Wie vor Wahlen üblich warten die Politiker auch mit neuen Versprechen auf: Aktuell besonders heißt diskutiert wird die Einführung einer Flat Tax. Realistische Maßnahme oder Mogelpackung?<BR /><BR /><BR /><b>Italien steht vor Neuwahlen. Wie wirkt sich das auf die Reform der italienischen Steuerrechtsordnung aus?</b><BR />Peter Hilpold: Die Reformbemühungen sind schon sehr weit gediehen. Die aktuelle Krise kommt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, da damit intensive Arbeiten auf politischer und technischer Ebene gefährdet werden. Aber dennoch ist die Reform unabdingbar.<BR /><BR /><b>Weil sie die EU verlangt?<BR /></b>Hilpold: Das ist der eine Aspekt. Tatsächlich macht die EU die Auszahlung weiterer Hilfsgelder – und damit die Umsetzung des italienischen Aufbauplans PNRR – ganz zentral von tiefgreifenden Steuerreformen abhängig. Zudem wurde der Reformbedarf auch unabhängig von der EU erkannt. Es gibt einfach Mängel im italienischen Steuersystem, die dringend behoben werden müssen.<BR /><BR /><b>Die da wären?<BR /></b>Hilpold: Die gegenwärtige Form der Katasterbesteuerung ist nicht mehr zeitgemäß, auch weil sie insgesamt unausgewogen ist. Die Zahl der Sonderausgaben, der Absetzbeträge und Sonderguthaben, der sogenannten „tax expenditures“, ufert völlig aus. Hier hat kaum mehr jemand einen Überblick. Der „Steuerkeil“, der Unterschied zwischen Brutto- und Nettolohn, wird allgemein als exzessiv erachtet – ohne dass es aber ein Patentrezept gäbe, wie dieses Problem gelöst werden könnte. Die zwangsweise Steuereinhebung bleibt zu einem großen Teil erfolglos, weil viele Schuldner entweder mittellos oder gar unauffindbar sind.<BR /><BR /><b>Wird der Regierungswechsel dazu führen, dass alle bisherigen Arbeiten an der Steuerreform umsonst waren?</b><BR />Hilpold: Nicht ganz. Die Reform des Steuerprozesses war erfolgreich. Hier zeichnen sich tiefgreifende Änderungen ab. Italien erhält nun zum ersten Mal die seit den Anfängen der Republik geforderte professionelle Steuergerichtsbarkeit. Bislang gab es lediglich Steuerkommissionen, die zum Großteil von – weitgehend ehrenamtlich und nebenberuflich tätigen – Richtern besetzt wurden und nur zum kleineren Teil von Richtern, die von ordentlichen Gerichten freigestellt wurden. Den ständig wachsenden Ansprüchen konnte ein solches System auf die Dauer nicht gerecht werden, was auch die EU angemahnt hat. Deshalb wurde nun beschlossen, dass in Zukunft Berufsrichter über Steuerstreitfälle entscheiden werden. Bis zum Streitwert von 3000 Euro sogar Einzelrichter – auch das ist ein Novum in Italien. Dieses Limit ist allerdings niedrig angesetzt. Hier gäbe es sozusagen „Luft nach oben“ für eine weitere Effizienzsteigerung bei den Streitverfahren. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55632939_quote" /><BR /><BR /><b>Was bedeutet die Reform des Steuerprozesses für Südtirol?</b><BR />Hilpold: Die Auswirkungen auf Südtirol sind hierzulande wahrscheinlich noch kaum bekannt. Immerhin wird dies bedeuten, dass eine professionelle, zweisprachige Gerichtsbarkeit einzurichten ist. Wir können froh sein, wenn ich das anfügen darf, dass wir seit langem an der Universität Innsbruck eine zweisprachige Ausbildung im italienischen Steuerrecht anbieten, die hier Vorarbeiten geleistet hat.<BR /><BR /><b>Es wird also eigene Steuerwettbewerbe für zweisprachige Richter in Südtirol geben müssen?</b><BR />Hilpold: Davon ist auszugehen.<BR /><BR /><b>Und die übrigen Reformen im Steuerbereich sind in der Schwebe?</b><BR />Hilpold: Das große Problem liegt darin, dass gegenwärtig alles wieder auf dem Verhandlungstisch zu liegen scheint. Mit Reformversprechen im Steuerrecht werden in Italien Wahlen gewonnen. Da wird Sinnvolles, aber auch Utopisches vorgeschlagen. Beispielsweise bringen Lega und Forza Italia wieder die „Flat Tax“ ins Spiel, die auf den ersten Blick äußerst attraktiv erscheint. <h3> „Eine Mogelpackung“</h3><b>Lega-Chef Matteo Salvini verspricht einen einheitlichen Steuersatz bei der Einkommensteuer von 15 Prozent für Arbeitnehmer, der Forza-Italia-Vorsitzende Silvio Berlusconi spricht von 23 Prozent …</b><BR />Hilpold: Aber es stellen sich diesbezüglich 2 Probleme: Erstens: Niemand weiß, wie eine Einheitssteuer von zum Beispiel 23 Prozent finanziert werden soll. Nachdem die Staatsverschuldung dermaßen hoch ist, sind die Mittel einfach nicht da. Und zweitens: Jeder versteht unter der „Flat Tax“ etwas anderes. Giorgia Meloni, die Vorsitzende von Fratelli d´Italia, zum Beispiel schlägt vor, die Flat Tax nur auf den Teil des Einkommens anzuwenden, der den Wert des Vorjahres überschreitet. Das ist allerdings nicht nur kompliziert, sondern auch eine Mogelpackung, von der niemand etwas hat. Tatsächlich gibt es sehr viele verschiedene Ausprägungen von Flat-Tax-Systemen. Italien hat ja auch schon eine Flat Tax: Sie beträgt 15 Prozent und kann von Unternehmern und Freiberuflern mit einem Jahresumsatz von maximal 65.000 Euro angewendet werden. Jetzt wird auch darüber diskutiert, dieses Limit auf 100.000 Euro zu erhöhen – was hingegen eine sinnvolle Maßnahme wäre, weil das Limit von 65.000 Euro schon recht niedrig angesetzt ist. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55633223_quote" /><BR /><BR /><b><BR />Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Flat Tax im eigentlichen Sinne eingeführt wird?</b><BR />Hilpold: Die wäre sicherlich nicht finanzierbar. Mitte-rechts wird nach den bisherigen Ankündigungen zwar Maßnahmen in die Richtung ergreifen müssen und sie als Flat Tax verkaufen, aber da wird wenig Substanz dahinter sein. <BR /><BR /><b>Welche Auswirkungen hätte die Einführung einer Flat Tax auf Südtirols Finanzen?</b><BR />Hilpold: Würde eine Flat Tax im eigentlichen Sinne eingeführt, müsste die gesamte Finanzautonomie neu gedacht werden. Dann müsste man die Einnahmenausfälle mit hohen Gemeindeabgaben kompensieren, was nicht sinnvoll wäre. Denn die Theorie, dass eine Flat Tax dazu führt, dass die Bürger weniger Steuern hinterziehen und gleichzeitig mehr Geld ausgeben, weil ihnen durch den niedrigeren Steuersatz mehr in der Tasche bleibt, sodass am Ende mehr Steuereinnahmen herausschauen – man spricht vom sogenannten „Laffer“-Modell –, hat sich international schon längst als Illusion erwiesen.<BR /><BR /><b>Eine richtige Flat Tax wird also wohl nicht kommen. Aber wird die Steuerreform überhaupt dazu führen, dass die Bürger spürbar weniger Steuern zahlen?</b><BR />Hilpold: Das glaube ich nicht. Es wird wohl eher ein Hütchenspiel betrieben werden: Auf der einen Seite werden die Steuern gesenkt, auf der anderen erhöht. Denn das Hauptproblem bleibt die hohe Staatsverschuldung Italiens, weshalb es nur geringen Spielraum gibt. Und sollte die neue Regierung die Verschuldung ausweiten, ist die Frage, inwieweit es gelingt, der EU Zugeständnisse in dem Punkt abzuringen. Da muss man sehen, wie lange die EU mit sich spielen lässt.<BR />