Sonntag, 3. September 2023

Musiktherapie: Wie Musik Menschen helfen kann

Eines steht fest: Musik macht etwas mit den Menschen, sie löst Gefühle aus und verändert sogar die Stimmung. Dass Musik jedoch noch viel mehr kann, weiß die angehende Musiktherapeutin Marion Palfrader aus Enneberg. „Die Musik kann dabei helfen das auszudrücken, worüber nicht gesprochen werden kann“, sagt Palfrader, „aber Musiktherapie ist nicht nur das. Musiktherapie ist viel mehr.“ In Südtirol ist diese besondere Therapieform allerdings noch nicht ganz angekommen, sagt die 24-Jährige im Sonntags-Gespräch mit STOL. Außerdem erklärt sie uns, wie sie selbst in diesen außergewöhnlichen Beruf geraten ist.

Musiktherapie kann vielfältig eingesetzt werden: Zum Beispiel in der Schule beim Lernen von Buchstaben.

Von Johanna Torggler

STOL: „Musiktherapie ist Spielen, was man nicht sagen kann.“ Stimmt das?
Marion Palfrader: Ja, das kann man schon so sagen. Ganz oft wird Musiktherapie nämlich in Verbindung mit Psychologie verwendet. Geht es einem Patienten nicht gut, hat er oft Schwierigkeiten über seine Gefühle zu sprechen. Die Musik kann dabei helfen das auszudrücken, worüber nicht gesprochen werden kann.

Konkret kommt es in der Musiktherapie in solchen Fällen zu einem sogenannten Klangdialog. Das heißt, statt über die Gefühle und Sorgen zu sprechen, wird gespielt. Bei einer musikalischen Improvisation spielen Patienten das, was gerade raus muss - ohne lange zu überlegen. Es kann sein, dass sich Patienten über die Musik besser ausdrücken können, als in einem Gespräch. Oft können sie sich von bestimmten Gefühlen befreien, denn ein Klangdialog erreicht die tiefsten Gefühlszustände der Menschen.

Aber Musiktherapie ist nicht nur das. Musiktherapie ist viel mehr. Sie kann so unterschiedliche eingesetzt werden und verschiedenste Ziele verfolgen, sodass es nicht einfach ist sie zu definieren.


STOL: Könnten Sie doch kurz in Ihren Worten beschreiben, was Musiktherapie überhaupt ist?
Palfrader: Wie bereits gesagt, ist es sehr schwierig Musiktherapie in wenigen Worten zu beschreiben. Es handelt sich um eine Form von Therapie, bei der Musik verwendet wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Je nach Ziel kann die Musik dabei sehr unterschiedlich eingesetzt werden.





STOL: Können Sie einige Beispiele nennen?
Palfrader: Ja. Musiktherapie kann zum Beispiel im Altersheim in Form einer Gruppentherapie erfolgen. Dabei kann es darum gehen, die Bewohner des Altersheims aufzumuntern, oder die Stimmung etwas aufzulockern. Musiktherapie kann aber auch ein ganz bestimmtes Ziel verfolgen, wie etwa die Verbesserung der Motorik. In diesem Fall wählt ein Musiktherapeut gewisse Lieder und Tänze aus, zu denen ein Patient bestimmte Bewegungen ausführt. Ähnlich ist die Vorgehensweise im Zusammenhang mit Sprachproblemen: Wenn ein Kind zum Beispiel gewisse Buchstaben, oder Laute nicht aussprechen kann, verändert der Musiktherapeut passende Lieder so, dass durch das gemeinsame Singen der Lieder gezielt die Aussprache verbessert werden kann.

Musik macht immer etwas mit uns. Diese spezielle Eigenschaft der Musik bildet die Basis der Musiktherapie.
Marion Palfrader



STOL: Warum braucht es dazu Musiktherapie?
Palfrader: Die Musiktherapie hat eine ganz besondere Eigenschaft. In all diesen Beispielen wirkt die Musiktherapie, weil durch die Musik alles viel „leichter“ erscheint. Die Leute im Altersheim, oder die Kinder in der Schule merken oft gar nicht, dass das was sie gerade machen eigentlich eine Therapie ist. Besonders mit Kindern kann man spielerisch an einem ganz bestimmten Ziel arbeiten. Man macht einen Tanz, singt ein Lied, oder spielt ein Instrument und es macht den Patienten Spaß – aber eigentlich will der Musiktherapeut etwas ganz Bestimmtes erreichen.

Jeder von uns hat dieses eine Lied. Hört oder singt man es, ist man plötzlich gut gelaunt.
Marion Palfrader



STOL: Schon Wolfgang Amadeus Mozart sagte: „Ohne Musik wär´alles nix“, und machte auf die einzigartige Wirkung der Musik auf den Menschen aufmerksam. Aber wie wirkt Musik? Welches Geheimnis steckt hinter der Musiktherapie?
Palfrader: Jeder von uns hat dieses eine Lied. Hört oder singt man es, ist man plötzlich gut gelaunt. Es gibt aber auch jenes Lied, das sofort auf unsere Stimmung drückt. Musik macht immer etwas mit uns. Diese spezielle Eigenschaft der Musik bildet die Basis der Musiktherapie. Und gleichzeitig ist sie das Geheimnis, das hinter der besonderen Wirkung der Musiktherapie steckt.

Die Frequenzen der Musik, also die Schwingungen, wirken auf unseren Körper, sobald sie ihn berühren. Hier ist allerdings Vorsicht geboten, denn bestimmte Schwingungen können natürlich auch eine negative Wirkung auf den Körper haben. Besonders bei Komapatienten, oder Patienten, die gelähmt sind und nicht sprechen können, muss deshalb aufgepasst werden, denn gewisse Frequenzen können schmerzen.

STOL: Welche Methoden stehen in der Musiktherapie konkret zur Verfügung?
Palfrader: Hier wird zunächst die aktive von der rezeptiven Musiktherapie unterschieden. Bei Letzterer spielt, oder singt der Musiktherapeut und der Patient lässt die Musik auf sich wirken, während der Patient bei der aktiven Musiktherapie selbst singt, sich zur Musik bewegt, oder ein Instrument spielt.

Die Musiktherapie kommt von der Schwangerschaft bis hin zur Sterbehilfe zum Einsatz. Im Altersheim, bei Komapatienten, gegen Mobbing an der Schule, im Gefängnis, bei Autismus – Musiktherapie ist sehr vielseitig.
Marion Palfrader



Manche Methoden basieren auf Improvisation, bei anderen kann ein bestimmtes Lied Ausgangspunkt der Therapie sein. Es gibt zum Beispiel auch Musiktherapeuten, die nur mit Rap arbeiten. Diese Technik eignet sich etwa bei der Arbeit mit den Häftlingen im Gefängnis gut. Oft werden auch gemeinsam Lieder komponiert, um bestimmte Ereignisse verarbeiten zu können. Den Methoden in der Musiktherapie sind eigentlich keine Grenzen gesetzt. Es gibt auch keine festgesetzte Vorgehensweise. Sondern die Therapie jedes einzelnen Patienten ist individuell, je nachdem was am besten wirkt.

STOL: Wem hilft Musiktherapie?
Palfrader: Schon während einer Schwangerschaft, bei Geburten und besonders Frühgeborenen kann Musiktherapie helfen. Die Musiktherapie kommt eigentlich von der Geburt bis hin zur Sterbehilfe zum Einsatz. Im Altersheim, bei Komapatienten, gegen Mobbing an der Schule, im Gefängnis, bei Autismus – Musiktherapie ist sehr vielseitig. Oft arbeiten Musiktherapeuten mit anderen Experten zusammen, wie zum Beispiel in der Psychiatrie an den Krankenhäusern.

STOL: „Ich bin Musiktherapeutin.“ Das hört man nicht alle Tage. Wie bist du in diesen außergewöhnlichen Beruf geraten?

Als ich im Laufe meines Studiums durch Zufall auf die Musiktherapie gestoßen bin, wusste ich: Das ist genau das Richtige für mich. Denn durch die Musik kann man anderen Menschen helfen.
Marion Palfrader


Palfrader: Eigentlich habe ich Violine studiert. Jedoch wusste ich immer schon, dass der Beruf des Profimusikers nichts für mich ist. Ich spiele zwar gerne Konzerte, aber ich mag den Druck nicht, der hinter der Musik liegt, sobald sie professionell wird.

Als ich im Laufe meines Studiums dann durch Zufall auf die Musiktherapie gestoßen bin, wusste ich: Das ist genau das Richtige für mich. Denn durch die Musik kann man anderen Menschen helfen.

STOL: Wie kann man sich die Tätigkeit als Musiktherapeutin vorstellen?
Palfrader: In den Schulen habe ich bisher einzelne Kinder aus der Klasse geholt, die eine gewisse Schwierigkeit hatten. Wöchentlich haben wir eine halbe, oder eine ganze Stunde an einem gewissen Ziel gearbeitet.

Im vergangenen Schuljahr hatte ich zum Beispiel einen Schüler mit Downsyndrom. Gemeinsam haben wir gesungen und dabei die Aussprache von ganzen Sätzen geübt. Um die Motorik ging es hingegen bei einer Schülerin mit einem Wasserkopf. Durch das Trommel- oder Rasselspiel und durch tänzerische Bewegungen haben wir bestimmte Bewegungen geübt. Lieder auswendig lernen ist hingegen besonders gut, um das Gedächtnis zu trainieren. Bei einer Schülerin mit Rett-Syndrom ging es vor allem darum, die Aufmerksamkeit zu trainieren. Bewusst sollte sie zum Beispiel Tüchern folgen, die ich zur Musik bewegte – ohne sich dabei ablenken zu lassen.

STOL: Das klingt nach einer langen Vorbereitungszeit vor jeder Stunde, oder?
Palfrader Ja. Vor jeder Einheit plane ich genau worauf hingearbeitet werden soll, welche Lieder gesungen werden, oder mit welchen Instrumenten gespielt wird. Oft kommt dann allerdings alles ganz anders als geplant, je nachdem wie die Stimmung der Patienten ist.

Nach der eigentlichen Musiktherapie-Einheit ist die Nachbearbeitung sehr wichtig. Hier schreibt sich der Musiktherapeut genau auf, was in der jeweiligen Einheit eine Wirkung auf den Patienten hatte und was nicht. Die Reflexion nach der Stunde - verbunden mit der Planung der nächsten Einheit – nimmt am meisten Zeit in Anspruch.

Es gibt viele Leute, die nicht einmal wissen, was Musiktherapie überhaupt ist und was man damit bewirken kann. Im Gegensatz zu anderen Ländern hinkt Südtirol noch weit hinterher.
Marion Palfrader


STOL: Ist die Musiktherapie schon so richtig in Südtirol angekommen?
Palfrader: Nein, leider nicht. Es gibt viele Leute, die nicht einmal wissen, was Musiktherapie überhaupt ist und was man damit bewirken kann. Im Gegensatz zu anderen Ländern hinkt Südtirol noch weit hinterher.

Ein Grund dafür ist zum Beispiel, dass einem der Beruf hierzulande wenig Sicherheit bieten kann. Deswegen gibt es in Südtirol noch nicht so viele Musiktherapeuten und die Leute kommen natürlich seltener mit dieser besonderen Therapieform in Kontakt.

STOL: Wo gibt es in Südtirol aber schon Musiktherapie?
Palfrader: In der Psychiatrie und in der Pädiatrie einiger Südtiroler Krankenhäuser arbeiten Musiktherapeuten bereits mit Ärzten zusammen. Außerdem machen immer mehr Musiktherapeuten Projekte an Schulen.

Fixe Stellen für Musiktherapeuten an den Schulen gibt es hierzulande allerdings nicht. Es hängt also sehr stark von den jeweiligen Führungskräften der Schulsprengel ab, ob sie einen Teil der zur Verfügung stehenden Gelder für Musiktherapiestunden einsetzen, oder nicht.

STOL: Was muss Ihrer Meinung nach hierzulande in Zukunft noch getan werden?
Palfrader: Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass die Musiktherapie an den Schulen beispielsweise sehr viel bewirken kann. Damit einzelne Schüler an allen Schulen aber gleich stark von der Musiktherapie profitieren können, müsste es für Musiktherapeuten in Südtirol einfacher gemacht werden, in einer Schule, oder einer Musikschule zu arbeiten. Es bräuchte eine Regelung, die es Schulen ermöglicht, einen fixen Musiktherapeuten einzustellen.

STOL: Können Sie sich eine Zukunft als Musiktherapeutin vorstellen?
Palfrader: Ja, auf jeden Fall. Meine bisherigen Berufserfahrungen an der Grund-, Mittel-, und Oberschule sowie im Altersheim und in einer geschützten Werkstatt haben mir gezeigt, dass ich auch in Zukunft Menschen mit Musik helfen möchte. Natürlich ist die Arbeit hierzulande noch mit gewissen Herausforderungen verbunden, aber Musiktherapeutin sein ist immer spannend und man erlebt viele schöne Momente. Besonders, wenn man sieht, dass es den Patienten Spaß macht und man weiß, dass es ihnen gleichzeitig auch hilft.

Alle weiteren Sonntags-Gespräche finden Sie hier.


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