Das Thema von zerstörten Kulturgütern durch radikalisierte Gruppierungen ist brandaktuell, und so schreibt Hermann Parzinger, Autor der Publikation „Verdammt und vernichtet“, „die Geschichte ist voller schrecklicher Beispiele“. Die aktuellen Ereignisse und Bilder aus Afghanistan sind Anlass über Kulturzerstörungen nachzudenken und einige wenige Beispiele zu präsentieren. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677708_image" /></div> <b>Sinnbild für freies Denken und identitätsstiftend</b><BR /><BR /><BR />2001 ging ein Aufschrei durch die westliche Welt. Hautnah erlebte man, die sozialen Medien machten es möglich, die Sprengung der <b>Buddha-Figuren</b> von Bamiyan mit. Tonnen von Sprengladungen lösten ein Kulturerbe in Schutt und Asche auf. Die Museen geplündert, Kunstschätze aus Afghanistan ins Ausland verkauft, Kulturstätten vernichtet. Bamyjan und die Taliban, schreibt Parzinger, sei ein performativer Ikonoklasmus, neu in der Geschichte und seit dem neuen Jahrtausend vielfach angewendet. <BR /><BR />Wie kann man Barbarei in die Welt verschicken? Die Medien machen es möglich und die talibanische Herrschaft hatte ihren großen Auftritt. Bamiyan steht für Unterdrückung von Kunst, und diese hat eine lange, schreckliche Tradition. Bamiyan bietet aber auch Gelegenheit, über geschichtliche Zusammenhänge nachzudenken und Gründe für Kulturvernichtungen und Zerstörungen differenzierter zu betrachten. Die Buddhastatuen aus dem 6. Jahrhundert, UNESCO Weltkulturerbe, 55 bzw. 38 m hoch, befanden sich in einem vom Volksstamm der Hazara besiedelten Gebiet. Diese ethnische, schiitische Minderheit bewohnt das gebirgige Zentralhochland und wird seit langem verfolgt. Die Buddhastatuen werfen aber auch einen Blick auf die großen Religionen des Ostens und die Bilderfrage.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677711_image" /></div> <BR /><BR />Im 7. Jahrhundert trat die Islamisierung ihren Siegeszug im Nahen Osten an und mit ihr auch ein Bilderverbot. Allerdings blieben die Buddha Statuen lange unbehelligt, erst die Taliban Herrschaft sah sie als blasphemisch an und es begann ein regelrechter <i>„Kreuzzug der Taliban gegen die buddhistische Kultur Afghanistans“</i> (Parzinger). <BR /><BR />Mitverantwortlich – so der Autor – seien aber auch die 1999 erlassenen Handelssanktionen von Seiten der USA. Deren Folgen: Ein Volk in Hungersnot, und ein großer Zorn auf die westliche Welt, welche für Weltkulturerbe steht. In den 20 Jahren des Wiederaufbaus und der Nato-Unterstützer hoffte man, die Buddha Statuen zu rekonstruieren. Was jetzt daraus wird, steht in den Sternen. Tausende von Steinchen der Sprengung wurden gesichert, dokumentiert, Diskussionen, ob die zerstörte Kulturstätte als Mahnmal stehen bleiben sollte oder die Buddha Statuen wieder teilweise zusammengesetzt werden sollen, geführt. <BR /><BR /><BR />Jetzt bewahrheitet sich wieder Heines Satz: Kultur ist identitätsstiftend, sie bedeutet Heimat und auch sie unterliegt unglaublichen Gräueltaten. Kultur ist auch ein Sinnbild für freies Denken und war Besatzern, Eroberern und religiösen Eiferern immer Anlass für unglaubliche Wut. Da Kulturgüter das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, müssen sie beseitigt werden, sie stehen für Geschichte und auch Nation, sie bilden den Erinnerungsfaden, der Menschen auch Halt geben kann. <BR /><BR /><BR />Die Buddhastatuen sind das prominenteste Beispiel in Afghanistan, der Weltöffentlichkeit bekannt, gleichzeitig wurden unter der Talibanherrschaft und auch in den folgenden Jahren nach der Befreiung abertausende Kunstwerke ins Ausland verscherbelt. Es ist dies auch ein Mittel, sich mit antiken Kunstschätzen zu finanzieren. Parzinger spricht von <i>„indirekter Vernichtung von Kulturgütern, die für Kriminelle und Aufständische zunehmend attraktiv geworden ist (S. 289)“</i>. <BR /><BR />„Ausverkauf“ ist das Schlagwort, Enteignung, Konfiszierung. Jedenfalls wurden und werden Lastwagen voll wichtiger antiker Schätze aus den Kulturstätten in Afghanistan und Irak ins Ausland verfrachtet und landen auf den internationalen Auktionen. Eben gestern hat die norwegische Polizei hat bei einem Sammler im Südosten des Landes fast 100 archäologische Objekte aus Mesopotamien beschlagnahmt.<BR /><BR /><BR /><b>Zeitgenössische Kunst aus Afghanistan</b><BR /><BR /><BR />Auch was aus der zeitgenössischen Kunst in Afghanistan wird, kann man nicht abschätzen. Sie ist stark westlich geprägt, und als die Taliban an die Macht kamen, wurden viele der Werke aus der Nationalgalerie für afghanische Kunst in Kabul vernichtet und die Galerie geschlossen. Zu den wichtigen zeitgenössischen Künstlern des Landes gehört <b>Khadim Ali</b>, der heute in Australien lebt. Er war Zeuge der Bamiyan Sprengung. 2012 gelang es der damaligen Documenta Chefin <b>Carolyn Christov Bakargiev</b> in Kabul geleichzeitig mit Kassel eine Schau zu eröffnen, die auch der zeitgenössischen afghanischen Kunst eine Plattform bot. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677714_image" /></div> <BR /><BR />Um Kunst zu retten, übermalte der Arzt und Restaurator <b>Mohammad Yusuf Asefi,</b> während der ersten Taliban Herrschaft Bilder mit wasserlöslicher Farbe. So konnten Darstellungen mit Menschen und Tieren vor dem Bildersturm der Eiferer gesichert werden. Fast unbekannt ist, dass der italienische Künstler <b>Angelo Boetti</b> von 1971 bis zum Einfall der sowjetische Armee 1979, in Kabul in einem von ihm erworbenen Gebäude das „Hotel One“ etablierte, einen Ort für Kunstprojekte für sich und andere. Seine Stickbilder, „Mappa“, die von afghanischen Frauen angefertigt wurden, zeugen davon.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677717_image" /></div> <BR /><BR />Die Herrschaft der Taliban ist gekennzeichnet durch die Farbe schwarz, schwarz ist die Verhüllung, schwarz ist auch die Kunst, wenn sie, vernichtet oder totgeschwiegen wird. <BR /><BR /><BR /><b>Beispiel Palmyra</b><BR /><BR /><BR />Die Sprengung der Statuen und die Vernichtung von kulturellen Zeugnissen bezeichnet Parzinger als „kulturelle Hassverbrechen“. Weitere Beispiele sind ab 2014 auch die Auslöschung der Zeugnisse der assyrischen und christlichen Kunst in Syrien und im Irak. Zu erwähnen ist die Zerstörung durch den IS der Bibliothek der Stadt Mossul, die Sprengung von Moscheen, die Auslöschung von Kulturerbe vor allem in <b>Ninive, Nimrud und Hatra.</b> Es geht dabei um das vorislamische Erbe, <BR /><BR />Ninive, die Stadt am Ostufer des Tigris und im 7. Jahrhundert Hauptstadt des Großreiches der Assyrer beherbergte die Königsresidenzen. Die Vernichtung wurde von den religiösen Eiferern wieder akribisch filmisch dokumentiert, den Höhepunkt bildete die Zerstörung des Baals Tempels von Palmyra 2015. Sie war einst eine wichtige Oasenstadt und lag an einer strategisch bedeutenden Handelsstraße. Khaled al-Assad, der Chef-Archäologe, wurde enthauptet, das schreckliche Bild online sichtbar. Die Tötung als Medienevent.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677720_image" /></div> <BR /><b>Freiheit und Schutz von Kunst und Kultur</b><BR /><BR />Ikonoklasmus ist also ein ständiges Thema der menschlichen Geschichte. Beispiele aus der Reformation, der Französischen Revolution, aus der Kolonialzeit, während der Oktoberrevolution, unter der maoistischen Herrschaft und in der islamischen Welt ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Höhepunkt sind auch die Verfolgung der jüdischen Kultur, die Bücherverbrennungen während der NS Zeit und die Vernichtung von sogenannter „entarteten Kunst“. Der unvergleichliche Bildersturm der Nationalsozialisten belegt, dass Bilder wohl Macht und auch Freiheit in sich bergen. Von ihnen geht anscheinend auch eine Macht aus, welche jene der Zerstörer bedrohen kann.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677723_image" /></div> <BR /><b>Girolamo Savonarola</b> (1452–1498), der Dominikanermönch und blendender Prediger aus Florenz war einer der größten Schurken der Kunstgeschichte. Durch seine Reden gegen die Korruption der katholischen Kirche und jene der Medici gelang es ihm, zum Leader der Florentiner Republik aufzusteigen, das er als neues Jerusalem sah. Unter seiner Herrschaft wurde Kunst, die seinen puritanischen Standards nicht entsprach, systematisch vernichtet. In lodernden Flammen ging unwiederbringliches Kulturerbe zugrunde. Botticellis Primavera und seine Venus „überlebten“, weil sich die Bilder in der Residenz der Medici außerhalb von Florenz befanden. <BR /><BR /><BR /><b>Offene Fragen eines komplexen Themas</b><BR /><BR /><BR />Was richten Menschen an? Wozu sind sie fähig? Was kann, was darf zerstört werden? Ist es gerechtfertigt, an zerstörte Kultur und Bildwerke zu denken, über sie zu schreiben, angesichts der Not von Menschen, ihrer Vertreibung, ihrer Tötung? Woran sollen wir uns erinnern? Für wen ist Kultur identitätsstiftend? Viele Fragen wirft nicht nur das Buch auf, es lohnt sich auch über vielleicht weniger prominente Beispiele nachzudenken. <BR /><BR /><BR />Jedenfalls ist die Macht der Bilder, der kulturellen Werke groß, denn in jüngster Zeit werden sie auch bei uns abgehängt, wenn sie Gefühle verletzen, Demonstranten stürmen in den USA Symbole kolonialer Macht, auch Dichter müssen vor Angriffen extremistischer Eiferer geschützt und in Museen verletzen Bilder anscheinend die Gefühle ganz unterschiedliche Gruppen.<BR /><BR /><BR /><b>Absichtsvolle Zerstörung</b><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677726_image" /></div> <BR />Erst im Mai wurde ein Kunstwerk der Tiroler Künstlerin <b>Katharina Cibulka</b> in Ljubljana zerstört. Cibulka ist bekannt für ihre feministischen Aussagen, sie ist auch Filmemacherin und Projektentwicklerin für künstlerische und nachhaltige Prozesse. Ein großes Banner, mit Schrift bestickt, hängt zurzeit auch über der Franzensfeste, gut sichtbar für alle. Die Künstlerin fordert Gleichberechtigung ein, stellt Aspekte des Feminismus und der sozialen Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihres Schaffens. Ihre „Solange“ Netze hängen in verschiedenen Orten. Für Südtirol gestaltet sie zum ersten Mal eine Kunstinstallation mit dem provokanten Spruch: „As long as it takes balls to get to the top, I will be a feminist“. In der slowenischen Hauptstadt wurde ihr Kunstwerk zerstört. „Solange die Hoffnung, die wir verbreiten, größer ist als die Angst, der wir uns gegenübersehen, werde ich ein Feminist/eine Feministin sein“.<BR /><BR />Die Pole Hoffnung und Angst und die Reaktion darauf: Unbekannte setzten das Spruchband in Brand. Das Land Tirol hat die Künstlerin heuer besonders geehrt, im Herbst wird ihr der Preis für zeitgenössische Kunst des Landes Tirol überreicht.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677729_image" /></div> <BR />Heftige Reaktionen rief auch ein Kunstwerk von <b>Ursula Beiler</b> hervor, welches diese an der Autobahn in Tirol 2008 installiert hatte. Das berühmte „Grüß Göttin“ Schild sorgte für ungemeinen Wirbel, es wurde entfernt, übermalt, die Buchstaben verändert, aus „Grüß Göttin“ wurde, nachdem es von der Autobahn entfernt worden war und an einem Kreisverkehr aufgestellt wurde, „Grüß Hötting“ und vieles mehr. Kunst im öffentlichen Raum ist ein Thema, das die Gemüter erregt, passend dazu forderte die Künstlerin alle auf, mitzudiskutieren, die Rückmeldungen und vielen Briefe, die Veränderungen und Übermalungen wurden auch gesammelt.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677732_image" /></div> <BR /><div class="img-embed"><embed id="677735_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Auch die Bronzefiguren des Gadertaler Künstlers <b>Lois Anvidalfarei</b> vor der Stiftskirche in Wilten in Innsbruck fielen einem Vandalenakt zum Opfer. Im Rahmen der Initiative Kunstraum Kirche wurden sie 2012 vor der Wiltener Basilika aufgestellt, nackte hängende männliche Körper, welche das Leid der Menschen symbolisierten und uns daran erinnern sollten, dass die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Das geschah tatsächlich vor Ort mit dem Kunstwerk, die 3 an einem Seil hängenden Körper schnitt man einfach ab. „Ecce Homo“ betitelte der Künstler die Figurengruppe, seht, was Menschen anrichten, könnte sie nach dem Akt der Zerstörung heißen. <BR /><BR /><BR /><BR />Kultur und Kunst und ihre Freiheit: Parzingers spannendes Buch zeigt, dass beide Zielscheiben von Zerstörung sind. Ihre Geschichte, schreibt er mit einem Hauch Pessimismus, sei nicht zu Ende geschrieben und er appelliert an eine Bewusstmachung, weil „Kunst und Kultur und ihre Freiheit nicht verhandelbar sind“. Hoffentlich, denkt man, verhallt dieser Ruf nicht in der Wüste.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677738_image" /></div> <b>Buchtipp:</b> Hermann Parzinger, Verdammt und Vernichtet. Kulturzer- störun- gen vom Alten Orient bis zur Gegenwart, C.H. Beck Verlag 2021<BR />Bestellen: www.athesiabuch.it<BR /><BR />