Mittwoch, 15. November 2023

„Eine Fehlgeburt ist keine Krankheit“

Über „Sternenkinder“ wird in der Gesellschaft kaum gesprochen. Dabei sind Schwangerschaftsverluste häufig: Etwa jede sechste Schwangerschaft endet in einer Fehlgeburt. Ein Buch und eine Broschüre möchten dieses Tabu aufbrechen. „Wir möchten damit nicht nur Betroffene ansprechen, sondern dass das Thema weit hinausgestreut wird“, sagt Dr. Barbara Plagg, Wissenschaftlerin am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen.

Kinder, die vor, während, oder nach der Geburt sterben, werden als „Sternenkinder“ bezeichnet.

Von:
Teresa Klotzner
STOL: Was hilft Eltern nach einer Fehlgeburt oder Stillen Geburt?
Dr. Barbara Plagg: Das ist ganz unterschiedlich. Wo es möglich ist, das Kind zu sehen, zu halten, Fotos zu machen, ist das absolut angeraten. Vor 30 Jahren hat man schnell das Kind weggetan, aber das hilft überhaupt nicht. Bei einer Stillen Geburt wird empfohlen, dass die Frau es auf natürlichem Wege zur Welt bringt. Im ersten Moment ist das für die meisten Frauen absolut unvorstellbar, aber viele sind sehr froh. Das Geburtsereignis wird losgelöst vom Verlusterleben erfahren. Man ist stolz darauf, die Geburt geschafft zu haben. Wichtig ist auch, dass die Trauer Raum bekommt. Es muss anerkannt werden, dass der Verlust schmerzhaft ist und dass die Leute eigentlich auch genau gleich trauern, wie wenn eine Person die man kennt stirbt. Das Kind war über die Bindung und Gedankenwelt der Eltern einfach schon da. Helfen tun auch andere Betroffene, und dass das Umfeld sensibel reagiert.

STOL: Wie kann das Umfeld Sternenkindeltern am besten unterstützen?

Dr. Plagg: Jeder ist in der Trauer anders. Verschweigen ist ein Problem, Stigma macht den Schmerz größer. Gleichzeitig sollte man auf gut gemeinte Aussagen, wie ‚Du bist ja noch jung, du kannst noch ein Kind bekommen‘, verzichten. Das Thema ist sehr intim und privat. Bevor man etwas Unbedachtes sagt, ist es besser, man sagt gar nichts.

Gesamtgesellschaftlich wäre es auf alle Fälle wichtig, Frauen während der Schwangerschaft zu entlasten und zu unterstützen.
Dr. Barbara Plagg, Wissenschaftlerin


STOL: Viele Frauen haben nach einem Verlust Schuldgefühle. Kann er verhindert werden?
Dr. Plagg: In den allermeisten Fällen bleiben die Gründe im Dunkeln, vor allem bei frühen Schwangerschaftsverlusten. Man hat keine Chance, einen frühen Abgang zu verhindern. Gesamtgesellschaftlich wäre es auf alle Fälle wichtig, Frauen während der Schwangerschaft zu entlasten und zu unterstützen.

Ein Schwangerschaftsverlust ist auch für die betroffenen Ärztinnen und Ärzte immer eine Belastungssituation.
Dr. Barbara Plagg, Wissenschaftlerin


STOL: Im Buch werden auch rechtliche Aspekte angesprochen...
Dr. Plagg: In Italien geht die Fehlgeburt bis ungefähr zur 25. Woche, aber auch da gibt es einen Graubereich. In diesem ersten Zeitraum, wo die Frau ihr Kind verliert, kann sie nur krankgeschrieben werden. Damit fehlt die Anerkennung. Eine Fehlgeburt ist keine Krankheit, sondern ein Verlust. Diese Frau ist Mutter geworden, auch wenn das Kind schon von ihr gegangen ist. Sie ist auf die Willkür der Ärztinnen und Ärzte angewiesen.

STOL: Oftmals reagieren Ärztinnen und Ärzte unsensibel. Bräuchte es in diesem Bereich eine Sensibilisierung?
Dr. Plagg: Ja, absolut. Oft retten sich Ärztinnen und Ärzte hinüber in das Wissenschaftliche, Routinierte. Einfach, weil sie dem Tod nichts entgegenstellen können. Als Medizinerinnen und Mediziner haben sie gelernt, Leben zu retten. Das ist auch für die betroffenen Ärztinnen und Ärzte immer eine Belastungssituation. Da braucht es auch eine Sensibilisierung – obwohl wir sehen, dass es in den vergangenen Jahren schon besser geworden ist.

Dem Buch geht ein Dokumentarfilm voraus, der im August 2022 auf RAI Südtirol ausgestrahlt worden war.


„Sternenkinder. Wissen und Trost“ von Dr. Barbara Plagg und Jörg Oschmann (Hrsg.) ist im Athesia-Tappeiner-Verlag erschienen, und ab dem 22. November 2023 um 25 Euro im Buchhandel erhältlich.

Daneben liegt in den Krankenhäusern, Beratungsstellen und Arztpraxen die kostenlose Broschüre „Liebe Mama, lieber Papa...“ auf. Sie ergänzt das Buch und bietet Betroffenen verständliche Infos für den Akutfall.

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