Dienstag, 26. Dezember 2023

Es muss ein Ruck durchs Land gehen

„Es scheint, als hätte es Südtirol verabsäumt, eine Vision zu entwickeln, die die eigenen Leute begeistert.“ Ein Kommentar von „Dolomiten“-Redakteur Rainer Hilpold.

Rainer Hilpold: „Schön langsam werden wir daran erinnert, dass nichts von selbst läuft.“

Wünschen hat gerade wieder Saison - wie jedes Jahr um diese Zeit. Gäbe es einen kollektiven Wunschzettel der Südtiroler, würde darauf wohl stehen: „Ein Ruck sollte durch dieses Land gehen.„ Zu den Adressaten dieses Briefleins zählt freilich nicht das Christkind.

Südtirols Wirtschaft schlägt sich noch ganz gut, obwohl die wichtigsten Handelspartner Deutschland und Österreich gerade schwächeln. Fast alle Südtiroler, die arbeiten wollen, finden einen Job. Alles bestens also? Nicht ganz. Im Anblick des Wohlstands und mit dem Blick nur allzu oft auf uns selbst gerichtet (u.a. „Weltbeste Autonomie“, „Begehrtester Lebensraum Europas“), sind wir in Südtirol etwas betriebsblind geworden, so scheint es.

Die Produktivität pro Arbeitsplatz muss also rauf. Man fragt sich, wie das gehen soll, wenn immer mehr jüngere, qualifizierte Arbeitskräfte Südtirol verlassen?
Rainer Hilpold


Schön langsam werden wir daran erinnert, dass nichts von selbst läuft. In Zukunft werden wir mit weniger Arbeitskräften unseren Wohlstand irgendwie verteidigen müssen. Daran ist die Demographie schuld. Die Produktivität pro Arbeitsplatz muss also rauf. Man fragt sich, wie das gehen soll, wenn immer mehr jüngere, qualifizierte Arbeitskräfte Südtirol verlassen?

Eine neue Studie des Arbeitsmarktservice zeigt eindrucksvoll, dass sich die Zahl jener, die der Heimat den Rücken zuwenden, binnen 10 Jahren, also innerhalb ein- und derselben Generation (der Generation Y), fast verdreifacht hat. Davon kehrt laut Arbeitsmarktservice nur ein Bruchteil nach der Ausbildung wieder nach Südtirol zurück. Wer zu uns kommt, sind hauptsächlich niedriger Qualifizierte. So wird der dringend notwendige Produktivitätsschub nicht gelingen.

Südtirol nimmt im Wettbewerb der Tourismusdestinationen im Alpenraum eine führende Position ein. Im Wettbewerb der Arbeitsstandorte sieht es offenbar weit weniger rosig aus. Vielmehr riskiert Südtirol auch für viele Einheimische zu einem „Urlaubsland“ zu werden: Man fährt einige Male im Jahr (pünktlich zu den Feiertagen) zurück nach Hause, schwärmt von Essen, Wetter und Lebensqualität und düst dann wieder ab. Weil das Ausland – vor allem das nördliche – bessere Karriere- und Verdienstmöglichkeiten, Arbeitsformen und -zeiten usw. bietet und aushalten lässt es sich dort auch, über die eine oder andere Sonnenstunde weniger wird gerne hinweggesehen. Eine Rückkehr wird dann höchstens im beruflichen Herbst ins Auge gefasst.

Von politischer Seite sind klare Ziele gefragt (Detailfragen zur Autonomie sind keine Vision), die aufrichtig und ernsthaft verfolgt werden.
Rainer Hilpold


Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als hätte es Südtirol nach Jahren des beispiellosen Aufstiegs verabsäumt, eine Vision zu entwickeln, die die eigenen Leute begeistert und mehr ist als knackige Claims. Aktuell sind es hauptsächlich einige Leitbetriebe, die mit großem Aufwand um die Gunst höher qualifizierter Bewerber buhlen. Das aber ist zu wenig. Es bräuchte mehr als Einzelengagements. Von politischer Seite sind klare Ziele gefragt (Detailfragen zur Autonomie sind keine Vision), die aufrichtig und ernsthaft verfolgt werden. Und dann muss ein Ruck durch dieses Land gehen, eine Aufbruchstimmung. Mit einem Fuß in der Vergangenheit und dem anderen im Startblock, ist nämlich keine neue Bestzeit drin.

Wohin will dieses Land? Ich weiß es nicht. Wissen Sie es?

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stol

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