Samstag, 14. Oktober 2023

Tablet statt Schulbuch? Blick   ins Klassenzimmer 2.0

Einst reine Utopie, heute Alltag: digitale Medien im Unterricht. Die Diskussion darüber spaltet die Gemüter. Wie ein Schwarz-Weiß-Denken verhindert werden kann und warum Schüler die digitale Schule mit ganz trivialen Problemen konfrontiert sehen. Von Miriam Roschatt

Digitale Medien im Unterricht sind heute Alltag. - Foto: © Shutterstock / shutterstock

Das gute alte Schulbuch. Mittlerweile altbacken? Kugelschreiber, Stifte und Füller. Bald überflüssig? Smartboards (Anm.: mit PC oder Laptop verbundene, interaktive digitale Tafeln) – die neue Alternative zu Tafel und Kreide?

Die Diskussion rund um die Digitalisierung des Unterrichts entfacht neu – und reicht gleichzeitig weit zurück: „Alarm in den Schulen: Die Computer kommen“, titelte etwa „Der Spiegel“ in einer Ausgabe aus dem fernen Jahr 1984 (Nr.47/18.11.1984). Von einer zukünftigen „Bildungskrise“ und von „technischen Analphabeten“ ist im Artikel die Rede, und das nur, weil die damaligen Kulturminister einen einzigen Computer pro Schule forderten.

Nun, die große, befürchtete „Revolution im Unterricht“ ist vielleicht nicht so schnell eingetreten, wie vom „Spiegel“ prognostiziert. Jetzt, 40 Jahre später, scheint der digitale Unterricht aber Fahrt aufzunehmen: Zahlreiche Schüler in Südtirol nutzen im Unterricht Laptops zum Lesen und Schreiben. In einigen Klassen der Wirtschaftsfachoberschule H. Kunter in Bozen stehen sogar schon digitale Tafeln. Auch in Grundschulen werden den Schülern mittlerweile einfache digitale Aufgaben erteilt, „damit sie das Gefühl bekommen, dass Laptops und Smartphones nicht Maschinen sind, die einen beherrschen, sondern von Menschen gesteuerte Dinge“, so Landesschuldirektorin Sigrun Falkensteiner.

Der krasse Gegensatz dazu findet sich über 1700 km Luftlinie von Südtirol entfernt, in Schweden: Dort sprach sich im März die liberal-konservative Bildungsministerin Lotta Edholm gegen Laptops und für mehr Schulbücher aus, nachdem Grundschüler beim letzten internationalen Lesekompetenztest PIRLS (2021) schlechter abgeschnitten hatten, als Kinder fünf Jahre davor. Wieder anders sieht es hingegen Uta Hauck-Thum, Professorin für Grundschulpädagogik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

In einem Interview mit dem „Deutschen Schulportal“ der Robert Bosch Stiftung betonte sie letzthin, dass sich Leseförderung heute nicht nur auf Bücher konzentrieren sollte. Da drängt sich die Frage auf: Was ist jetzt also „richtig“? Und: Können Laptops überhaupt noch völlig aus dem Unterricht „verbannt“ werden?

Analog vs. digital? Trennen geht nicht (mehr)

Fakt ist: Die Digitalisierung entwickelt sich so rasant weiter, dass sich die Frage nach dem „Wie geht digitale Schule?“ mehr denn je aufdrängt.

Ein interessanter Aspekt in der öffentlichen, medialen und politischen Debatte ist: Damals wie heute werden analoges und digitales Lernen gerne gegeneinander ausgespielt. Einerseits nachvollziehbar, andererseits sei das Schwarz-Weiß-Denken bei der enormen Komplexität des Themas nicht förderlich, betont Cristina Corbetta, Italienischprofessorin an der Fachoberschule für Wirtschaft, Grafik und Kommunikation in Brixen sowie eine der Zuständigen für die digitale Unterrichtsentwicklung in der Pädagogischen Abteilung des Landes Südtirol: „Vielleicht geht diese Schwarz-Weiß-Malerei auch darauf zurück, dass wir immer noch zwischen ‚Online-Leben‘ und ‚realem Leben‘ unterscheiden.“ Dass diese Denke nicht mehr der Realität entspricht, finden auch die Schüler Raphael Mittelberger (19) und Lukas Schwienbacher (18), beide Mitglieder der Digitalisierungsgruppe des Landesbeirats der Schüler.

Cristina Corbetta, Oberschulprofessorin

Einbindung bedeutet nicht Ersatz

„Wir leben mittlerweile in einer digitalen Welt“, sagt Mittelberger, der Vertreter der Digitalisierungsgruppe. Die Frage „Digitale Geräte im Unterricht: Ja oder Nein?“, findet er daher sowieso überholt. „Die primäre Frage lautet heute: ‚Wie nutzt man digitale Geräte im schulischen Kontext richtig?‘“ Der Kontext sei mittlerweile nämlich ein völlig anderer als noch vor einigen Jahren. Durch die Nutzung des Internets hat fast jeder Zugang zu Informationen und Wissen im Netz. Jede Frage, die ein Schüler hat, kann Google oder ChatGPT in Sekundenschnelle beantworten. Cristina Corbetta ist daher überzeugt: „Die eigentliche Aufgabe eines Lehrers ist nicht mehr nur die Wissensvermittlung, sondern auch die Kompetenzvermittlung: Was sind Fake-News? Welche Internetquellen sind wirklich seriös? Wie liest man Texte auf Bildschirmen konzentriert und genau? Worauf müssen Kinder achten, wenn sie im Internet oder per Messenger (WhatsApp u.a.) chatten?“ Fragen wie diese könnten im Unterricht allerdings nur unter Einbindung digitaler Geräte behandelt werden. Einbindung bedeute schließlich nicht Ersatz.

Raphael Mittelberger, Schüler

Wie digital sind Südtirols Schulen?

„Eine Grundausstattung an digitalen Medien hat jede Schule in Südtirol – beginnend von der Grundschule bis hinauf zur Oberschule“, bestätigt Sigrun Falkensteiner. In den vergangenen Jahren habe es hier einen enormen Aufschwung gegeben, so Falkensteiner. Die Entscheidung, wie oft digitale Geräte im Unterricht zum Einsatz kämen, obliege jedoch den einzelnen Schulen und Lehrpersonen: „Jedenfalls haben wir das Angebot an Fort- und Fachfortbildungen mit dem Schwerpunkt ‚Digitaler Unterricht‘ für Lehrpersonen hier in der deutschen Bildungsdirektion gezielt ausgeweitet.“

Die eigentlichen Probleme: Banalitäten?

Doch wie sieht es jetzt konkret im Klassenzimmer aus? Lukas Schwienbacher, Vize-Vertreter der Digitalisierungsgruppe des Landesbeirats der Schüler, erzählt hier von einer fast überholten Realität an Schulen – beginnend bei überforderten Lehrpersonen: „Meiner Meinung nach fehlen vielen Lehrpersonen noch immer die technischen Grundkompetenzen. Im Landesbeirat der Schüler haben wir uns zum Thema ausgetauscht und in vielen Schulen werden digitale Tafeln beispielsweise kaum bis gar nicht verwendet, da die Lehrpersonen nicht genügend geschult sind.“ Ein anderes Problem seien die fehlenden Steckdosen in den Klassenzimmern: „Es kann doch nicht sein, dass wir in den Klassen nur drei bis vier Steckdosen haben – und keine Verteilerstecker.“

Eine weitere Herausforderung: der Internet-Zugang. „An unserer Schule nutzen wir den „Südtirol Spot, und die Verbindung ist nach wie vor extrem langsam, teilweise funktioniert sie gar nicht“, berichtet Raphael Mittelberger. Öfters müssten sogar Schüler mit ihren privaten Hotspots nachhelfen. Mittelberger und Schwienbacher kommen daher zum Schluss: „Die finanziellen Mittel zur Förderung der digitalen Schule müssen richtig eingesetzt werden.“ Ungezieltes Geld reinschmeißen in etwas, das nicht durchdacht sei (wie der Ankauf von digitalen Tafeln, die nicht genutzt werden), sei für die Digitalisierung an Schulen absolut nicht zielführend.

So stellt sich die Frage: Steckt das Klassenzimmer 2.0 hierzulande also doch noch in den Kinderschuhen?

s.plus

Alle Meldungen zu:

Stellenanzeigen


Teilzeit






Teilzeit





powered by
Kommentare
Kommentar verfassen
Bitte melden Sie sich an um einen Kommentar zu schreiben
senden