lvh-Präsident Martin Haller über die Aussichten im Handwerk, über den akuten Fachkräftemangel und darüber, dass man seit Jahrzehnten ein drängendes Problem aufschiebt, an dem aber nicht nur die Politik alleine schuld sei. „Auch wir Verbände müssen uns an die Nase fassen“, sagt Haller. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Herr Haller, wie gut hat das Handwerk bislang die Corona-Pandemie überstanden?</b><BR />Martin Haller: Das variiert natürlich stark von Branche zu Branche. Aber insgesamt ist es so, dass wir rund 15 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen über den Bilateralen Fonds bezogen haben. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass auch das Handwerk von der Coronakrise zum Teil stark gebeutelt wurde. Mittlerweile ist es aber so, dass der allergrößte Teil unserer Mitgliedsbetriebe laut unserer Sommer-Umfrage optimistisch in die Zukunft blickt und dass nicht unmittelbar Betriebsschließungen drohen. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Ist das Handwerk also krisenfester als andere Wirtschaftssektoren in Südtirol?</b><BR />Haller: Die Handwerksbetriebe sind aufgrund ihrer Kleinstrukturiertheit sehr flexibel, das macht sich natürlich vor allem in Krisenzeiten bezahlt. Ein durchschnittlicher Handwerksbetrieb in Südtirol hat 3,3 Mitarbeiter. Zudem sind die allermeisten unserer Unternehmen Familienbetriebe. Auch das ist in Zeiten wie diesen ein großer Vorteil gegenüber größeren Betrieben, in denen die Strukturen relativ starr sind und die Flexibilität nicht so gegeben ist. Wir fühlen uns darin bestätigt, dass die Kleinstrukturiertheit des Handwerks gerade in Krisenzeiten einen großen Vorteil hat. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Anfang des Jahres äußerten Sie die Befürchtung, dass aufgrund der Coronakrise die Zahlungsmoral der Kunden sinken könnte. Ist dieser Fall eingetreten?</b><BR />Haller: Glücklicherweise nicht, das hat auch uns ein wenig überrascht. Ich denke, das ist ebenfalls ein Vorteil unserer Kleinstrukturiertheit, dass sich der Auftraggeber den kleinen, familiengeführten Betrieben verpflichtet fühlt. Gleichzeitig bedeutet dies auch, dass die Stützungsmaßnahmen von Staat und Land Wirkung gezeigt haben. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-50190682_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Der lvh hat eine Umfrage unter knapp 1000 Handwerksbetrieben durchgeführt. Der einhellige Tenor: Der Qualitätsstandard sei hoch und Berufe im Handwerk seien gerade für junge Menschen sehr attraktiv. Nichtsdestotrotz fehlt es an Lehrlingen. Warum?</b><BR />Haller: Nicht nur im Handwerk, sondern quer durch alle Wirtschaftssektoren gibt es momentan einen massiven Fachkräftemangel. Das Handwerk ist aber ein spezieller Fall, da es ein Ausbildungsberuf ist. Man braucht 3 bis 5 Jahre, bis man ausgebildet ist. In solch schnelllebigen Zeiten, wie wir sie momentan erleben, ist das manchmal ein Nachteil, weil viele junge Leute schnell Karriere machen und Erfolg haben möchten. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Was will der lvh dagegen tun?</b><BR />Haller: Wir müssen marketingtechnisch besser werden und die Attraktivität des Handwerks deutlicher rüberbringen. Früher war es so, dass der Schlosser oder der Tischler seinen Betrieb im Dorf hatte. Er war viel sichtbarer für die Bevölkerung. Mittlerweile sind unsere Betriebe in den Gewerbezonen und weitab vom Blickfeld der Bürger. Das müssen wir ändern. Da sind vor allem wir als Verband gefragt. Ein kleiner Betrieb alleine kann das nicht machen, er hat mit seinen Aufträgen genug zu tun und kann nicht noch in den Schulen Lehrlinge anwerben. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-50190683_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Neben dem Fachkräftemangel sehen die Handwerker laut Umfrage den Bürokratieabbau als größte Herausforderung für die kommenden 2 Jahre. Es ist diesbezüglich in den vergangenen Jahren also nicht viel passiert?</b><BR />Haller: Interessant ist, dass unsere Mitgliedsbetriebe den Fachkräftemangel und den Bürokratieabbau als größte Herausforderung sehen und nicht die Auswirkungen der Coronakrise. Das heißt, dass man wieder die langfristigen Ziele im Blick hat und optimistisch in die Zukunft schaut. Das ist erfreulich. Was den Bürokratieabbau anbelangt, so ist in den vergangenen Jahren viel darüber geredet worden. Es hat ja Leute gegeben, die die Zettel symbolisch mit dem Schubkarren weggeschoben haben (Hanspeter Munter, ehemaliger lvh-Direktor und SVP-Landtagsabgeordneter, Anm. d. Red.). Die Schwierigkeit beim Bürokratieabbau war und ist aber, dass man diese Sache konkretisieren muss und nicht nur darüber reden. Die Betriebe haben das Gefühl, dass sie von den unzähligen Regelungen, die ihnen aufgebrummt werden, erdrückt werden. Mittlerweile ist es ja so, dass ein Betrieb gezwungen wird zu wachsen, nur damit er die Bürokratie in den Griff bekommt. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Wie meinen Sie das?</b><BR />Haller: Ein kleiner Familienbetrieb ist fast gezwungen zu wachsen und einen eigenen Mitarbeiter einzustellen, um die Büroarbeit bewältigen zu können. Daran sieht man, wie sehr das Ganze aus dem Ruder gelaufen ist. Vor allem bei öffentlichen Aufträgen tut sich ein kleiner Handwerksbetrieb extrem schwer, da die Bürokratie, die bei diesem Auftrag anfällt, für einen solchen Betrieb kaum bewältigbar ist. Man muss sich endlich ernsthafte Gedanken darüber machen, wie man die kleinen Betriebe entlasten kann. Man muss die Betriebe arbeiten lassen. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Sie haben davor Hanspeter Munter angesprochen, der sich im Landtags-Wahlkampf 1993 mit einem Schubkarren voller Zettel ablichten ließ und damit symbolisch versprach, die Bürokratie aus dem Land zu karren. Das ist nun fast 30 Jahre her. Warum glauben Sie, dass es so schwierig ist, Bürokratie abzubauen?</b><BR />Haller: Ich glaube, das Problem liegt im Vorsatz, alle Betriebe gleich zu behandeln. Damit schafft man Ungleichheit. Ein kleiner Betrieb mit 3 Mitarbeitern hat nämlich nicht dieselben personellen Kapazitäten wie ein großer Betrieb, um die Bürokratie bewältigen zu können. Das muss der Gesetzesgeber verstehen und darauf reagieren. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Sie fordern also verschiedene Regelungen für Klein- und Großbetriebe?</b><BR />Haller: Nicht verschiedene Regeln, sondern an die jeweilige Betriebsgröße angepasste Regeln. Gleichzeitig sollte man abwägen, welche Kontrollen es braucht und welche übertrieben sind. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Zum Beispiel?</b><BR />Haller: Nehmen wir die Wohnbauförderung her. Man sollte sich überlegen, ob es sinnvoll ist, eine Wohnbauförderung nur dann zu gewähren, wenn man einen gewissen Verdienst hat, oder ob es nicht sinnvoller wäre, dass jeder Südtiroler die Möglichkeit hat, einmal in seinem Leben für die Erstwohnung um Wohnbauförderung anzusuchen. Man muss das System vereinfachen. Es braucht mehr Mut zur Lücke und keine Überreglementierung. Dieses Ziel werden wir aber nur in der Zusammenarbeit zwischen Politik und den Verbänden erreichen. Wir als Verbände müssen uns nämlich schon auch an die eigene Nase fassen. Wir dürfen nicht einerseits nach weniger Bürokratie schreien und andererseits, kaum will man diesbezüglich etwas unternehmen, alles blockieren. Die Schuld liegt also nicht alleine bei der Politik.