Freitag, 20. Oktober 2023

Giorgia Meloni im STOL-Interview: „Südtirol hat eine besondere Autonomie“

Zum Abschluss des Wahlkampfes der Fratelli d'Italia hätte heute Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nach Südtirol kommen sollen. Aufgrund der derzeitigen Lage in Nahost musste sie den Besuch kurzfristig absagen. Dennoch gewährte Meloni den „Dolomiten“ und STOL vorab ein Interview – und nimmt darin klar Stellung zur Südtirol-Autonomie und ihrem Umgang mit Landeshauptmann Arno Kompatscher. Und auch zu den Problemen Transit, Wolf und Bär äußert sie klar ihre Meinung.

Derzeit im Einsatz für die Krisenherde der Welt statt für ihre Fratelli d'Italia auf Wahlkampftour in Bozen: Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. ANSA/UFFICIO STAMPA PALAZZO CHIGI/FIL - Foto: © ANSA / UFFICIO STAMPA PALAZZO CHIGI/FIL

Von Barbara Varesco und Michael Eschgfäller

STOL: Präsidentin Meloni, die SVP hat Sie anfangs mit einer gewissen Skepsis aufgenommen. Wie sind die Beziehungen zur Volkspartei und zu Landeshauptmann Kompatscher nach Ihrem ersten Jahr im Amt?
Premier Giorgia Meloni: Ich verstehe, dass es eine gewisse Besorgnis gab, die mit Vorurteilen zusammenhing, die wir nicht ausräumen konnten und die die Nachwehen einer Epoche waren, die glücklicherweise endgültig ad acta gelegt sind. Aber dann haben wir mit Landeshauptmann Arno Kompatscher sofort eine sehr gute Zusammenarbeit aufgebaut, die von maximaler Konkretheit und dem gemeinsamen Ziel geprägt war, wirksame Antworten auf die Probleme der Bürger Südtirols zu geben. Heute ist Südtirol in vielen Bereichen ein erfolgreiches Beispiel für Subsidiarität. Und es fiel mir nicht schwer, in den programmatischen Erklärungen, mit denen ich mich im Parlament vorgestellt habe, auf die Bedeutung der Vereinbarungen hinzuweisen, die die Autonomie dieses Gebietes schützen. Die Italienisch-, wie auch die Deutsch- und Ladinischsprachigen, sind sich des strategischen Wertes der Provinz Bozen im europäischen Rahmen immer mehr bewusst. Es gibt viele Themen, bei denen die Konservativen in Europa bereits mit der Volkspartei zusammenarbeiten, um die Tradition, die Identität, die Kultur und die wirtschaftlichen Aktivitäten zu verteidigen, die ihre Rolle stärken. In den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt, Sicherheit und Tourismus werden wir oft gemeinsam und als Alternative zu den Linken, Grünen und Roten mit ihren ideologischen Positionen, die Europa verarmen und unsicherer machen, gewählt.

Südtirol hat eine besondere Autonomie, die ebenso besondere Regelungen erfordert.
Premier Giorgia Meloni


STOL: In den vergangenen Monaten hat der Ministerrat mehrere Durchführungsverordnungen zur Ausweitung der Autonomie in Südtirol verabschiedet. Kann man erwarten, dass das so weitergeht?
Premier Meloni: Ich glaube, dass die Arbeit, die die Regierung in diesen ersten Monaten zur Umsetzung des Autonomiestatuts geleistet hat, das konkreteste Zeichen für ihre Nähe zu den tatsächlichen Interessen der Bürger und der lokalen Institutionen in Südtirol ist. Die vom Ministerrat verabschiedeten Gesetzesdekrete sind das Ergebnis einer umfangreichen Arbeit, die die Regierung dank der wertvollen Mitarbeit der Sechserkommission und der Zwölferkommission leisten konnte. Südtirol hat eine besondere Autonomie, die ebenso besondere Regelungen erfordert. Diesen Weg wollen wir weitergehen, ohne ideologische Vorurteile, aber mit einem gesunden Realismus, der immer das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt.

Foto: © ANSA / ANGELO CARCONI



STOL: In Ihrer Regierungserklärung haben Sie die Wiederherstellung der autonomen Befugnisse Südtirols versprochen, die seit 2001 durch Urteile des Verfassungsgerichtshofs eingeschränkt wurden. Nun haben Ihnen die Sonderstatut-Regionen und -Provinzen in Turin einen entsprechenden Verfassungsentwurf übergeben. Beabsichtigen Sie, diese Vorschläge anzunehmen und wann können wir mit einer konkreten Antwort aus Rom rechnen?
Premier Meloni: Ich habe den Vorschlag in Turin erhalten und mich den Regionen und autonomen Provinzen verpflichtet, diesen eingehend zu prüfen. Ich werde mit Regionenminister Roberto Calderoli und der Ministerin für Institutionelle Reformen, Maria Elisabetta Casellati, die Vorzüge erörtern.

STOL: Südtirol und das Trentino leiden unter den Raubzügen von Bär und Wolf. Es gibt zwar Landesgesetze, aber der Abschuss von Problemtieren scheitert immer wieder an den Gerichten. Minister Salvini hat nun ein staatliches Gesetz angekündigt, um die Dinge zu beschleunigen. Wann ist dieses Gesetz geplant?
Premier Meloni: Wir sprechen über einen Bereich, der durch europäische Richtlinien geregelt wird. Somit ist es notwendig, zunächst auf dieser Ebene zu intervenieren. Deshalb arbeitet Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida mit anderen EU-Staaten, allen voran mit Österreich, zusammen, um eine gemeinsame Position zu koordinieren und das Thema als Ganzes anzugehen. Die Regierung ist völlig unvoreingenommen und stützt ihr Engagement ganz auf die verfügbaren wissenschaftlichen Daten über die Population von Wölfen und Bären. In der Zwischenzeit möchte ich aber schon darauf hinweisen, dass der Ministerrat die Länder und ihre Autonomie respektieren wollte und die diesbezüglichen Landesgesetze auch nicht in Frage gestellt und angefochten hat.

Die Souveränität des Volkes ist heilig und die Wähler haben immer Recht.
Giorgia Meloni


STOL: Innenminister Matteo Piantedosi will in jeder Region ein Abschiebezentrum einrichten. Viele Regionen sind dagegen, während Südtirols Landeshauptmann dafür ist. Wo werden diese Zentren in Südtirol und im Trentino entstehen und wann ist mit einer Entscheidung zu rechnen?
Premier Meloni: Das werden wir gemeinsam mit dem Land entscheiden. Ich möchte Sie jedoch daran erinnern, was der genaue Wille der Regierung in diesem Punkt ist: Die Zentren für die Abschiebehaft müssen an Orten mit einer sehr geringen Bevölkerungsdichte errichtet werden, die leicht umgrenzt und überwacht werden können, um die Ausweisung von Personen, die kein Recht auf internationalen Schutz haben, konkret und effektiv zu gestalten.

STOL: Zurück zu den Landtagswahlen: Ihre Partei dürfte am Sonntag als stärkste italienische Kraft hervorgehen. Es wäre ein historisches Abkommen, wenn sich Fratelli d'Italia und SVP zusammentun würden, denn die beiden Parteien sind seit jeher verfeindet. Erwarten Sie, dass die SVP die Fratelli d'Italia in die Regierungskoalition holt und was passiert, wenn Ihre Partei ausgeschlossen wird?
Premier Meloni: Die Fratelli d'Italia haben eine klare Identität und unsere Geschichte zeigt, dass wir nie Positionen oder Vorschläge eingebracht haben, weil wir an der Besetzung von Ämtern interessiert waren. Wir haben unsere Entscheidungen immer getroffen, ohne jemals an den Gewinn zu denken, den wir hätten erzielen können. Deshalb haben wir gleich nach Amtsantritt dieser Regierung beschlossen, eine Debatte mit Landeshauptmann Arno Kompatscher und Parteiobmann Philipp Achammer zu beginnen. Wir hielten es nämlich für richtig, gemeinsam an der Beilegung antihistorischer Streitigkeiten zu arbeiten und gemeinsame Punkte der Zusammenarbeit zu finden. Die Bürgerinnen und Bürger werden am kommenden Sonntag entscheiden, wer Südtirol regieren wird und welches Gewicht die Fratelli d'Italia haben werden. Die Souveränität des Volkes ist heilig und die Wähler haben immer Recht. Ich kann ihnen nur sagen: Habt Vertrauen in die Fratelli d'Italia, in unsere Kandidaten und in unsere Vertreter, die sich vor Ort immer für die Verteidigung der Arbeit, der Wirtschaft, der Familie und der Identität eingesetzt und mehr Aufmerksamkeit für die Sicherheit gefordert haben.

Foto: © ANSA / Riccardo Antimiani



STOL: Der Ministerrat hat beschlossen, in der Transitfrage rechtliche Schritte gegen Österreich einzuleiten, aber viele Einwohner sympathisieren mit der harten Linie Österreichs gegen den Transit. Was wäre Ihrer Meinung nach eine praktikable Lösung für das Verkehrsproblem auf der Brennerachse?
Premier Meloni: Die Entscheidung der Regierung war zwingend notwendig, um unser nationales Interesse und einen Wirtschaftszweig wie den Transport auf der Straße zu schützen, der für Italiens Produktionssystem von zentraler Bedeutung ist. Natürlich muss das alles mit dem Schutz der Umwelt in Einklang gebracht werden, was in diesem Fall auch mit der Attraktivität für den Tourismus und dessen Entwicklung einhergeht. Wir dürfen aber nicht außer Acht lassen, dass der Brenner eine der wichtigsten Handelsrouten Italiens und von strategischer Bedeutung für unser Import-Export-Geschäft ist. Das ist ein Thema, das ich Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer schon mehrmals vorgetragen habe und das ich mit ihm wieder ansprechen werde. Italien und Österreich sind Staaten, die durch tiefe Bande verbunden sind. Unsere Zusammenarbeit ist in vielen Bereichen solide und fruchtbar. Und ich hoffe, dass wir zu einer gemeinsamen Lösung kommen können.

Ich glaube, dass es notwendig ist, wieder über eine langfristige Lösung der israelisch-palästinensischen Frage nachzudenken und die Vision „2 Völker, 2 Staaten“ wieder aufzugreifen.
Premier Giorgia Meloni


STOL: Die Welt scheint zu explodieren. Sie stehen dieser Tage mit vielen der Protagonisten der internationalen Szene in engem Kontakt. Was kann Italien tun, um Israel zu unterstützen, ohne in einen möglichen dritten Weltkrieg hineingezogen zu werden?
Premier Meloni: Lassen Sie mich zunächst zum Ausdruck bringen, dass ich über die Abscheulichkeit des Hamas-Angriffs und den Versuch, die israelischen Bürger zu entmenschlichen, zutiefst schockiert war. Die Gräueltaten, die wir gesehen haben, wo Unschuldige grausam getötet worden sind, sind absolut zu verurteilen. Das Ausmaß der von der Hamas ausgeübten Gewalt deutet auf eine sehr präzise Strategie hin, um Israel zu einer sehr heftigen Reaktion zu zwingen, die auch die palästinensische Zivilbevölkerung treffen und so die arabische öffentliche Meinung gegen Israel wieder vereinen könnte. Wir alle müssen vermeiden, in die Falle zu tappen, in die uns die Hamas locken möchte, um den mit dem Abraham-Abkommen eingeleiteten Normalisierungsprozess zu verhindern. Kurzfristig gilt unser größtes Engagement dem Schutz der Zivilbevölkerung, der Lösung der dringendsten humanitären Probleme und der Suche nach einer Lösung zur Beendigung dieser sehr ernsten Krise. Ich glaube aber auch, dass es notwendig ist, wieder über eine langfristige Lösung der israelisch-palästinensischen Frage nachzudenken und die Vision „2 Völker, 2 Staaten“ wieder aufzugreifen, die die gegenseitige Anerkennung und das Existenzrecht und die Sicherheit Israels zur Voraussetzung haben muss.

STOL: Besteht die Gefahr, dass die Ukraine „vergessen“ wird?
Premier Meloni: Es wäre ein schwerer Fehler, wenn dies der Fall wäre. Wie wir von Beginn an gesagt haben, stellt der russische Einmarsch in der Ukraine eine Gefahr für den gesamten europäischen Kontinent und somit auch für Italien dar. Deshalb liegt es im nationalen Interesse Italiens, die Ukraine zu unterstützen und einen gerechten Frieden in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu erreichen. Ich möchte hinzufügen, dass ich in den vergangenen Tagen im Palazzo Chigi auch mit dem Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation, Rafael Grossi, zusammengetroffen bin, der eine grundlegende Rolle bei der Sicherheit der Anlage in Saporischschja spielt. Unsere Aufmerksamkeit ist und bleibt sehr hoch.

stol

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