Samstag, 23. September 2023

Wenn dem moralischen Zeigefinger der Mittelfinger gezeigt wird

„Wer versucht, die Welt über den Appell ans schlechte Gewissen ihrer Bewohner zu einer besseren zu machen, der irrt.“ Ein Kommentar von „Dolomiten“-Chef vom Dienst Klaus Innerhofer.

„Seit Jahren mit erhobenem Zeigefinger und allerlei moralischen Belehrungen, dass einem leicht schwindelig werden kann.“ - Foto: © Shutterstock / shutterstock

Manch einer reibt sich immer noch ungläubig die Augen: Ist jetzt jeder fünfte Deutsche ein Nazi? Denn die AfD wird vom dortigen Verfassungsschutz als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ eingestuft, der Landesverband Thüringen sogar als „gesichert rechtsextremistisch“.

Dessen ungeachtet befindet sich die „Alternative für Deutschland“ seit Monaten in einem Höhenflug, der sie laut Umfragen zur zweitstärksten politischen Kraft hat aufsteigen lassen.

Die Tendenz, sich auf politisch extreme Positionen einzulassen, ist auch in Südtirol spürbar.
Klaus Innerhofer

Die Gründe für diesen sagenhaften Lauf sind sicher nicht an einer Hand abzuzählen. Aber, um die Eingangsfrage zu beantworten: Nein, nicht jeder AfD-Wähler ist rechtsextrem. Die Tendenz, sich auf politisch extreme Positionen einzulassen, ist auch in Südtirol spürbar; da genügt ein kurzer Blick auf die Presseaussendungen mancher wahlwerbenden Parteien.

Wer darauf anspringt, will wohl auch ein Zeichen setzen – ein Zeichen gegen den Zeitgeist. Und der kommt schon seit Jahren mit erhobenem Zeigefinger und allerlei moralischen Belehrungen daher, dass einem leicht schwindelig werden kann: dass man jetzt nicht mehr Indianer sagt, geschweige denn, sich zu Fasching als solcher verkleidet, dass ganze Kinderbücher „minderheitengerecht“ umgeschrieben werden müssen, dass der schwarz geschminkte Caspar bei den Heiligen Drei Königen plötzlich etwas mit Rassismus zu tun hat ...

Warum brüllt mir auf Rai Südtirol jede/r zweite Redakteur*In ein „Innen“ entgegen, um möglichst progressiv zu wirken?
Klaus Innerhofer


Sie haben recht: Das sind Banalitäten, die wenig bis keine Auswirkungen auf das tägliche Leben haben. Aber was unsere heutige Individualgesellschaft bzw. ihre Menschen auf den Tod nicht ausstehen können, ist, belehrt und bevormundet zu werden. Warum brüllt mir auf Rai Südtirol jede/r zweite Redakteur*In ein „Innen“ entgegen, um möglichst progressiv zu wirken? Obwohl jede Umfrage dies- und jenseits des Brenners belegt, dass die nervige Gendersprache von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird – von Männern und Frauen.

Wir Medien sind nicht unschuldig am Frust, den viele Leute in Bezug auf den „Mainstream“ empfinden. Früher hieß es, Journalismus solle informieren, prüfen, einordnen, aufdecken, kritisieren. Heute glauben Journalisten, sie müssten die Menschen missionieren, auf den rechten Pfad der Tugend zurückführen, wie ein Schäfer ein verirrtes Tier.

Wer es mit der Ausgrenzung aller Abweichler als Bekehrungsformel probiert, hat erst recht verloren.
Klaus Innerhofer


Sie bringen dem „Unwissenden“ bei, wie er sich in Sachen Klimawandel fortbewegen muss, was er zu essen hat, welche Kleider er tragen darf und wie er wohnen soll. Diese Ratschläge sind sicher gut gemeint und viele auch wichtig. Aber wer versucht, die Welt über den Appell ans schlechte Gewissen ihrer Bewohner zu einer besseren zu machen, der irrt.

Und wer es mit der Ausgrenzung aller Abweichler als Bekehrungsformel probiert, hat erst recht verloren. Denn dieses Bemühen kippt ins Gegenteil – mit der Folge einer zunehmenden Radikalisierung, wie wir sie heute (nicht nur) in Deutschland erleben.

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stol

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