos und Texten von Eva Gratl und den Künstlern selbst dokumentiert und nachverfolgbar ist. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56896086_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Sie kennen die Künstler und Künstlerinnen, die mitgemacht haben, schon seit langem. Welche neuen unerwarteten Aspekte ihrer Persönlichkeit haben Sie durch deren „Koch-Kunst“ entdeckt?</b><BR />Trockner: Die fertigen Gerichte sind so unterschiedlich wie die Persönlichkeiten und ihre Arbeitsweisen selbst. Beeindruckend ist, wie authentisch die Gerichte sind. Die Art, wie die Künstler und Künstlerinnen arbeiten, widerspiegelt sich auch in ihren Rezepten. Ideen, Konzepte, Techniken, relevante Themen sind optisch und geschmacklich erkennbar. Einige haben visuelle Parallelen zu ihren Arbeiten gezogen, wie etwa Sissa Micheli, die ein Faltengericht aus dunklen Crêpes kreiert. Andere drücken die Verbindung zu ihrer Kunst über das Material aus, so gart Aron Demetz sein duftendes Pilzgericht in einem Aktivkohlesalzteig. In Hubert Kostners Obstsalat ist die kubische Form der Früchte der Anknüpfungsmoment zu seinen Holzobjekten. Claudia Corrent fängt, ähnlich wie in ihren Fotoarbeiten, den Geschmack Venedigs ein.<BR /><BR /><b>Sie sprechen von der Herausforderung, der sich der Künstlerbund immer wieder stellt, Kunst aus ihrer Isolation herauszuholen und in den Alltag der Menschen hineinzuführen. Mit diesem Buch scheint dies gelungen zu sein…</b><BR />Trockner: Kunst hat die Fähigkeit, in allen Bereichen des Lebens einzudringen und durch ihre bloße Präsenz einen Mehrwert zu schaffen. Regelmäßig konzipieren wir im Künstlerbund Projekte, bei denen Kunst Teil des alltäglichen Lebens wird. Das Kochbuch verbindet 2 Bereiche, die üblicherweise nicht direkt in Verbindung stehen: das Kochen und die Kunst. Sich fremde oder gar gegensätzliche Ansätze zusammenzubringen, ist Nährboden für Innovation und mehr Sichtbarkeit durch eine ausgedehnte Reichweite. <BR /><BR /><b>Man sagt: Kochen ist Kunst. Inwiefern weisen Ihrer Meinung nach die beiden Bereiche Parallelen auf?</b><BR />Trockner: Es sind beides hoch kreative Tätigkeiten. Beide, sei es das Produzieren von Speisen als auch das Produzieren von Kunst verlangen einen sorgfältigen Umgang mit Ressourcen und das Beherrschen von Fachkompetenzen, sowie viel Gespür. Die Küche eines Landes sowie auch die Kunst eines Territoriums sind identitätsstiftend und Botschafter des Herkunftsortes. Das Beste daran ist, dass sowohl das Konsumieren von Kunst als auch von Speisen ein Hochgenuss sein kann. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56898380_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Trends, Moden, Kulturwandel drücken sich in den Gerichten aus. Das Buch kann also auch als Spurensuche verstanden werden…</b><BR />Trocker: Künstler werden oft als Seismografen, als Detektoren ihrer Zeit bezeichnet. Mit ihren Werken werfen sie einen kritischen Blick auf die Gegenwart. Dieser Blick ist gespeist aus der Recherche von historischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten, sowie dem unter die Lupe Nehmen von gesellschaftlichen Veränderungen. Aus diesem Gesichtspunkt heraus, kann aus dem Buch mit seinen Gerichten und den dazugehörigen Beschreibungen der Künstlerinnen viel über den Status Quo und Tendenzen der Jetztzeit herausgelesen werden.<BR /><BR /><b>Die künstlerische Arbeit ist geprägt von Farbe, Form, Harmonie im eigenen Werkschaffen. Die kulinarischen Werke sind Spiegel davon. Welche haben Sie überrascht?</b><BR />Trockner: Ich hatte das Glück, beim Kochen dabei zu sein und die Prototypen zu probieren. Es gab einige Gerichte, die mich überrascht haben, die ich nicht kannte oder zumindest in dieser Form noch nie gegessen habe. Manche sind wahre Kunstwerke geworden, andere lehnen sich an bekannte Gerichte an und erhalten durch die Hände der Künstler neue Noten. <BR /><BR /><b>Die 25 Künstler und Künstlerinnen haben Suppen, Nudeln, Braten, Fisch, Gemüse in kreativsten Varianten gekocht. Ihnen zur Seite stand der Sternekoch Herbert Hintner, hat er dafür gesorgt, dass die Gerichte auch nachgekocht werden können?</b><BR />Trockner: Herbert Hintner war bei allen 4 Kochsessions im Gustillier des HGV anwesend, hat die Künstler beobachtet, begleitet und ist mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Künstlerinnen und Sternekoch haben sich aufeinander eingelassen, sodass ein lebhafter Austausch mit spannenden Diskussionen, viel Humor und so manchem Kopfschütteln angeregt wurde. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56898385_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Passend zum Buch sind auch die Artist Plates entstanden. Was hat es mit den Tellern auf sich?</b><BR />Trockner: Während die Gerichte durch das Verspeisen wieder verschwinden, bleiben die Artist Plates. Es sind dies limitierte Editionen von Tellern, die von den 25 Künstlern gestaltet wurden. Entstanden sind 4 verschiedene Sets zu je 6 Tellern von je 6 verschiedenen Künstlerinnen. Die Auflage ist auf jeweils 12 signierte und nummerierte Teller pro Künstler limitiert. Die eigens gefertigten und/oder adaptierten Werke der Künstler sind als Foliendruck auf weißem französischen Porzellan aus Limoges gedruckt und im Einbrandverfahren bei 900 °C im Ofen gebrannt. Die Teller eignen sich sowohl für den Gebrauch als auch als Sammlerstücke.<BR /><BR /><b>Ein spartenübergreifendes Projekt ist also entstanden, daran arbeitet der Künstlerbund zunehmend: Vermengt Kultur mit Wirtschaft, Wissenschaft, Sozialem und Tourismus. Welche wertvollen Erfahrungen haben Sie bereits gesammelt.</b><BR />Trockner: Das Ineinandergreifen von unterschiedlichen Bereichen ist bereichernd für alle Beteiligten. Es hilft alte Denkmuster aufzubrechen, neue Sichtweisen und Techniken zuzulassen, unter der Oberfläche zu kratzen und Synergien zu nutzen. Viele der entwickelten Konzepte funktionieren gut, immer wieder sind wir auch gescheitert. Das Wichtigste ist, dass man nicht aufhört, diese Kooperationen zwischen Kunst und anderen Sektoren zu fördern. Das Interesse für Kooperationen mit der Kunst nimmt stetig zu und wächst allmählich zu einem Wirtschaftsfaktor heran. Unternehmen und Institutionen erkennen den Mehrwert Kunst. So haben unsere Mitglieder mit Salewa eine Kollektion, Müllobjekte für die Plose AG, Socken für Wams, Kunsteditionen für den HGV, Stühle für die Kaufleute von BZH in Bozen, Tragetaschen für die Kaufleute in Brixen, die Visualisierung des Leitbildes der Raika Brixen und vieles mehr entwickelt. Das Potential Kunst ist unerschöpflich.<BR /><BR /><b>Eine Frage am Rande: Welches Gericht werden Sie nachkochen?</b><BR />Trockner: Noch viele, bisher habe ich den Polpettone Ligure von Elisabeth Hölzl nachgekocht. Schmeckt vorzüglich! <BR /><BR /><BR /><i>Buchtipp: „Was isst Kunst. Koch- rezepte Südtiroler Künstler*innen“, Hrsg. Südtiroler Künstlerbund, Verlag Athesia 2022, 168 Seiten. <BR />Bestellen: www.athesiabuch.it</i><BR /><BR /><BR />