Eine der größten Aufgaben sei es, zu verhindern, „dass die unteren Einkommensschichten in die Armut abrutschen“, sagt der aus Laas stammende Gottfried Tappeiner, Professor am Institut für Wirtschaftstheorie, -politik und -geschichte an der Universität Innsbruck. <BR /><BR /><b>Herr Professor Tappeiner, die Europäische Zentralbank (EZB) und die EU-Kommission haben immer wieder betont, dass die hohen Inflationsraten nur vorübergehend seien. Offenbar eine grobe Fehleinschätzung. Hat man das Thema zu lange kleingeredet?</b><BR />Gottfried Tappeiner: In den Chor der EZB-Kritiker möchte ich nicht einstimmen. Es gab genügend Gründe anzunehmen, dass die hohe Inflation tatsächlich nur vorübergehend sein könnte. Auch ich war bis vor Kurzem davon überzeugt, dass dies so sein wird. Bis zum Ausbruch des Ukraine-Krieges, mit dem letztlich niemand gerechnet hatte. Dieser hat eine neue Teuerungswelle ausgelöst. <BR /><BR /><b>Das heißt, wir befinden uns aktuell in der zweiten Welle der Inflation nach Corona? </b><BR />Tappeiner: So könnte man es sehen. Nach dem Einbruch der Wirtschaft im ersten Pandemiejahr 2020 folgte 2021 ein signifikanter Aufschwung, der, weil so nicht erwartet, zu Lieferengpässen und einer Güterknappheit in vielen Bereichen führte. Ab Herbst mündete diese Entwicklung in steigende Preise. Anfang des Jahres nahm dieser Effekt schön langsam wieder ab, die Lage bei den Lieferengpässen schien sich zu beruhigen. Doch dann wurde diese erste Teuerungswelle direkt von der zweiten abgelöst bzw. die Wellen gingen ineinander über. Das Ergebnis sehen wir jetzt.<BR /><BR /><b>Die Inflationsfolgen der Pandemie waren noch gar nicht vollständig abgeklungen, da setzte der Krieg ein…</b><BR />Tappeiner: Richtig. Das führt in der Summe vor allem zu einer unglaublich großen Unsicherheit. Aktuell sind es vor allem die Kriegsrisiken, die zu einer Überhitzung im Energiebereich führen. Es handelt sich also im Prinzip um Risikoaufschläge der Händler, die sich in ihren Termingeschäften ja irgendwie absichern müssen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="747755_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie sehen also Anzeichen einer Überreaktion?</b><BR />Tappeiner: Möglicherweise, aber definitiv wird man das erst beantworten können, wenn der Krieg tatsächlich beendet sein wird. Wobei ich schon auch sagen muss, dass hohe Rohstoffpreise in Krisenzeiten nichts Ungewöhnliches sind. Letzthin liest man ja immer wieder Schlagzeilen wie „Höchster Ölpreis seit 2008“, was natürlich erst einmal dramatisch klingt. Denkt man jedoch kurz drüber nach, stellt man 2 Dinge fest. Erstens: Das Phänomen hoher Ölpreise ist nicht neu; zweitens: Zeiten von Unsicherheit führen zu Höchstständen an den Märkten. Nicht mehr, nicht weniger. Ich sage damit nicht, dass der Energiebereich in der Inflationsdebatte überbetont wird, aber, dass man diese kurzfristigen Ausschläge nicht mit längerfristigen Entwicklungen vermischen sollte. <BR /><BR /><b>Bevor wir zu den mittel- bis längerfristigen Effekten kommen, bleiben wir zunächst bei dem, was uns alle aktuell besonders belastet: Inflationsraten im Bereich von 5 und mehr Prozent. Zwangsläufig werden in nächster Zeit Forderungen in Bezug auf Lohnerhöhungen folgen…</b><BR />Tappeiner: Das ist ganz klar, nach mittlerweile fast einem halben Jahr mit hohen Inflationsraten, ist es Zeit für Kollektivvertragsverhandlungen. Die wird es auf breiter Front in allen Branchen geben, da bin ich mir sicher. Diesmal werden sie sicherlich sehr spannend.<BR /><BR /><b>In welcher Höhe könnten die Löhne nach oben geschraubt werden? Halten Sie die 5 bis 6 Prozent, wie es die Inflationsrate ja nahelegen würde, für realistisch? </b><BR />Tappeiner: Einige Teile der Wirtschaft sind sicherlich gut in der Lage, eine solche Lohnerhöhung zu stemmen. Andere hingegen nicht. Ein großes Problem bei der Sache sehe ich darin, dass keiner so genau weiß, wie es in den einzelnen Branchen tatsächlich aussieht. Vieles wurde in den letzten 2 Jahren von den Coronahilfen überlagert, weshalb es von außen nur schwer möglich ist, Aussagen über den Gesundheitszustand von Branchen zu treffen. Umso wichtiger wird es bei der Neuverhandlung der Kollektivverträge sein, dass alle Sozialpartner mit offenen Karten spielen. Bereiche, die sich Lohnerhöhungen in größerem Umfang aufgrund ihrer Situation nicht leisten können, werden verstärkt auf eine Kombination von Lohnerhöhungen und anderen Benefits setzen. Das halte ich im Übrigen für eine kluge Lösung.<BR /><BR /><b>Das heißt, zum Beispiel ein Lohnplus von 2 oder 3 Prozent und flexiblere Arbeitszeiten als Benefit?</b><BR />Tappeiner: Es wird ganz viel darauf hinauslaufen, denke ich. Flexible Arbeitszeiten und Smart Working als Ergänzung zu den Lohnerhöhungen werden ganz sicher flächendeckend kommen. Erst recht in einem leer gefegten Arbeitsmarkt wie in Südtirol. Arbeitnehmer werden dadurch entlastet und Arbeitgeber müssen nicht die Lohnerhöhungen in voller Inflationshöhe tragen. Wobei dieses Modell natürlich nicht überall funktioniert: Untere Einkommensklassen brauchen diese Inflationsanpassung monetärer Art ganz dringend, da sind Benefits ein schwacher Trost. <BR /><BR /><b>Wenn die Löhne steigen, droht wiederum eine Lohn-Preis-Spirale, das heißt: Unternehmen könnten aufgrund der gestiegenen Personalkosten auch ihre Produkte und Dienstleistungen verteuern und damit die Inflation anheizen…</b><BR />Tappeiner: Diese Gefahr besteht immer. Mit einer Kombination aus Lohnanpassungen und Benefits lässt sich dieser Effekt aber verlangsamen bzw. dieses Risiko eindämmen. <BR /><BR /><b>Wie lange, glauben Sie, wird uns das Thema hoher Inflationsraten noch beschäftigen?</b><BR />Tappeiner: Wie vorhin beschrieben, befinden wir uns aktuell in der zweiten Inflationswelle nach Corona. Diese dürfte abklingen, wenn der Konflikt in der Ukraine beendet ist. Das heißt, dann könnten die Inflationsraten etwas zurückgehen, allerdings denke ich nicht, dass wir auf absehbare Zeit wieder Inflationsraten von einem Prozent sehen könnten, wie dies in den letzten Jahren häufig der Fall war. Ein Teil der Inflation wird bleiben, womöglich auf lange Sicht. <BR /><BR /><b>Ist bereits die nächste Inflationswelle in Sicht, ausgelöst durch die Energiewende?</b><BR />Tappeiner: Der Ukraine-Krieg ist abscheulich und absolut zu verurteilen. Doch die Rendite für die Wirtschaftssanktionen werden wir längerfristig einfahren: Sie besteht darin, dass der Westen noch näher zusammenrückt und die Energiewende enorm beschleunigt wird. Letztere ist auch der Grund, warum ich eher mit Inflationsraten im Bereich von durchschnittlich 3 Prozent pro Jahr in den nächsten 10 bis 15 Jahren rechne als mit den von der EZB für Preisstabilität angepeilten 2 Prozent. Allerdings möchte ich dazu sagen, dass aus Sicht der allermeisten Volkswirte eine Inflationsrate von 3 Prozent für die Wirtschaft kein Problem darstellt. Problematisch sind lediglich diese extremen Inflationssprünge, wie wir sie zuletzt gesehen haben, weil sie Unsicherheit auslösen. <BR /><BR /><b>Was bedeutet das nun für die Energiekosten?</b><BR />Tappeiner: Nach Ende der aktuellen Ausnahmesituation werden wir allmählich in eine Übergangsphase eintreten. Der Übergang von vorwiegend fossilen Energieträgern auf alternative Quellen. Dieser Übergang wird für alle nicht ganz billig, aber er ist notwendig. Was in der Diskussion rund um die Energiewende häufig unbeachtet bleibt, ist, dass wir in Vergangenheit eigentlich nie einen fairen Preis für Energie bezahlt haben. <BR /><BR /><b>Wie meinen Sie das?</b><BR />Tappeiner: Häufig wird ja behauptet, dass alternative Energien so viel teurer wären als fossile Rohstoffe wie Öl oder Gas. Das ist aber nicht korrekt. Der Grund, warum Öl und Gas so günstig waren, hat damit zu tun, dass wir die Unternehmen zwar für ihre Förderarbeit bezahlt haben, die Kosten für die Gesellschaft und die Umwelt aber nie mitberücksichtigt wurden. Das ist ein Umstand, der einfach nicht mehr tragbar ist. Der Preis, den wir für die fossilen Rohstoffe bezahlt haben, war deshalb nie fair. Diese Fairness herzustellen, ist eine der großen Aufgaben, die die Politik zu allererst lösen wird müssen.<BR /><BR /><b>Spritpreise von 3 Euro scheinen vor diesem Hintergrund als sehr realistisch…</b><BR />Tappeiner: Absolut. <BR /><BR /><b>Ohne begleitende Unterstützungsmaßnahmen des Staates für die Bürger wird dies wohl kaum gehen…</b><BR />Tappeiner: Diese Maßnahmen wird es brauchen, aber nicht für alle. Das untere Drittel der Einkommenspyramide muss gestützt werden, und zwar nicht, indem man den Spritpreis subventioniert, sondern durch Direkthilfen für die Betroffenen. Sonst ist nämlich die Gefahr groß, dass untere Einkommensklassen in die Armut abrutschen. <BR /><BR /><b>Der Mittelstand könnte entgegnen: „Und wir gehen wieder einmal leer aus, obwohl wir die Hilfen auch dringend nötig hätten“…</b><BR />Tappeiner: Diese Meinung ist weit verbreitet, aber die Tatsachen sehen anders aus. Es ist einfach ein gewaltiger Unterschied, ob jemand sein Leben ohne diese Hilfen nicht mehr bestreiten kann, oder ob jemand Abstriche in einem kleineren Umfang machen muss. Jeder, der sich die Mehrausgaben pro Jahr ausrechnet, die etwa bei einem Spritpreis von 3 Euro anfallen würden, wird feststellen, dass man das als Durchschnittsverdiener absolut schultern kann. Wenn ich einen spritfressenden SUV besitze, ist die Sache vielleicht etwas anders, aber dann sprechen wir wohl eher von einem Luxusproblem. <BR /><BR /><b>Bleiben wir kurz beim Thema Autos: Es sind ja nicht nur die Verbraucher schuld am SUV-Trend. Die Autoindustrie setzt seit Jahren darauf und der Markterfolg gibt ihr recht.</b><BR />Tappeiner: Das stimmt schon. Die Autoindustrie gibt jedoch seit vielen Jahren kein sonderlich gutes Bild ab. Dass ein Mann wie Elon Musk, der bis zur Gründung von Tesla nicht einmal wusste, wie man ein Fahrrad zusammenbaut, hergehen muss, um die verkrustete Branche zu bewegen, sagt eigentlich schon viel aus. Es ist ein Armutszeugnis für die Autoindustrie, die über viele Jahrzehnte in Sachen alternative Antriebe kaum etwas bewegt hat.<BR /><BR /><b>Wir haben über Begleitmaßnahmen für untere Einkommensklassen gesprochen, wie aber sieht es mit den Unternehmen aus: Braucht es Sonderhilfen für energieintensive Branchen?</b><BR />Tappeiner: Ich bin grundsätzlich ein Freund eines starken Staates. Im Falle von energieintensiven Industrien muss ich aber sagen, dass es in Zeiten der Energiewende mit meinem Gewissen nicht zu vereinbaren wäre, nach Hilfen für sie zu rufen. Branchen, die exzessiv mit Energie umgehen, sehe ich als potenzielle Verlierer. Wie es auch sonst sehr viele Verlierer in dieser Entwicklung geben wird, ebenso jedoch große Gewinner. Die große Aufgabe für uns als Gesellschaft wird sein, zu verhindern, dass in den nächsten 10 bis 15 Jahren nicht ganze Bevölkerungsgruppen wegbrechen. Die Energiewende und die Digitalisierung sind Entwicklungen, die in ihrer Impulskraft für Wirtschaft und Gesellschaft vergleichbar sind, mit der Entwicklung der Dampfmaschine oder der Erfindung des Autos. Das heißt, es wird längerfristig ein ungemein kräftiges Wachstum generiert. Und auch die Produktivität der Arbeit wird steigen, das heißt die Wertschöpfung je Arbeitsplatz, ein Punkt, der für Südtirol besonders wichtig ist. <BR /><BR /><b>Italien hat mit den Mitteln aus dem Aufbaufonds PNRR ja zusätzliche Mittel aus Brüssel erhalten: Inwieweit können diese Gelder die Energiewende vorantreiben?</b><BR />Tappeiner: Ich stelle nicht in Frage, dass sich die Regierung ausgiebig darum bemüht hat, Schwerpunkte zu setzen, darunter ja auch die Energiewende und die Digitalisierung. Allerdings bezweifle ich sehr, dass sie tatsächlich zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes beitragen wird.<BR /><BR /><b>Warum?</b><BR />Tappeiner: Vor allem die engen Deadlines verleiten dazu, dass hauptsächlich Projekte eingereicht und finanziert werden, die entweder bereits seit Jahren in den Schubladen öffentlicher Verwaltungen verstaubten, oder vordergründig dem Zweck dienen, Bereiche zu sanieren, anstatt sie zukunftsfähiger zu machen. Der PNRR dürfte zu einem Förderinstrument mit der Gießkanne werden, das finde ich sehr schade, eine verpasste Chance eben.<BR /><BR /><b>Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?</b><BR />Tappeiner: Beispiele dafür gibt es viele. Nur eines aus meinem Bereich, den staatlichen Universitäten: Da werden jetzt binnen kurzer Zeit massiv Stellen geschaffen, ohne darauf zu achten, ob die Forschungsbereiche, die personell aufgestockt werden, auch in der Zukunft relevant sind oder nicht.<BR /><BR /><b>Wir haben unser Gespräch mit der EZB begonnen, damit möchte ich nun auch abschließen: Wie wird sich die Notenbank kurzfristig verhalten in einem Umfeld hoher Inflationsraten und einem noch eher instabilen Wachstum?</b><BR />Tappeiner: Ich kann mir schon vorstellen, dass bereits in diesem Jahr eine Zinserhöhung von 0,25 oder 0,5 Prozent beschlossen werden könnte. Hauptsächlich als Akt mit Symbolwirkung, damit man zeigt, dass man das Thema Inflation ernst nimmt. Negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft oder die Finanzmärkte erwarte ich mir durch Anhebungen in derlei homöopathischen Dosen eigentlich nicht. Und für Sparer bleibt im Prinzip auch alles gleich: Zinsen im Nullkommaetwas-Bereich sind kaum spürbar. <BR /><BR />