Samstag, 25. November 2023

„Schau dich doch nur mal an, wie hässlich du bist“

„Du bist ja wirklich zu gar nichts nütze!“, „Schau dich doch nur mal an, wie hässlich du bist!“ Was Marco* (25) seiner damaligen Freundin an den Kopf geschmissen hat, war verletzend, mit purer Absicht. Dass es Gewalt war, war Marco lange nicht klar. Und erst recht nicht, warum er es tat. Beides hat er im Anti-Gewalttraining der Caritas gelernt.

Anti-Gewalt-Training: Marco lernt sich selbst zu verstehen und zu kontrollieren. - Foto: © Shutterstock / Africa Studio

Marco und seine Freundin waren sehr jung, als sie sich kennenlernten. Rasch zogen die beiden zusammen, gründeten eine Familie. Und die Routine begann. Marco arbeitete viel, seine Freundin versorgte das Kind. Wenn er abends heimkam, war er müde, sie gefrustet. Jetzt sollte er noch im Haushalt „helfen“, selber seine Hemden bügeln? Und Recht machte er es ihr ja sowieso nie.

Seine Beschimpfungen wurden zunehmend übel. Irgendwann wird er auch handgreiflich

Auf ihre Kritik reagierte er mit wüsten Beschimpfungen. Es gab Streit, immer wieder. Und er verletzte sie, immer wieder. Damit sie den Mund hielt. Ihn nicht kritisierte, nicht an seinem Ego kratzte. Doch das war ihm damals gar nicht bewusst. Die Streitereien wurden ebenfalls Routine, sie liefen immer gleich ab – und zugehört hat er ihr schon längst nicht mehr. Ja eigentlich hatte er das nie. Aus kleinen Streitereien wegen jeder Kleinigkeit wurden böse Kräche, er war im Recht, fand er. Und seine Beschimpfungen wurden zunehmend übel. Irgendwann wird er auch handgreiflich, schubst und stößt sie durch die Wohnung. Nun hat sie endgültig genug von ihm – und er versteht die Welt nicht mehr.

„Nach der Trennung ging es mir richtig schlecht, über Monate. Ich hab in wenigen Monaten 28 Kilo abgenommen. Ich war echt am Ende – und hatte niemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Ich hatte doch nichts falsch gemacht, dachte ich – und dennoch hat sie mich verlassen“, erzählt er über die erste Phase nach dem Aus der Beziehung.

Er kommt nicht klar, auch mit seiner Rolle in der zerstörten Beziehung nicht. Zudem geht das Ganze nun auch vor Gericht, auch das Sorgerecht für seinen Sohn steht zur Verhandlung. Es zieht sich über Jahre.

„Männer haben Emotionen, und sie dürfen sie zeigen, das ist die Botschaft“

„Irgendwann bei einem Telefongespräch hat mein Anwalt mir dieses Anti-Gewalt-Training vorgeschlagen. Ich wusste bis dahin gar nicht, dass es so etwas gibt. Und ich hatte auch völlig falsche Vorstellungen davon. Ich dachte zuerst, es handelt sich wirklich um ein körperliches Training“, erinnert sich Marco. Marco zögert nicht lange und sagt zu. Mittlerweile war ihm klar, er brauchte Hilfe. Und die fand er, wenn auch anders, als er sich erwartet hatte. Keine einfachen Übungen standen auf dem Programm, die so nebenbei einen besseren Menschen aus ihm gemacht hätten. Er hatte vielmehr eine echte Aufgabe vor sich: Er musste sich kennenlernen – mit all seinen Fehlern.

„Die meisten Männer haben das Gefühl, als Mann muss man stark sein. Wir sind schließlich das starke Geschlecht. Und als solches sind wir auch perfekt. Uns verletzt nichts, und wir machen nichts falsch“, erklärt Marco das „männliche“ Selbstverständnis. Und er weiß nach einem guten Teil der Trainingsstunden: Nichts ist so falsch wie dieser Glaube.

„Auch Männer sind verletzlich und zerbrechlich, vielleicht mehr sogar als Frauen

„Auch Männer sind verletzlich und zerbrechlich, vielleicht mehr sogar als Frauen. Wir wollen es nur nicht wahrhaben, nicht zugeben, nicht damit konfrontiert werden. Und vor allem: Keiner soll es merken“, so Marco.

Im Training hat er gelernt, warum eine simple Bemerkung seiner Freundin etwa über eine falsch eingeräumte Jeans oder andere Banalitäten ihn regelrecht zur Weißglut gebracht haben: „Ich fühlte mich als Person kritisiert, und Kritik an mir, das habe ich nicht ausgehalten. Und habe mit psychischer Gewalt gegen meine Freundin reagiert. Es ist nicht schön, diese hässlichen Seiten an einem selbst zu entdecken, das ist ein mühevoller und manchmal schmerzvoller Weg. Aber um sich selbst zu verstehen, ist es das wert, der Weg lohnt sich. Man lernt sich selbst kennen und sieht, was man anderen und schlussendlich auch sich selbst antut“, so Marco.

Denn dass seine Beschimpfungen gegenüber seiner damaligen Freundin nicht nur tief verletzend waren, sondern eine Form von Gewalt, dass sie das Selbstwertgefühl seiner Freundin angreifen sollten und das auch getan haben, das hat er erst im Training verstanden. Was er da über sich selbst erfahren hat, war schwere Kost. Auch zu erkennen, dass er sich so wenig in der Hand hatte, dass er nicht einmal vor körperlichen Aggressionen zurückschreckte, sondern Hand anlegte, um sie zu stoßen und durch die Wohnung zu schubsen, war bitter.

„Ich konnte nicht zuhören, auch anderen Leuten nicht, aber da fällt es nicht so auf. Mit der Freundin ist man viel zusammen, da gibt es mehr Gründe und Situationen, zu diskutieren. Mittlerweile habe ich gelernt, dass es erstens Dinge gibt, über die zu streiten es sich gar nicht lohnt. Ob eine Vase hier steht oder da, das ist doch völlig egal“, erklärt er beispielhaft. Doch wenn es um wichtige Dinge geht, dann hat er gelernt zuzuhören. Wirklich zuzuhören. Sein Gegenüber ernst zu nehmen, ohne sich von ihm stets als Person angegriffen zu fühlen. Dann muss er sich auch nicht ständig „verteidigen“. Eine schlecht gebügelte Hose ist eine schlecht gebügelte Hose, keine Kritik an seiner Persönlichkeit. Was so einfach klingt, braucht Vertrauen in sich selbst. Das ist ihm jetzt klar.

„Es wäre so wichtig, wenn möglichst viele Männer mit ähnlichen Problemen von dem Training hören würden und mitmachen“

Und er hat gelernt, nicht immer gleich zu antworten. Erst einmal durchatmen, das hilft. „Das funktioniert sogar im Beruf und mit den Kunden“, schmunzelt Marco. Aber viel wichtiger: Es funktioniert mit seiner neuen Freundin – und mit seiner Ex. „Wir sind mittlerweile richtig gute Freunde, die über alles reden können. Das ist auch gut so, wir haben ja schließlich einen Sohn zusammen. Aber es tut auch uns gut, und wir können auch über unsere eigenen Belange miteinander reden“, erzählt er stolz.

Das Sorgerecht ist geklärt, die andere Anklage steht vor der Archivierung. Marcos Leben verläuft in ruhigen Bahnen. Doch eines treibt ihn noch um: „Es wäre so wichtig, wenn möglichst viele Männer mit ähnlichen Problemen von dem Training hören würden und mitmachen. Aber noch besser wäre es, man würde mit diesem Training schon zu den Jugendlichen in die Schulen gehen. Je früher, desto besser. Männer haben Emotionen, und sie dürfen sie zeigen, das ist die Botschaft“.
*Name von der Redaktion
geändert

ih

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