Sonntag, 28. April 2024

Sonja Weissensteiner: „Man kann sich leidtun und die Welt beschissen finden“

Sie ist DAS Gesicht beliebter Volksmusiksendungen im deutschen Sprachraum. Jetzt aber hat die bekannte Südtiroler TV-Moderatorin Sonja Weissensteiner (42) beruflich Metier gewechselt und eine Coaching-Praxis eröffnet. Vom Wunsch, nicht länger eine Nummer zu sein, und warum sie selbst schon in Behandlung war.

Sonja Weissensteiner in ihrer neuen Rolle als Coach in der Praxis in München.

Von Martina Hofer

Musik in den Bergen“, „Zauberhafte Weihnacht im Land der Stillen Nacht“ oder „in concert“ – an Sonja Weissensteiner kamen Volksmusikfans in Vergangenheit nicht vorbei. Egal, ob an der Seite von Florian Silbereisen, DJ Ötzi oder Hansi Hinterseer – die sympathische Blondine aus dem Eggental ist ein Zuschauermagnet, hat sie doch früh gelernt, mit der Kamera umzugehen.

Als „Spatz aus Südtirol“ brachte die einstige Schlagersängerin bereits als 13-Jährige ihren ersten Tonträger auf den Markt. Mit der Geburt ihrer älteren von zwei Töchtern wechselte sie mit 30 Jahren schließlich in die Rolle der TV-Moderatorin u.a. für den „Bayrischen Rundfunk“ (BR), den „ORF“ oder „Gute Laune TV“. Seit März aber findet man den Namen der charmanten Wahlmünchnerin nicht mehr nur im Fernsehprogrammheft, sondern auch auf dem Türschild einer Praxis im Stadtteil Lochhausen.

Räumlichkeiten mit Floraltapete, Samtsesseln und Parkettboden sind das neue Zuhause von „Family & Soul“, einer Coaching- und Therapiepraxis, mit der sich Weissensteiner nach vier Jahren Ausbildung nun als Beziehungs- und Mentalcoach selbstständig gemacht hat. Warum? Ein Gespräch über Showbiz, Selbstzweifel und Stefanie Hertel.

STOL: Frau Weissensteiner, ein guter Coach muss zuhören können. Wie schwer fällt das einer Moderatorin, die es gewohnt ist zu sprechen?
Sonja Weissensteiner: Ich glaube tatsächlich, dass die Stärke einer guten Moderatorin das Zuhören ist. Denn nur so schaffe ich es, in einem Gespräch Antworten zu bekommen, die ich mir vielleicht nicht erwartet hätte – die im Verborgenen lagen und nicht vorgefertigt wurden.

STOL: Ihr verborgenes Geheimnis haben Sie vor Kurzem selbst in den sozialen Medien gelüftet und Ihr zweites Standbein vorgestellt. Fernsehmüde?
Weissensteiner: Nach so vielen Jahren in der Branche habe ich einfach immer stärker gemerkt, dass es ein sehr wackeliges Terrain ist. Viele, die das von außen verfolgen, sehen nur die schöne Seite, die es ja auch gibt. Die Wahrheit aber ist, dass ich keine Festanstellung beim „Bayrischen Rundfunk“ habe. Man schleppt sich von Jahr zu Jahr und ist von den Entscheidungen anderer abhängig. Ich bin immer dem Risiko ausgesetzt, dass etwas zu Ende geht, ohne dass ich es selbst gewollt hätte.

STOL: Zum Beispiel?
Weissensteiner: Die „Zauberhafte Weihnacht“ habe ich 9 Jahre erfolgreich moderiert. Dann löste der MDR den BR als Medienpartner ab, ich musste meinen Platz frei machen für Moderatorin Stefanie Hertel. Da hilft auch der Erfolg nicht, andere entscheiden über dich.

STOL: Was machte dies mit Ihnen?
Weissensteiner: Man kann damit hadern, sich leidtun und die Welt beschissen finden. Oder man wechselt Perspektive und sagt: „Irgendwann wird sich zeigen, was Gutes dabei rauskommt“. In meinem Fall hat mich diese Entscheidung darin bestärkt, noch konsequenter meinen neuen Weg zu gehen.

STOL: Warum ausgerechnet in diese Coaching-Richtung?
Weissensteiner: Mensch und Psyche interessieren mich seit jeher. Ich finde es spannend, wie viel wir eigentlich selbst in der Hand haben und steuern können. Wir meinen oft, dass das „Außen“ unsere Bedürfnisse erfüllen muss, doch am Ende bin ich allein für mein Glück verantwortlich. Es liegt an mir selbst zu entscheiden, ob ich in meiner Opferrolle verharre oder etwas tue, um einen Weg aus dieser Negativspirale zu finden. Es gibt Wege und Hilfe.

STOL: Haben Sie selbst schon diesen Weg genutzt und eine Therapie gemacht?
Weissensteiner: Ja, tatsächlich. Ich habe mit einem tollen Coach zusammengearbeitet, um für mich Dinge zu klären, die mich beschäftigt haben. Es war wahnsinnig hilfreich und hat mir gezeigt, wie man mit richtigen Fragetechniken und Einfühlungsvermögen Lösungsansätze finden kann. Denn selbst tendiert man ja eher zu diesem Verdrängungsmechanismus und potenziert damit das Problem.

STOL: Sie verhelfen Menschen heute zu mehr Lebensqualität. Doch auch Ihre Sendungen waren für viele Balsam fürs Gemüt. Gibt es da Parallelen?
Weissensteiner: Gewiss. Im Fernsehen habe ich aber vielleicht aktiver jemanden beeinflusst. Als Coach bin ich eher beteiligt an einem Prozess, den mein Gegenüber selbst in der Hand hat.

Sie kennt das Showbiz seit ihrer Jugend: Sonja Weissensteiner mit DJ Ötzi (l.) und Florian Silbereisen (r.). Privat lebt die Eggentalerin in München. - Foto: © BR



STOL: Quälen Sie nach 30 Jahren Showbiz noch manchmal Selbstzweifel?
Weissensteiner: Keiner ist perfekt, und so hat auch eine Sonja Weissensteiner manchmal Selbstzweifel. Heute aber versuche ich sie von einer positiven Seite zu sehen und damit einen Entwicklungsprozess anzustoßen, der mich weiterbringt.

STOL: Wie gehen Sie mit „Hatern“ um?
Weissensteiner: Kritik verletzt natürlich, doch den Umgang damit kann man üben. An sich zu arbeiten ist, wie einen Marathon zu laufen. Erfolge passieren nicht von heute auf morgen, es ist ein Weg der kleinen Schritte.

STOL: Welchen „Aha“-Moment hatten Sie während Ihrer Ausbildung?
Weissensteiner: Vieles von dem, was uns beschäftigt und blockiert, hat mit unserem Erlebten zu tun. Wir alle tragen Glaubenssätze und Muster mit uns herum, die Einfluss auf uns und unsere Beziehungen nehmen. Sie entstehen meist in der Kindheit, durch Erziehung oder das soziale Umfeld und sind der Grund, warum wir oft falsch oder zu emotional reagieren. Für mich war es darum spannend, diesen Mustern auf den Grund zu gehen.

STOL: Wie gehen Sie heute – dieses Wissen besitzend – mit Ihren zwei Töchtern Hanna (13) und Paula (10) um?
Weissensteiner: Ich rede viel mit ihnen, versuche Dinge zu erklären und Entscheidungen zu begründen.

STOL: Etwa?
Weissensteiner: Alle Freundinnen meiner älteren Tochter sind auf Instagram, und so war es auch bei uns Thema. Ich ha be ihr gesagt, dass ich es noch zu früh finde, ihr aber auch erklärt, warum. So konnte sie einiges nachvollziehen. Kommunikation ist der Schlüssel eines guten Familienkonstrukts und jeglicher zwischenmenschlicher Beziehungen. Wenn Schweigen einkehrt, wird es schwierig.

STOL: Sie arbeiten u.a. als Trennungscoach. Was bespricht man da, wo es nichts mehr zu besprechen gibt?
Weissensteiner: Gerade dann ist es wichtig, wieder eine gute Kommunikation zu fin den, denn auch wenn man die Paarebene verlässt, auf der Elternebene bleibt man verbunden. Oft spielen leider Stolz und Ego eine große Rolle. Kinder werden oft mit ihren Gedanken allein gelassen oder fühlen sich gar mitschuldig. Das ist für alle ein schwieriger Einschnitt im Leben, der Spuren hinterlassen kann. Es macht Sinn, sich in so einem Prozess begleiten zu lassen.

STOL: Inwieweit hilft Ihr Promi-Faktor bei der neuen Arbeit?
Weissensteiner: Es ist spannend. Erst neulich war ein Paar etwas überfordert, weil es mich gegoogelt hatte. Doch ich habe ihnen erklärt, dass ich viel aus meiner beruflicher Laufbahn in meinen Job einbringen kann. Bei einem Interview wie auch im Coaching etwa braucht es Empathie für das Gegenüber. Es muss sich wohlfühlen und mir vertrauen, um sich öffnen zu können.

STOL: Klopften bereits Menschen an, die einfach nur Sonja Weissensteiner kennenlernen wollen?
Weissensteiner: Beim „Tag der offenen Tür“ kam tatsächlich eine ältere Dame und meinte, sie sei extra hier, um sich zu vergewissern, ob es wirklich ich sei, die Dame aus dem Fernsehen.

STOL: räuchte die TV-Branche auch mal eine Therapie?
Weissensteiner: Eher ein Kommunikations- und Sozialkompetenzcoaching. Fakt ist, dass der Mensch in dieser Branche eher ein Produkt ist. Ist das Produkt zu alt, zu unbequem oder hat vielleicht keine so gute Quote mehr, wird es ausgetauscht. Aktuelles Beispiel ist Elton, der bei „Pro7“ rausgeflogen ist. Das widerspiegelt ganz gut, mit wie wenig Wertschätzung von oberster Stelle kommuniziert bzw. nicht kommuniziert wird.

STOL: Könnten Sie sich vorstellen, Ihre zwei Standbeine zu vermischen, sprich TV-Coach zu werden?
Weissensteiner: Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber im Fernsehen wird es immer schwieriger, neue Formate zu positionieren.

STOL: Als Sie angekündigt haben, dass es berufliche Neuigkeiten gebe, hofften viele auf ein Comeback als Schlagersängerin. Was sagen Sie denen?
Weissensteiner: Ich muss sie enttäuschen. Der Rückzug aus der musikalischen Laufbahn war ein bewusster, als sich mein Mann Toni Röll – übrigens ein Bozner – und ich entschieden, eine Familie zu gründen. Ich möchte einfach für die Familie da sein, gerne für ein verlängertes Wochenende in unsere Wohnung auf den Karerpass fahren und die Zeit flexibel einteilen. Das wäre mit einer Schlagerkarriere nicht möglich gewesen.

STOL: Und ist auch ein Comeback nach Südtirol ausgeschlossen?
Weissensteiner: Ja, mein Mann arbeitet als Arzt in München, und die ganze Familie ist sehr gut integriert. Ich glaube, mit drei Fahrtstunden sind wir zu wenig weit weg von der Heimat, als dass wir sie vermissen müssten.

STOL: Und wann sind Sie wieder Gast in unseren Wohnzimmern?
Weissensteiner: Am 5. Mai gibt es im „Bayrischen Rundfunk“ eine neue Sendung von „Musik aus den Bergen“. Darauf freue ich mich nach wie vor.

Alles STOL-Sonntags-Gespräche im Überblick finden Sie hier.

stol

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