Die Idee dahinter ist, dass die Vereinigten Staaten und ihre Partner und Verbündeten mehr Kontrolle über kritische Lieferketten übernehmen sollten, indem sie ihre Handelsbeziehungen von strategischen Konkurrenten weg verlagern.<BR /><BR />Yellens „Friendshoring“-Prinzip steht in krassem Gegensatz zu dem lang gehegten westlichen Dogma, das während des Kalten Krieges entstand. Jahrzehntelang verfolgten die Staats- und Regierungschefs der USA und Europas eine Globalisierungsstrategie, indem sie die Handelsbeziehungen in dem Glauben gestalteten, dass zuvor marginalisierte oder verfeindete Länder durch Handels- und Finanzbeziehungen in eine einzige stabile internationale Ordnung eingebunden werden könnten. Nirgendwo war die Hoffnung, dass wirtschaftliches Wachstum die rauen Kanten ideologischer und sicherheitspolitischer Konflikte glätten würde, so einflussreich wie in Deutschland.<BR /><BR /><BR /><b>„Quelle von Spannungen“</b><BR /><BR />Mit seiner Wandel durch Handel-Politik hat Deutschland bei der Gestaltung der Beziehungen zu Russland und zuvor zur Sowjetunion lange Zeit einen Ansatz verfolgt, der den Handel in den Vordergrund stellt. Dies war schon immer eine Quelle von Spannungen zwischen den westlichen Mächten. Seit der Präsidentschaft von Ronald Reagan vor 40 Jahren haben die USA ihre Bedenken über die Auswirkungen russisch-deutscher Pipeline-Projekte auf die transatlantischen Sicherheitsziele zum Ausdruck gebracht. Natürlich könnte auch das wirtschaftliche und diplomatische Engagement Deutschlands die Position der Sowjetunion in den späten 1980er-Jahren aufgeweicht und damit den Kalten Krieg beendet haben.<BR /><BR />Später wurde Großbritannien zum führenden Verfechter der Anwendung der Globalisierungsstrategie auf China. Nachdem die Regierung von Premierminister David Cameron 2015 den roten Teppich für den chinesischen Präsidenten Xi Jinping ausgerollt hatte, verkündete sie eine neue „goldene Ära“, in der das Vereinigte Königreich Chinas „bester Partner im Westen“ sein könnte. Doch nur wenige Jahre später begann der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, und die Regierung von US-Präsident Donald Trump versuchte, die internationale Ordnung zu zerstören. So lag es an der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Flamme der Globalisierung durch die Zusammenarbeit mit Xi am Leben zu erhalten.<BR /><BR />Es ist weder fragwürdig noch falsch zu glauben, dass der Handel in Fällen, in denen andere Methoden versagen würden, überzeugen und befrieden kann. Am brillantesten wurde diese Strategie in den 1970er-Jahren formuliert, als die internationalen Spannungen durch den Jom-Kippur-Krieg und die Strategie der Ölexporteure des Nahen Ostens, wirtschaftliche Erpressung zu betreiben, ihren Höhepunkt erreicht haben. US-Außenminister Henry Kissinger plädierte für eine Politik, die Ölexporteure verdienen zu lassen und sie gleichzeitig zu ermutigen, ihre wachsenden Einnahmen im westlichen Bankensystem anzulegen. Sie würden vielleicht nicht zu Freunden des Westens werden, aber sie würden zumindest zuverlässiger werden.<BR /><BR /><BR /><b>„Diese Philosophie inzwischen hoffnungslos naiv“</b><BR /><BR />Aus ganz bestimmten Gründen erscheint diese Philosophie inzwischen hoffnungslos naiv. Alle konzentrieren sich jetzt auf die Schwachstellen, die die wirtschaftliche Verflechtung mit sich bringt. Die Nord Stream 2-Gaspipeline von Russland nach Deutschland wurde gerade in Betrieb genommen, als der russische Präsident Wladimir Putin seine Invasion startete. Sie mag nun als das große Symbol einer historischen Fehlkalkulation in Erinnerung bleiben.<BR /><BR />Es ist nicht schwierig, die Deutschen, die das Projekt trotz der Einwände aus den USA und anderen Ländern vorangetrieben haben, mit Schmach zu überhäufen. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder weigert sich trotzig, zuzugeben, dass Deutschlands Abhängigkeit von russischer Energie zu einem Problem geworden ist. Er ist immer noch glücklich, als gut bezahlter Vorsitzender von Rosneft, dem staatlich kontrollierten russischen Ölkonzern, zu dienen und sich als potenzieller Vermittler zwischen Russland und dem Westen darzustellen.<BR /><BR />Der große Fehler Deutschlands war jedoch nicht der Bau einer Pipeline, sondern eine Reihe anderer politischer Entscheidungen, die das Land in eine übermäßige Abhängigkeit von einer bestimmten Energiequelle gebracht haben. Nach der Fukushima-Katastrophe 2011 in Japan stieg Deutschland abrupt aus der Kernenergie aus. Da aber Wind- und Solarenergie nicht genug Energie liefern konnten, um den Bedarf zu decken (das Land ist nicht besonders sonnig oder windig), mussten diese Quellen durch importiertes Gas ergänzt werden. Und bei den Gasimporten stellte Deutschland die Effizienz über die Widerstandsfähigkeit, indem es sich auf Pipelines aus Russland verließ, anstatt neue Flüssiggasterminals zu bauen, um Lieferungen aus den USA oder dem Nahen Osten zu ermöglichen.<BR /><BR />Allgemeiner ausgedrückt: Wenn der Handel den Frieden fördern soll, muss der Multilateralismus Vorrang vor bilateralen Beziehungen haben. In den 1970er-Jahren beruhte Kissingers Strategie auf der Tatsache, dass Europa seine eigenen Energieressourcen in der Nordsee erschließen würde und dass die USA die heimische Produktion in Texas und Alaska ausbauen sowie den Handel mit Mexiko und Venezuela verstärken würden.<BR /><BR /><BR /><b>„Diese Maxime ist zeitlos“</b><BR /><BR />Schon während der Welle der europäischen Revolutionen im Jahr 1848 argumentierte der britische Staatsmann und Stratege Lord Palmerston: „Wir haben keine ewigen Verbündeten und keine ewigen Feinde. Unsere Interessen sind ewig und immerwährend, und es ist unsere Pflicht, diese Interessen zu verfolgen.“ Diese Maxime ist zeitlos. Im einundzwanzigsten wie im neunzehnten Jahrhundert ist es unmöglich vorherzusagen, wie sich die Innen- oder Handelspolitik eines Landes entwickeln wird.<BR /><BR />Erinnern Sie sich an den doppelten Schock von 2016, dem Jahr des Brexit und der Wahl von Donald Trump. Wer kann garantieren, dass es im Jahr 2024 nicht wieder eine trumpistische Regierung geben wird? Und wer kann sicher sein, dass es in Russland nach einem katastrophalen Krieg nicht zu einer tiefgreifenden politischen Neuorientierung, ja sogar zu einer Demokratisierung kommt?<BR /><BR />Die Suche nach internationalen Freunden wird immer ein schwieriges Unterfangen sein. Die lange Liste von Ländern, die in der UN-Generalversammlung die Misstrauensanträge gegen Russland nicht unterstützt haben, hat bei den Staats- und Regierungschefs der USA und Europas Bestürzung ausgelöst. Dennoch wäre es unklug und kostspielig, die künftige Richtung des Handels von diesen Stimmen abhängig zu machen.<BR /><BR />Verbote, mit dem Feind Handel zu treiben, sind in einem totalen Konflikt sinnvoll. Aber wenn es um gemeinsame Probleme geht – wie Krankheiten und Emissionen, die sich über Grenzen und Kontinente hinweg verbreiten – gibt es keine Feinde, sondern nur potenzielle (und notwendige) Partner. Das Gleiche gilt für die Bedrohung durch Hunger, eine der vielen erschreckenden Folgen des russischen Krieges. Das „Friendshoring“ wird letzten Endes die Menschen nicht ernähren, sondern eher noch mehr Feinde schaffen.<BR /><BR />(Übersetzung aus dem Englischen: Andreas Hubig)<BR /><BR /><b>Zum Autor:</b><BR /><BR />Harold James ist Professor für Geschichte und internationale Angelegenheiten an der Princeton University und der Autor von The War of Words: A Glossary of Globalization (Yale University Press, 2021).<BR /><BR />Copyright: Project Syndicate, 2022.<BR /> <a href="https://www.project-syndicate.org/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.project-syndicate.org</a><BR />